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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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instanz der große Rath selbst sein solle. Zu diesem Beschluß vereinigten sich
bezeichnenderweise -- ein übles Vorzeichen für die Zukunft -- die Extremen
der Volkspartei und die Optimatenpartei, letztere von der Berechnung ge¬
leitet, daß, wenn die Menge selbst zum Richter in den wichtigsten Processen
eingesetzt werde, dies leicht Gelegenheit zu Unordnungen schaffen werde, aus
welchen sie hoffen konnten, für einen Umsturz der Verfassung Nutzen zu ziehen.
Man durfte dies als einen ersten Sieg der wider die Verfassung Verschwore¬
nen betrachten, die sür jetzt noch auf diese versteckte Art des Kampfes an¬
gewiesen waren, deren planmäßige Agitationen aber doch schon von jetzt an
sich verfolgen lassen.

Der Schlußstein der neuen Verfassung war die Abschaffung der Parla¬
mente, welche, als die Uebertreibung des demokratischen Princips, stets die
bequemste Handhabe für gewaltsame Umwälzungen abgegeben hatten. Das
Parlament war nämlich eine Art von nichtorganisirtem allgemeinen Stimm¬
recht, die durch die große Glocke zusammengerufene tumultuarische Versamm¬
lung aller Bürger, welche unter dem Schein, der souveräne Meinungsaus¬
druck des ganzen Volks zu sein, von ehrgeizigen Usurpatoren als Mittel des
Staatsstreichs gebraucht wurde. Nachdem die Verfassung gegründet war,
konnte ein Parlament nur den Zweck haben, diese Verfassung umzustürzen. Sie
schien sür immer gesichert, wenn die Parlamente gesetzlich abgeschafft waren.
Ohne Zweifel war es die Wahrnehmung, daß die Gegner der Republik be¬
reits sich regten, was Savonarola bei der Betreibung dieses Gesetzes zu
ganz besonderer Leidenschaft hinriß. Daß nun diese Verfassung die beste war,
welche Florenz in den langen Jahren, seiner stürmischen Geschichte sich zu
geben wußte, daß unter ihr Freiheit und Friede am gesichertsten waren,
ist das einstimmige Zeugniß aller großen Florentiner, die freilich in den
Zeiten der bereits verlorenen Freiheit schrieben und denen das verlorene Gut
um so kostbarer schien. Geschichtschreiber und Staatsrechtslehrer, wenn sie
alle Verfassungsformen geprüft und die ganze Geschichte überdacht hatten,
kamen immer wieder darauf zurück, daß es nichts Besseres gebe als den
großen Rath und die Verfassung von 149t. Eine wahrhaft schwärmerische
Verehrung umgab sie noch lange Jahre. Von Michel Angelo, der gleichfalls
zur Vvlkspartn hielt und später, nach dem definitiven Fall dep Republik,
mit den florentinischen Ausgewanderten in Rom lebte, scherzten die Freunde,
daß er gar nicht mehr aufhören könne, wenn er auf das Lou8iglio gr^nah
zu reden komme. Heute wird man, weniger überschwänglich, das Urtheil
nur dahin abgeben können, daß diese Verfassung die beste war, so lange der
Geist in der Bürgerschaft anhielt, welchen Savonarola zu wecken verstand.
Aber er selbst sollte noch den Abfall erleben; auch hier zeigte sich, daß nie
und nirgends die Form einer Verfassung hinreicht, die Freiheit zu sichern.




instanz der große Rath selbst sein solle. Zu diesem Beschluß vereinigten sich
bezeichnenderweise — ein übles Vorzeichen für die Zukunft — die Extremen
der Volkspartei und die Optimatenpartei, letztere von der Berechnung ge¬
leitet, daß, wenn die Menge selbst zum Richter in den wichtigsten Processen
eingesetzt werde, dies leicht Gelegenheit zu Unordnungen schaffen werde, aus
welchen sie hoffen konnten, für einen Umsturz der Verfassung Nutzen zu ziehen.
Man durfte dies als einen ersten Sieg der wider die Verfassung Verschwore¬
nen betrachten, die sür jetzt noch auf diese versteckte Art des Kampfes an¬
gewiesen waren, deren planmäßige Agitationen aber doch schon von jetzt an
sich verfolgen lassen.

Der Schlußstein der neuen Verfassung war die Abschaffung der Parla¬
mente, welche, als die Uebertreibung des demokratischen Princips, stets die
bequemste Handhabe für gewaltsame Umwälzungen abgegeben hatten. Das
Parlament war nämlich eine Art von nichtorganisirtem allgemeinen Stimm¬
recht, die durch die große Glocke zusammengerufene tumultuarische Versamm¬
lung aller Bürger, welche unter dem Schein, der souveräne Meinungsaus¬
druck des ganzen Volks zu sein, von ehrgeizigen Usurpatoren als Mittel des
Staatsstreichs gebraucht wurde. Nachdem die Verfassung gegründet war,
konnte ein Parlament nur den Zweck haben, diese Verfassung umzustürzen. Sie
schien sür immer gesichert, wenn die Parlamente gesetzlich abgeschafft waren.
Ohne Zweifel war es die Wahrnehmung, daß die Gegner der Republik be¬
reits sich regten, was Savonarola bei der Betreibung dieses Gesetzes zu
ganz besonderer Leidenschaft hinriß. Daß nun diese Verfassung die beste war,
welche Florenz in den langen Jahren, seiner stürmischen Geschichte sich zu
geben wußte, daß unter ihr Freiheit und Friede am gesichertsten waren,
ist das einstimmige Zeugniß aller großen Florentiner, die freilich in den
Zeiten der bereits verlorenen Freiheit schrieben und denen das verlorene Gut
um so kostbarer schien. Geschichtschreiber und Staatsrechtslehrer, wenn sie
alle Verfassungsformen geprüft und die ganze Geschichte überdacht hatten,
kamen immer wieder darauf zurück, daß es nichts Besseres gebe als den
großen Rath und die Verfassung von 149t. Eine wahrhaft schwärmerische
Verehrung umgab sie noch lange Jahre. Von Michel Angelo, der gleichfalls
zur Vvlkspartn hielt und später, nach dem definitiven Fall dep Republik,
mit den florentinischen Ausgewanderten in Rom lebte, scherzten die Freunde,
daß er gar nicht mehr aufhören könne, wenn er auf das Lou8iglio gr^nah
zu reden komme. Heute wird man, weniger überschwänglich, das Urtheil
nur dahin abgeben können, daß diese Verfassung die beste war, so lange der
Geist in der Bürgerschaft anhielt, welchen Savonarola zu wecken verstand.
Aber er selbst sollte noch den Abfall erleben; auch hier zeigte sich, daß nie
und nirgends die Form einer Verfassung hinreicht, die Freiheit zu sichern.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/154>, abgerufen am 28.09.2024.