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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Buße, zu der Eintracht, zu den guten Werken der Liebe allmälig auch
politische Rathschläge sich einmischen. Zuerst noch in ganz allgemeiner Weise.
"Vor Allem" ruft er den Florentinern zu, "machet ein Gesetz, daß sich die
Kaufläden wieder öffnen und dem Volk Arbeit gegeben werde." Und dann:
"Der Herr will, daß ihr Alles erneuert, daß ihr alles Vergangene vernichtet,
daß Nichts bleibe von den schlechten Gebräuchen, den schlechten Gesetzen und
den schlechten Regierungen." Aber das unbedingte Vertrauen des Volks und
die Rathlostgkeit der Gesetzgeber führen ihn weiter, auch in ihm wächst das
Selbstvertrauen und es erscheint ihm, der es nie gesucht hat, Pflicht, sich in
die Staatsangelegenheiten zu mischen, "weil es für das Heil der Seelen
nothwendig ist." In der Predigt vom 12. December 1494 geht er direct zur
Politik über, er erörtert die verschiedenen Staatsformen und führt aus, daß
für Florenz nur eine Republik auf breitester Grundlage passe. Ganz in der
Weise jener älteren Mönche donnert er wider die Tyrannen, die Verderber
ihrer eigenen Seele und der Seele des Volks. Florenz ist die auserwählte
Stadt, von der die Reform Italiens und weiterhin der ganzen Welt ihren
Ausgang nehmen wird. Aber nur dann, wenn die Herzen gereinigt und
Gottes Gebote erfüllt werden, denn die Reform muß von den geistlichen
Dingen ausgehen, alles weltliche Wohl muß dem moralischen und religiösen
dienen, es gibt keine gute Verfassung, die nicht auf Gott selbst zurückgeführt
wird. Schließlich empfiehlt er die Einsetzung eines großen Raths nach Art
des venetianischen, als Organ des allgemeinen Volkswillens, von dem alle
Behörden zu ernennen, alle Gesetze zu bestätigen seien.

Wenn Savonarola eine möglichst demokratische Regierungsform wollte,
so kam dies den Wünschen der Florentiner entgegen, welche Nichts mehr von
der Medicäerherrschaft wissen wollten, und er blieb zugleich in den Traditio¬
nen der Bettelorden, welche, wesentlich ein demokratisches Institut, immer
die Sache des Volks gegen die Tyrannen geführt hatten. Er selbst hatte
von seiner Liebe zur Freiheit schon dem gefürchteten Lorenzo gegenüber, der
ihm wohlwollend gesinnt war, Proben abgelegt. Nur durch die Demokratie
schien ihm die Entwickelung jener Bürgertugenden, jenes Geistes hingebender
Selbstverleugnung möglich, die ihm als das Ziel der Reform vorschwebte
oder die er ein anderes Mal auch zur Vorbedingung derselben machte. Denn
beides war ihm untrennbar verbunden. In den Predigten, die er nun in
demselben Sinne fortsetzte, war er sich bewußt als Bote Gottes zu reden,
er berief sich auf die Autorität, die er durch seine erfüllten Prophezeiungen
sich erworben, nicht er war es. der diese Verfassung empfahl, sondern Gott
selbst, der durch seinen Mund redete. So siegten die Vorschläge des Mönchs
über die mehr aristokratischen Entwürfe der Staatsgelehrten. Seine Predigten
in dieser Zeit sind der beste Commentar zu der damaligen Verfassungs-


Buße, zu der Eintracht, zu den guten Werken der Liebe allmälig auch
politische Rathschläge sich einmischen. Zuerst noch in ganz allgemeiner Weise.
„Vor Allem" ruft er den Florentinern zu, „machet ein Gesetz, daß sich die
Kaufläden wieder öffnen und dem Volk Arbeit gegeben werde." Und dann:
„Der Herr will, daß ihr Alles erneuert, daß ihr alles Vergangene vernichtet,
daß Nichts bleibe von den schlechten Gebräuchen, den schlechten Gesetzen und
den schlechten Regierungen." Aber das unbedingte Vertrauen des Volks und
die Rathlostgkeit der Gesetzgeber führen ihn weiter, auch in ihm wächst das
Selbstvertrauen und es erscheint ihm, der es nie gesucht hat, Pflicht, sich in
die Staatsangelegenheiten zu mischen, „weil es für das Heil der Seelen
nothwendig ist." In der Predigt vom 12. December 1494 geht er direct zur
Politik über, er erörtert die verschiedenen Staatsformen und führt aus, daß
für Florenz nur eine Republik auf breitester Grundlage passe. Ganz in der
Weise jener älteren Mönche donnert er wider die Tyrannen, die Verderber
ihrer eigenen Seele und der Seele des Volks. Florenz ist die auserwählte
Stadt, von der die Reform Italiens und weiterhin der ganzen Welt ihren
Ausgang nehmen wird. Aber nur dann, wenn die Herzen gereinigt und
Gottes Gebote erfüllt werden, denn die Reform muß von den geistlichen
Dingen ausgehen, alles weltliche Wohl muß dem moralischen und religiösen
dienen, es gibt keine gute Verfassung, die nicht auf Gott selbst zurückgeführt
wird. Schließlich empfiehlt er die Einsetzung eines großen Raths nach Art
des venetianischen, als Organ des allgemeinen Volkswillens, von dem alle
Behörden zu ernennen, alle Gesetze zu bestätigen seien.

Wenn Savonarola eine möglichst demokratische Regierungsform wollte,
so kam dies den Wünschen der Florentiner entgegen, welche Nichts mehr von
der Medicäerherrschaft wissen wollten, und er blieb zugleich in den Traditio¬
nen der Bettelorden, welche, wesentlich ein demokratisches Institut, immer
die Sache des Volks gegen die Tyrannen geführt hatten. Er selbst hatte
von seiner Liebe zur Freiheit schon dem gefürchteten Lorenzo gegenüber, der
ihm wohlwollend gesinnt war, Proben abgelegt. Nur durch die Demokratie
schien ihm die Entwickelung jener Bürgertugenden, jenes Geistes hingebender
Selbstverleugnung möglich, die ihm als das Ziel der Reform vorschwebte
oder die er ein anderes Mal auch zur Vorbedingung derselben machte. Denn
beides war ihm untrennbar verbunden. In den Predigten, die er nun in
demselben Sinne fortsetzte, war er sich bewußt als Bote Gottes zu reden,
er berief sich auf die Autorität, die er durch seine erfüllten Prophezeiungen
sich erworben, nicht er war es. der diese Verfassung empfahl, sondern Gott
selbst, der durch seinen Mund redete. So siegten die Vorschläge des Mönchs
über die mehr aristokratischen Entwürfe der Staatsgelehrten. Seine Predigten
in dieser Zeit sind der beste Commentar zu der damaligen Verfassungs-


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[0152] Buße, zu der Eintracht, zu den guten Werken der Liebe allmälig auch politische Rathschläge sich einmischen. Zuerst noch in ganz allgemeiner Weise. „Vor Allem" ruft er den Florentinern zu, „machet ein Gesetz, daß sich die Kaufläden wieder öffnen und dem Volk Arbeit gegeben werde." Und dann: „Der Herr will, daß ihr Alles erneuert, daß ihr alles Vergangene vernichtet, daß Nichts bleibe von den schlechten Gebräuchen, den schlechten Gesetzen und den schlechten Regierungen." Aber das unbedingte Vertrauen des Volks und die Rathlostgkeit der Gesetzgeber führen ihn weiter, auch in ihm wächst das Selbstvertrauen und es erscheint ihm, der es nie gesucht hat, Pflicht, sich in die Staatsangelegenheiten zu mischen, „weil es für das Heil der Seelen nothwendig ist." In der Predigt vom 12. December 1494 geht er direct zur Politik über, er erörtert die verschiedenen Staatsformen und führt aus, daß für Florenz nur eine Republik auf breitester Grundlage passe. Ganz in der Weise jener älteren Mönche donnert er wider die Tyrannen, die Verderber ihrer eigenen Seele und der Seele des Volks. Florenz ist die auserwählte Stadt, von der die Reform Italiens und weiterhin der ganzen Welt ihren Ausgang nehmen wird. Aber nur dann, wenn die Herzen gereinigt und Gottes Gebote erfüllt werden, denn die Reform muß von den geistlichen Dingen ausgehen, alles weltliche Wohl muß dem moralischen und religiösen dienen, es gibt keine gute Verfassung, die nicht auf Gott selbst zurückgeführt wird. Schließlich empfiehlt er die Einsetzung eines großen Raths nach Art des venetianischen, als Organ des allgemeinen Volkswillens, von dem alle Behörden zu ernennen, alle Gesetze zu bestätigen seien. Wenn Savonarola eine möglichst demokratische Regierungsform wollte, so kam dies den Wünschen der Florentiner entgegen, welche Nichts mehr von der Medicäerherrschaft wissen wollten, und er blieb zugleich in den Traditio¬ nen der Bettelorden, welche, wesentlich ein demokratisches Institut, immer die Sache des Volks gegen die Tyrannen geführt hatten. Er selbst hatte von seiner Liebe zur Freiheit schon dem gefürchteten Lorenzo gegenüber, der ihm wohlwollend gesinnt war, Proben abgelegt. Nur durch die Demokratie schien ihm die Entwickelung jener Bürgertugenden, jenes Geistes hingebender Selbstverleugnung möglich, die ihm als das Ziel der Reform vorschwebte oder die er ein anderes Mal auch zur Vorbedingung derselben machte. Denn beides war ihm untrennbar verbunden. In den Predigten, die er nun in demselben Sinne fortsetzte, war er sich bewußt als Bote Gottes zu reden, er berief sich auf die Autorität, die er durch seine erfüllten Prophezeiungen sich erworben, nicht er war es. der diese Verfassung empfahl, sondern Gott selbst, der durch seinen Mund redete. So siegten die Vorschläge des Mönchs über die mehr aristokratischen Entwürfe der Staatsgelehrten. Seine Predigten in dieser Zeit sind der beste Commentar zu der damaligen Verfassungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/152>, abgerufen am 28.09.2024.