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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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diesem Augenblick stutzig. Man beginnt an seiner göttlichen Sendung zu
zweifeln. Als auch während des Processes und der Folterung kein Wunder
geschieht,.ist der Spott wieder obenauf. Selbst seine Brüder, die Mönche
von San Marco, werden irre, neben rührenden Beweisen ausdauernder
Treue steht die Thatsache des Abfalls, und es ist doch zugleich ein Zeugniß
gegen Savonarola selbst, daß auch seine nächsten Schüler und Vertrauten
jenen superstitiösem Glauben an ihn theilen, der jetzt nothwendig in Stücke
gehen muß. Das Jammervollste in dieser ganzen Jammergeschichte ist,
wie die Mönche von San Marco, während ihr Prior die unsinnigsten Qualen
erduldet, sich förmlich von ihm lossagen und jenes schmähliche Schreiben an
den Papst richten, das mit den Worten schließt: "Möge es Ew, Heiligkeit
genügen, den Urheber und das Haupt aller Irrthümer, Fra Girolamo Sa¬
vonarola, in Händen zu haben. Treffe ihn, wenn es eine solche gibt, die
Strafe, welche seiner Ruchlosigkeit entspricht; wir verirrten Schafe kehren zu
dem wahren Hirten zurück."

Aber noch mehr. Dem Märtyrer selbst wird die phantastische Seite des
Prophetenthums. die er krankhaft in sich ausgebildet hat. schließlich ver-
hängnißvoll. Musterhaft hält er aus in dem Proceß, der mit allen Mitteln
der Bosheit und Grausamkeit gegen ihn geführt wird, siegreich weiß er
jeden Zweifel an seiner Rechtgläubigkeit zurückzuweisen, ohne Wanken be¬
kennt er sich zu den Ideen, die er auf dem Concil zu verwirklichen gedachte.
Auch in seinem politischen Leben ist er sich keines Fehis bewußt. Aber in
Einem Punkt beginnt er zu straucheln. Er wird über seine Prophetengabe
zur Rede gestellt, er soll Antwort geben auf die Frage, ob er ein Prophet
sei. Hundertmal hatte er auf der Kanzel diese Frage, bejaht und sich auf
die Erfüllung seiner Weissagungen berufen; aber jetzt, da er den Richtern und
sich selbst nüchterne, klare Rechenschaft ablegen soll, wird er irre, er verliert
die Einheit seines Bewußtseins, verwickelt sich in Widersprüche, in traurige
Sophismen, er gesteht und leugnet, betheuert und schwört ab, und bitter
rächt sich jetzt jene phantastische Ueberzeugung, indem er selbst das Bild seines
Martyriums trübt, das die Nachwelt gern als ein makelloses im Gedächt¬
niß trüge.

Und was ist nun übrig vom Werke des Reformators, als seine Asche
im Arno verstreut ist? Die Sitten der Florentiner werden, nachdem die
künstliche Aufregung vorüber, im Ganzen nicht besser und nicht schlechter ge¬
wesen sein als vor seiner Predigt. Die Anläufe zu einer Kirchenreform haben
sich zu schwach erwiesen. Einen einzigen praktischen Vorschlag hört man aus
dem immer wiederholten Ruf einer Erneuerung der Kirche heraus: den Vor¬
schlag eines Concils; allein auch über die Aufgabe eines Concils bekommt
man immer nur unbestimmte Andeutungen zu hören, mit Ausnahme der


diesem Augenblick stutzig. Man beginnt an seiner göttlichen Sendung zu
zweifeln. Als auch während des Processes und der Folterung kein Wunder
geschieht,.ist der Spott wieder obenauf. Selbst seine Brüder, die Mönche
von San Marco, werden irre, neben rührenden Beweisen ausdauernder
Treue steht die Thatsache des Abfalls, und es ist doch zugleich ein Zeugniß
gegen Savonarola selbst, daß auch seine nächsten Schüler und Vertrauten
jenen superstitiösem Glauben an ihn theilen, der jetzt nothwendig in Stücke
gehen muß. Das Jammervollste in dieser ganzen Jammergeschichte ist,
wie die Mönche von San Marco, während ihr Prior die unsinnigsten Qualen
erduldet, sich förmlich von ihm lossagen und jenes schmähliche Schreiben an
den Papst richten, das mit den Worten schließt: „Möge es Ew, Heiligkeit
genügen, den Urheber und das Haupt aller Irrthümer, Fra Girolamo Sa¬
vonarola, in Händen zu haben. Treffe ihn, wenn es eine solche gibt, die
Strafe, welche seiner Ruchlosigkeit entspricht; wir verirrten Schafe kehren zu
dem wahren Hirten zurück."

Aber noch mehr. Dem Märtyrer selbst wird die phantastische Seite des
Prophetenthums. die er krankhaft in sich ausgebildet hat. schließlich ver-
hängnißvoll. Musterhaft hält er aus in dem Proceß, der mit allen Mitteln
der Bosheit und Grausamkeit gegen ihn geführt wird, siegreich weiß er
jeden Zweifel an seiner Rechtgläubigkeit zurückzuweisen, ohne Wanken be¬
kennt er sich zu den Ideen, die er auf dem Concil zu verwirklichen gedachte.
Auch in seinem politischen Leben ist er sich keines Fehis bewußt. Aber in
Einem Punkt beginnt er zu straucheln. Er wird über seine Prophetengabe
zur Rede gestellt, er soll Antwort geben auf die Frage, ob er ein Prophet
sei. Hundertmal hatte er auf der Kanzel diese Frage, bejaht und sich auf
die Erfüllung seiner Weissagungen berufen; aber jetzt, da er den Richtern und
sich selbst nüchterne, klare Rechenschaft ablegen soll, wird er irre, er verliert
die Einheit seines Bewußtseins, verwickelt sich in Widersprüche, in traurige
Sophismen, er gesteht und leugnet, betheuert und schwört ab, und bitter
rächt sich jetzt jene phantastische Ueberzeugung, indem er selbst das Bild seines
Martyriums trübt, das die Nachwelt gern als ein makelloses im Gedächt¬
niß trüge.

Und was ist nun übrig vom Werke des Reformators, als seine Asche
im Arno verstreut ist? Die Sitten der Florentiner werden, nachdem die
künstliche Aufregung vorüber, im Ganzen nicht besser und nicht schlechter ge¬
wesen sein als vor seiner Predigt. Die Anläufe zu einer Kirchenreform haben
sich zu schwach erwiesen. Einen einzigen praktischen Vorschlag hört man aus
dem immer wiederholten Ruf einer Erneuerung der Kirche heraus: den Vor¬
schlag eines Concils; allein auch über die Aufgabe eines Concils bekommt
man immer nur unbestimmte Andeutungen zu hören, mit Ausnahme der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/164>, abgerufen am 28.09.2024.