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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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zu dictiren. Wir sehen ihn der Reihe nach mit der Volkspartei sich ver¬
schwören wider die Medici, einen Compromiß versuchen zwischen Beiden
und wieder die Partei der Medici ergreifen. Außerhalb der Parteien stehend
hat er es schließlich mit allen verdorben. Aber in jenem in der Einsamkeit
gereisten Werk, das er verborgen hielt so lang er lebte, zeigt er sich von
zwei großen Ideen erfüllt, denen die Zukunft gehörte. Ihm zuerst ging
wieder der Gedanke auf von einem gemeinsamen italienischen Vaterland, zu
dessen Befreiung von der Fremdherrschaft alle, geradezu alle Mittel erlaubt
sein müssen, und warum nicht die Gewalt und das absolute Fürstenthum,
nachdem an den Freistaaten und einzelnen Fürstenthümern die Nation elend
zu Grunde gegangen ist? Und was ist denn der letzte Grund dieser unseligen
Zersplitterung, die das Land zur Beute der Barbaren macht? Nichts An¬
deres als die weltliche Herrschaft des Papstthums im Herzen Italiens. Denn
das Papstthum ist nie so mächtig geworden, um den übrigen Theil Italiens
zu erobern, und nie so schwach, um nicht durch Anrufung eines Fremden sich
gegen den zu schützen, der in Italien zu gewaltig geworden wäre, und so
hat Italien niemals zur Einheit, sei es in Form der Republik oder der
Monarchie, gelangen können. Und indem nun Macchiavelli Zeuge des furcht¬
baren Verfalls der Kirche ist, hofft er Rettung nicht von ihrer Erneuerung,
sondern davon, daß ihre Aufgabe der Staat übernimmt: er verkündigt die
Autonomie des Staatsbegriffs.

An Macchiavelli gehalten ist Savonarola doch nur ein romantischer
Träumer gewesen. Er wollte zurückführen und conserviren, was seinen Halt
im Bewußtsein der Gegenwart verloren hatte. Auch sein Ideal war noch
einmal auf die Vereinigung der beiden Mächte gegründet, die eben jetzt de¬
finitiv auseinandergingen. Denn während Macchiavelli den Staat vollends
der Domäne der Kirche entzog, in derselben Zeit griff Luther die Reform
derselben von Seite der Religion an: eine Theilung der Arbeit, die jenen
mittelalterlichen Idealen für immer ein Ende machte.


Wilhelm Lang.


Vor dein Tressen von Lano/nfccha.

Offenes Sendschreiben an den Archivrath Ouro Klopp über die Ereignisse vor der
Schlacht von Langensalza. Von Camillo von Seebach. Gotha, Perthes 1869.

Diese Schrift des Staatsministers von Coburg-Gotha ist zunächst
veranlaßt durch die Verleumdungen und ungerechten Angriffe, welche die
Haltung des Herzogs bei den Verhandlungen vor jenem Treffen wieder-


zu dictiren. Wir sehen ihn der Reihe nach mit der Volkspartei sich ver¬
schwören wider die Medici, einen Compromiß versuchen zwischen Beiden
und wieder die Partei der Medici ergreifen. Außerhalb der Parteien stehend
hat er es schließlich mit allen verdorben. Aber in jenem in der Einsamkeit
gereisten Werk, das er verborgen hielt so lang er lebte, zeigt er sich von
zwei großen Ideen erfüllt, denen die Zukunft gehörte. Ihm zuerst ging
wieder der Gedanke auf von einem gemeinsamen italienischen Vaterland, zu
dessen Befreiung von der Fremdherrschaft alle, geradezu alle Mittel erlaubt
sein müssen, und warum nicht die Gewalt und das absolute Fürstenthum,
nachdem an den Freistaaten und einzelnen Fürstenthümern die Nation elend
zu Grunde gegangen ist? Und was ist denn der letzte Grund dieser unseligen
Zersplitterung, die das Land zur Beute der Barbaren macht? Nichts An¬
deres als die weltliche Herrschaft des Papstthums im Herzen Italiens. Denn
das Papstthum ist nie so mächtig geworden, um den übrigen Theil Italiens
zu erobern, und nie so schwach, um nicht durch Anrufung eines Fremden sich
gegen den zu schützen, der in Italien zu gewaltig geworden wäre, und so
hat Italien niemals zur Einheit, sei es in Form der Republik oder der
Monarchie, gelangen können. Und indem nun Macchiavelli Zeuge des furcht¬
baren Verfalls der Kirche ist, hofft er Rettung nicht von ihrer Erneuerung,
sondern davon, daß ihre Aufgabe der Staat übernimmt: er verkündigt die
Autonomie des Staatsbegriffs.

An Macchiavelli gehalten ist Savonarola doch nur ein romantischer
Träumer gewesen. Er wollte zurückführen und conserviren, was seinen Halt
im Bewußtsein der Gegenwart verloren hatte. Auch sein Ideal war noch
einmal auf die Vereinigung der beiden Mächte gegründet, die eben jetzt de¬
finitiv auseinandergingen. Denn während Macchiavelli den Staat vollends
der Domäne der Kirche entzog, in derselben Zeit griff Luther die Reform
derselben von Seite der Religion an: eine Theilung der Arbeit, die jenen
mittelalterlichen Idealen für immer ein Ende machte.


Wilhelm Lang.


Vor dein Tressen von Lano/nfccha.

Offenes Sendschreiben an den Archivrath Ouro Klopp über die Ereignisse vor der
Schlacht von Langensalza. Von Camillo von Seebach. Gotha, Perthes 1869.

Diese Schrift des Staatsministers von Coburg-Gotha ist zunächst
veranlaßt durch die Verleumdungen und ungerechten Angriffe, welche die
Haltung des Herzogs bei den Verhandlungen vor jenem Treffen wieder-


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[0166] zu dictiren. Wir sehen ihn der Reihe nach mit der Volkspartei sich ver¬ schwören wider die Medici, einen Compromiß versuchen zwischen Beiden und wieder die Partei der Medici ergreifen. Außerhalb der Parteien stehend hat er es schließlich mit allen verdorben. Aber in jenem in der Einsamkeit gereisten Werk, das er verborgen hielt so lang er lebte, zeigt er sich von zwei großen Ideen erfüllt, denen die Zukunft gehörte. Ihm zuerst ging wieder der Gedanke auf von einem gemeinsamen italienischen Vaterland, zu dessen Befreiung von der Fremdherrschaft alle, geradezu alle Mittel erlaubt sein müssen, und warum nicht die Gewalt und das absolute Fürstenthum, nachdem an den Freistaaten und einzelnen Fürstenthümern die Nation elend zu Grunde gegangen ist? Und was ist denn der letzte Grund dieser unseligen Zersplitterung, die das Land zur Beute der Barbaren macht? Nichts An¬ deres als die weltliche Herrschaft des Papstthums im Herzen Italiens. Denn das Papstthum ist nie so mächtig geworden, um den übrigen Theil Italiens zu erobern, und nie so schwach, um nicht durch Anrufung eines Fremden sich gegen den zu schützen, der in Italien zu gewaltig geworden wäre, und so hat Italien niemals zur Einheit, sei es in Form der Republik oder der Monarchie, gelangen können. Und indem nun Macchiavelli Zeuge des furcht¬ baren Verfalls der Kirche ist, hofft er Rettung nicht von ihrer Erneuerung, sondern davon, daß ihre Aufgabe der Staat übernimmt: er verkündigt die Autonomie des Staatsbegriffs. An Macchiavelli gehalten ist Savonarola doch nur ein romantischer Träumer gewesen. Er wollte zurückführen und conserviren, was seinen Halt im Bewußtsein der Gegenwart verloren hatte. Auch sein Ideal war noch einmal auf die Vereinigung der beiden Mächte gegründet, die eben jetzt de¬ finitiv auseinandergingen. Denn während Macchiavelli den Staat vollends der Domäne der Kirche entzog, in derselben Zeit griff Luther die Reform derselben von Seite der Religion an: eine Theilung der Arbeit, die jenen mittelalterlichen Idealen für immer ein Ende machte. Wilhelm Lang. Vor dein Tressen von Lano/nfccha. Offenes Sendschreiben an den Archivrath Ouro Klopp über die Ereignisse vor der Schlacht von Langensalza. Von Camillo von Seebach. Gotha, Perthes 1869. Diese Schrift des Staatsministers von Coburg-Gotha ist zunächst veranlaßt durch die Verleumdungen und ungerechten Angriffe, welche die Haltung des Herzogs bei den Verhandlungen vor jenem Treffen wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/166>, abgerufen am 28.09.2024.