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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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geschichte von Florenz. Dieselben Motive, die er auf der Kanzel entwickelt,
werden nachher mit denselben Worten in den Rathsverhandlungen wieder¬
holt. Alles redet jetzt die Sprache Savonarola's, es wird kein neues Gesetz
gegeben, ohne daß eine oder mehrere Predigten von ihm vorausgingen, welche
dasselbe begründen: er ist die Seele des Volks, die Seele des Staats ge¬
worden.

Die Verfassung, die noch im December 1494 durch Savonarola's Auto¬
rität zum Stande kam, galt damals als die freisinnigste, die sich denken ließ, als
die vollkommenste Verwirklichung der Freiheit. Heutzutage erscheint sie doch
in einem andern Lichte. Das LousWo eng.MOi'6, das nach dem Vorbild
des venetianischen LonsiZlio sraucle eingesetzt wurde, beruhte zwar nicht wie
in Venedig auf einer abgeschlossenen Geburtsaristokratie, denn diese existirte
in Florenz nicht, aber es nahm doch keineswegs die Gesammtheit der Bürger
daran Theil. Mitglieder desselben waren nur die sogenannten Leneüiiig.ti,
die durch ein altes Gesetz Bevorrechteten, nämlich Diejenigen, welche die drei
höchsten Aemter entweder factisch oder dem Namen nach bekleidet und das
29. Lebensjahr vollendet hatten. Das waren damals etwa 3000 unter den
90,000 Seelen der Stadt. Ausgeschlossen waren die Ltstnali, welche zu
allen Aemtern berechtigt waren (und somit die Vorstufe zu den LeneK-iiati
bildeten), dann die ^Wravo^all, die steuerzahlenden, welche nur das Pri¬
vilegium Waffen zu tragen besaßen, ausgeschlossen endlich das politisch ganz
rechtlose Proletariat. Dieser große Rath war der eigentliche Souverän der
Stadt, er besetzte die alle zwei Monate wechselnde Signoria, aus seiner Mitte
ging der Beirath der Achzig hervor, in seiner Hand ruhte die oberste Ent¬
scheidung über die Gesetze. Man sieht, es war in den politischen Rath¬
schlägen des Mönchs durchaus nichts Utopistisches. Sie verriethen einen
verständigen praktischen Sinn, wie ihn Savonarola auch in der Wiederher¬
stellung des alten Handelsgerichts und in der Reform des Steuerwesens be¬
wies. Er war es, der die Einführung einer gleichmäßigen Grundsteuer durch¬
setzte und den Unzufriedenen gegenüber, die auch hier nicht fehlten und von
der Revolution Aufhebung aller Abgaben erwarteten, nachdrücklich die Pflicht
des Bürgers, zur Erhaltung des Staats beizutragen, einschärfte. In einer
Frage konnte er sogar mit seiner besonneneren Meinung nicht durchdringen,
nämlich in der Justizreform. Unablässig hatte er darauf gedrungen, daß dem
obersten Gericht für Staats- und Criminalverbrechen, den Otto all guarclin.
e dalla, eine Appellationsinstanz beigegeben werde, was bei dem bisher
herrschenden Parteiunwesen dringend nothwendig schien. Allein er wollte,
daß diese Appellation an einen aus dem großen Rath genommenen Ausschuß
von 80 oder 100 Männern gewiesen werden solle, während in der verfassung¬
gebenden Versammlung schließlich die Meinung siegte, daß diese Appellations-


geschichte von Florenz. Dieselben Motive, die er auf der Kanzel entwickelt,
werden nachher mit denselben Worten in den Rathsverhandlungen wieder¬
holt. Alles redet jetzt die Sprache Savonarola's, es wird kein neues Gesetz
gegeben, ohne daß eine oder mehrere Predigten von ihm vorausgingen, welche
dasselbe begründen: er ist die Seele des Volks, die Seele des Staats ge¬
worden.

Die Verfassung, die noch im December 1494 durch Savonarola's Auto¬
rität zum Stande kam, galt damals als die freisinnigste, die sich denken ließ, als
die vollkommenste Verwirklichung der Freiheit. Heutzutage erscheint sie doch
in einem andern Lichte. Das LousWo eng.MOi'6, das nach dem Vorbild
des venetianischen LonsiZlio sraucle eingesetzt wurde, beruhte zwar nicht wie
in Venedig auf einer abgeschlossenen Geburtsaristokratie, denn diese existirte
in Florenz nicht, aber es nahm doch keineswegs die Gesammtheit der Bürger
daran Theil. Mitglieder desselben waren nur die sogenannten Leneüiiig.ti,
die durch ein altes Gesetz Bevorrechteten, nämlich Diejenigen, welche die drei
höchsten Aemter entweder factisch oder dem Namen nach bekleidet und das
29. Lebensjahr vollendet hatten. Das waren damals etwa 3000 unter den
90,000 Seelen der Stadt. Ausgeschlossen waren die Ltstnali, welche zu
allen Aemtern berechtigt waren (und somit die Vorstufe zu den LeneK-iiati
bildeten), dann die ^Wravo^all, die steuerzahlenden, welche nur das Pri¬
vilegium Waffen zu tragen besaßen, ausgeschlossen endlich das politisch ganz
rechtlose Proletariat. Dieser große Rath war der eigentliche Souverän der
Stadt, er besetzte die alle zwei Monate wechselnde Signoria, aus seiner Mitte
ging der Beirath der Achzig hervor, in seiner Hand ruhte die oberste Ent¬
scheidung über die Gesetze. Man sieht, es war in den politischen Rath¬
schlägen des Mönchs durchaus nichts Utopistisches. Sie verriethen einen
verständigen praktischen Sinn, wie ihn Savonarola auch in der Wiederher¬
stellung des alten Handelsgerichts und in der Reform des Steuerwesens be¬
wies. Er war es, der die Einführung einer gleichmäßigen Grundsteuer durch¬
setzte und den Unzufriedenen gegenüber, die auch hier nicht fehlten und von
der Revolution Aufhebung aller Abgaben erwarteten, nachdrücklich die Pflicht
des Bürgers, zur Erhaltung des Staats beizutragen, einschärfte. In einer
Frage konnte er sogar mit seiner besonneneren Meinung nicht durchdringen,
nämlich in der Justizreform. Unablässig hatte er darauf gedrungen, daß dem
obersten Gericht für Staats- und Criminalverbrechen, den Otto all guarclin.
e dalla, eine Appellationsinstanz beigegeben werde, was bei dem bisher
herrschenden Parteiunwesen dringend nothwendig schien. Allein er wollte,
daß diese Appellation an einen aus dem großen Rath genommenen Ausschuß
von 80 oder 100 Männern gewiesen werden solle, während in der verfassung¬
gebenden Versammlung schließlich die Meinung siegte, daß diese Appellations-


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[0153] geschichte von Florenz. Dieselben Motive, die er auf der Kanzel entwickelt, werden nachher mit denselben Worten in den Rathsverhandlungen wieder¬ holt. Alles redet jetzt die Sprache Savonarola's, es wird kein neues Gesetz gegeben, ohne daß eine oder mehrere Predigten von ihm vorausgingen, welche dasselbe begründen: er ist die Seele des Volks, die Seele des Staats ge¬ worden. Die Verfassung, die noch im December 1494 durch Savonarola's Auto¬ rität zum Stande kam, galt damals als die freisinnigste, die sich denken ließ, als die vollkommenste Verwirklichung der Freiheit. Heutzutage erscheint sie doch in einem andern Lichte. Das LousWo eng.MOi'6, das nach dem Vorbild des venetianischen LonsiZlio sraucle eingesetzt wurde, beruhte zwar nicht wie in Venedig auf einer abgeschlossenen Geburtsaristokratie, denn diese existirte in Florenz nicht, aber es nahm doch keineswegs die Gesammtheit der Bürger daran Theil. Mitglieder desselben waren nur die sogenannten Leneüiiig.ti, die durch ein altes Gesetz Bevorrechteten, nämlich Diejenigen, welche die drei höchsten Aemter entweder factisch oder dem Namen nach bekleidet und das 29. Lebensjahr vollendet hatten. Das waren damals etwa 3000 unter den 90,000 Seelen der Stadt. Ausgeschlossen waren die Ltstnali, welche zu allen Aemtern berechtigt waren (und somit die Vorstufe zu den LeneK-iiati bildeten), dann die ^Wravo^all, die steuerzahlenden, welche nur das Pri¬ vilegium Waffen zu tragen besaßen, ausgeschlossen endlich das politisch ganz rechtlose Proletariat. Dieser große Rath war der eigentliche Souverän der Stadt, er besetzte die alle zwei Monate wechselnde Signoria, aus seiner Mitte ging der Beirath der Achzig hervor, in seiner Hand ruhte die oberste Ent¬ scheidung über die Gesetze. Man sieht, es war in den politischen Rath¬ schlägen des Mönchs durchaus nichts Utopistisches. Sie verriethen einen verständigen praktischen Sinn, wie ihn Savonarola auch in der Wiederher¬ stellung des alten Handelsgerichts und in der Reform des Steuerwesens be¬ wies. Er war es, der die Einführung einer gleichmäßigen Grundsteuer durch¬ setzte und den Unzufriedenen gegenüber, die auch hier nicht fehlten und von der Revolution Aufhebung aller Abgaben erwarteten, nachdrücklich die Pflicht des Bürgers, zur Erhaltung des Staats beizutragen, einschärfte. In einer Frage konnte er sogar mit seiner besonneneren Meinung nicht durchdringen, nämlich in der Justizreform. Unablässig hatte er darauf gedrungen, daß dem obersten Gericht für Staats- und Criminalverbrechen, den Otto all guarclin. e dalla, eine Appellationsinstanz beigegeben werde, was bei dem bisher herrschenden Parteiunwesen dringend nothwendig schien. Allein er wollte, daß diese Appellation an einen aus dem großen Rath genommenen Ausschuß von 80 oder 100 Männern gewiesen werden solle, während in der verfassung¬ gebenden Versammlung schließlich die Meinung siegte, daß diese Appellations-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/153>, abgerufen am 28.09.2024.