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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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einzigen Forderung, daß Borgia abgesetzt werden müsse. Es ist wohl ein
reforw.atorischer Drang in Savonarola's Verkündigungen unverkennbar, er
hat die Ahnung, daß eine Wendung in den Schicksalen der Kirche nahe sei.
Aber bei ihm ist doch nirgends ein lösendes Wort, ein greifbarer Anfang, eine
klare Einsicht in das, was der Kirche Noth thut. Ein dauerndes Werk scheint
er in seiner Verfassung den Florentinern hinterlassen zu haben. Sie bleibt
nach seinem Tode aufrecht mit der einzigen noch von ihm selbst empfohlenen
Abänderung, daß der Gonfaloniere auf Lebenszeit ernannt wird. Allein wie
die Verfassung schon bei seinen Lebzeiten nicht hindert, daß die gegnerischen
Parteien zur Herrschaft gelangen, so vermag sie auch die Freiheit nicht zu
retten, als 14 Jahre nach dem Tode Savonarola's durch die politischen Ver¬
hältnisse die Medici in die Stadt zurückgeführt werden. Noch ein Mal erlebt
dann die Republik eine kurze Nachblüthe, noch einmal leistet in ähnlich ge¬
spannter, die Einbildungskraft herausfordernder Lage das Andenken des Do¬
minicaners dieselben Dienste, die einst sein lebendiges Wort geleistet. Christus
wird wieder zum König der Florentiner ausgerufen, die Piagnonen sind die
herrschende Partei, und derselbe religiöse Enthusiasmus behielt wieder die
Vertheidigung der Republik gegen das anrückende Heer von Papst und Kaiser.
Aber diese von Geschichtschreibern und Dichtern vielgefeierte Vertheidigung
von Florenz ist nur der letzte Todeskampf der Republik. Mit der Einnahme
der Stadt durch die Kaiserlichen im Jahre 1530 ist Freiheit und Verfassung
für immer verloren. Wie konnte man auch an eine Aufrechterhaltung der
Republik denken, in einer Zeit, da bereits -- Macchiavell sein Buch vom
Fürsten geschrieben hatte!

Macchiavell und Savonarola! Bedeutet nicht das vielberufene Buch des
florentiner Staatssecretärs den schroffsten Bruch mit dem politisch-religiösen
Ideal des Dominicaners? Ist es nicht aus der gründlichen Verzweiflung an
den überlebten republikanischen Kleinstaaten heraus geschrieben, in welche
sich die Kraft der Nation bis zur Unmacht zersplittert hatte! Und doch ist
dieses Buch aus den Reihen der Volkspartei selbst hervorgegangen, verfaßt
von einem Mann, der unter der Republik Savonarola's gedient und seine
Schule gemacht, aber freilich von Anfang an nüchterner über ihn geurtheilt
hat als alle Anderen. Fünfzehn Jahre nach dem Tod des Propheten gestand
die Republik, daß sie selbst nicht mehr an sich glaube.

In seiner praktischen Laufbahn hat Macchiavelli die verschiedensten Wege
einer Rettung von Florenz und Italien aufgesucht. Durch die furchtbare
Ueberzeugung, die in ihm gereift ist, hält er sich nicht für entbunden, bald
auf diesem bald auf jenem Weg zu versuchen was ihm gerade möglich scheint.
Er räth das eine Mal dem Papst, sich an die Spitze aller italienischen Staaten
zu stellen und sein moralisches Ansehn aufzubieten, um der Welt den Frieden


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einzigen Forderung, daß Borgia abgesetzt werden müsse. Es ist wohl ein
reforw.atorischer Drang in Savonarola's Verkündigungen unverkennbar, er
hat die Ahnung, daß eine Wendung in den Schicksalen der Kirche nahe sei.
Aber bei ihm ist doch nirgends ein lösendes Wort, ein greifbarer Anfang, eine
klare Einsicht in das, was der Kirche Noth thut. Ein dauerndes Werk scheint
er in seiner Verfassung den Florentinern hinterlassen zu haben. Sie bleibt
nach seinem Tode aufrecht mit der einzigen noch von ihm selbst empfohlenen
Abänderung, daß der Gonfaloniere auf Lebenszeit ernannt wird. Allein wie
die Verfassung schon bei seinen Lebzeiten nicht hindert, daß die gegnerischen
Parteien zur Herrschaft gelangen, so vermag sie auch die Freiheit nicht zu
retten, als 14 Jahre nach dem Tode Savonarola's durch die politischen Ver¬
hältnisse die Medici in die Stadt zurückgeführt werden. Noch ein Mal erlebt
dann die Republik eine kurze Nachblüthe, noch einmal leistet in ähnlich ge¬
spannter, die Einbildungskraft herausfordernder Lage das Andenken des Do¬
minicaners dieselben Dienste, die einst sein lebendiges Wort geleistet. Christus
wird wieder zum König der Florentiner ausgerufen, die Piagnonen sind die
herrschende Partei, und derselbe religiöse Enthusiasmus behielt wieder die
Vertheidigung der Republik gegen das anrückende Heer von Papst und Kaiser.
Aber diese von Geschichtschreibern und Dichtern vielgefeierte Vertheidigung
von Florenz ist nur der letzte Todeskampf der Republik. Mit der Einnahme
der Stadt durch die Kaiserlichen im Jahre 1530 ist Freiheit und Verfassung
für immer verloren. Wie konnte man auch an eine Aufrechterhaltung der
Republik denken, in einer Zeit, da bereits — Macchiavell sein Buch vom
Fürsten geschrieben hatte!

Macchiavell und Savonarola! Bedeutet nicht das vielberufene Buch des
florentiner Staatssecretärs den schroffsten Bruch mit dem politisch-religiösen
Ideal des Dominicaners? Ist es nicht aus der gründlichen Verzweiflung an
den überlebten republikanischen Kleinstaaten heraus geschrieben, in welche
sich die Kraft der Nation bis zur Unmacht zersplittert hatte! Und doch ist
dieses Buch aus den Reihen der Volkspartei selbst hervorgegangen, verfaßt
von einem Mann, der unter der Republik Savonarola's gedient und seine
Schule gemacht, aber freilich von Anfang an nüchterner über ihn geurtheilt
hat als alle Anderen. Fünfzehn Jahre nach dem Tod des Propheten gestand
die Republik, daß sie selbst nicht mehr an sich glaube.

In seiner praktischen Laufbahn hat Macchiavelli die verschiedensten Wege
einer Rettung von Florenz und Italien aufgesucht. Durch die furchtbare
Ueberzeugung, die in ihm gereift ist, hält er sich nicht für entbunden, bald
auf diesem bald auf jenem Weg zu versuchen was ihm gerade möglich scheint.
Er räth das eine Mal dem Papst, sich an die Spitze aller italienischen Staaten
zu stellen und sein moralisches Ansehn aufzubieten, um der Welt den Frieden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/165>, abgerufen am 28.09.2024.