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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Kreuzzug gegen die Ungläubigen, zu welchem die Eroberung Neapels nur
der erste Schritt sei. Auch damals hatten' die Welsen von Florenz dem
fremden Fürsten entgegengejauchzt und das Heer der provenxalischen Ritter
verstärkt. Innere Parteisucht bereitete dem Tyrannen den Weg, den der
Papst gerufen hatte, um das nationalitalienische Königthum, zu dessen Träger
sich Manfred gemacht und von welchem das Papstthum den eigenen Unter¬
gang ahnte, zu vernichten. Wie eine erste Warnung an die Völker Italiens
war jener Zug Kalk's von Anjou gewesen. Allein seitdem waren durch die
unaufhörlichen Fehden die Kräfte Italiens so gänzlich erschöpft, daß Nie¬
mand an ernstlichen Widerstand gegen das kopflose Unternehmen Karl's dachte,
und so völlig erloschen war das Nationalgefühl, daß man, und nicht blos
in Florenz, dem fremden Eroberer als einem Befreier des Volks entgegen¬
jubelte. Es war wohl allgemein ein Gefühl von entsetzlichen Leiden, die be¬
vorständen, vorhanden, aber Niemand schien zu ahnen, daß eben mit dem
Zug König Karl's jene lange Kette unheilvoller Ereignisse begann, welche
von da an sür lange Zeiten das politische Leben Italiens vernichteten. Jede
Provinz, jede Stadt, jede Familie dachte nur an sich, nirgends ein Ge¬
danke an das gemeinsame Vaterland. Die Volkspartei in Florenz war kurz¬
sichtig genug, sich unter einer neuen republikanischen Verfassung geborgen zu
glauben, als ob das vereinzelte Gemeinwesen, wie immer seine Verfassung
War, nicht nothwendig hätte in die Kämpfe hineingerissen werden müssen,
in denen es sich um die Herrschaft der ganzen Halbinsel handelte.

Die Sympathien der Florentiner für Karl kühlten sich freilich in Bälde
ab, als man erfuhr, daß er Verhandlungen mit dem vertriebenen Pietro
pflog und die Empörung Pisas gegen Florenz begünstigte, woraus jener
lange unheilvolle Krieg zwischen den zwei Schwesterrepubliken sich entspann.
Das wurde nicht besser, als die Franzosen in Florenz einzogen und man
ihren Uevermuth und ihre Habsucht in der Nähe kennen lernte. Aber bei
allem Mißtrauen lag den Florentinern viel an der Freundschaft des Königs
und sie erkauften dieselbe theuer genug durch den Vertrag, der erst nach
langen Verhandlungen zu Stande kam und welcher dem König den Titel
"Wiederhersteller und Beschützer der florentinischen Freiheit" übertrug. Als
der König endlich die Stadt verlassen hatte, auf die Ausforderung Savona-
rola's, keine Zeit für die Durchführung seiner göttlichen Sendung zu ver¬
lieren, herrschte die Volkspartei allein in der Stadt, und Savonarola war
ihre Seele.

Es läßt sich in den Predigten Savonarola's verfolgen, wie -- unter
dem Zwang der Lage, die ihn gebieterisch zum ersten Berather des Volks
machte, und in einer Zeit, da die Schwierigkeiten, eine neue Verfassung zu
finden, unüberwindlich schienen -- in die allgemeinen Ermahnungen zur


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Kreuzzug gegen die Ungläubigen, zu welchem die Eroberung Neapels nur
der erste Schritt sei. Auch damals hatten' die Welsen von Florenz dem
fremden Fürsten entgegengejauchzt und das Heer der provenxalischen Ritter
verstärkt. Innere Parteisucht bereitete dem Tyrannen den Weg, den der
Papst gerufen hatte, um das nationalitalienische Königthum, zu dessen Träger
sich Manfred gemacht und von welchem das Papstthum den eigenen Unter¬
gang ahnte, zu vernichten. Wie eine erste Warnung an die Völker Italiens
war jener Zug Kalk's von Anjou gewesen. Allein seitdem waren durch die
unaufhörlichen Fehden die Kräfte Italiens so gänzlich erschöpft, daß Nie¬
mand an ernstlichen Widerstand gegen das kopflose Unternehmen Karl's dachte,
und so völlig erloschen war das Nationalgefühl, daß man, und nicht blos
in Florenz, dem fremden Eroberer als einem Befreier des Volks entgegen¬
jubelte. Es war wohl allgemein ein Gefühl von entsetzlichen Leiden, die be¬
vorständen, vorhanden, aber Niemand schien zu ahnen, daß eben mit dem
Zug König Karl's jene lange Kette unheilvoller Ereignisse begann, welche
von da an sür lange Zeiten das politische Leben Italiens vernichteten. Jede
Provinz, jede Stadt, jede Familie dachte nur an sich, nirgends ein Ge¬
danke an das gemeinsame Vaterland. Die Volkspartei in Florenz war kurz¬
sichtig genug, sich unter einer neuen republikanischen Verfassung geborgen zu
glauben, als ob das vereinzelte Gemeinwesen, wie immer seine Verfassung
War, nicht nothwendig hätte in die Kämpfe hineingerissen werden müssen,
in denen es sich um die Herrschaft der ganzen Halbinsel handelte.

Die Sympathien der Florentiner für Karl kühlten sich freilich in Bälde
ab, als man erfuhr, daß er Verhandlungen mit dem vertriebenen Pietro
pflog und die Empörung Pisas gegen Florenz begünstigte, woraus jener
lange unheilvolle Krieg zwischen den zwei Schwesterrepubliken sich entspann.
Das wurde nicht besser, als die Franzosen in Florenz einzogen und man
ihren Uevermuth und ihre Habsucht in der Nähe kennen lernte. Aber bei
allem Mißtrauen lag den Florentinern viel an der Freundschaft des Königs
und sie erkauften dieselbe theuer genug durch den Vertrag, der erst nach
langen Verhandlungen zu Stande kam und welcher dem König den Titel
„Wiederhersteller und Beschützer der florentinischen Freiheit" übertrug. Als
der König endlich die Stadt verlassen hatte, auf die Ausforderung Savona-
rola's, keine Zeit für die Durchführung seiner göttlichen Sendung zu ver¬
lieren, herrschte die Volkspartei allein in der Stadt, und Savonarola war
ihre Seele.

Es läßt sich in den Predigten Savonarola's verfolgen, wie — unter
dem Zwang der Lage, die ihn gebieterisch zum ersten Berather des Volks
machte, und in einer Zeit, da die Schwierigkeiten, eine neue Verfassung zu
finden, unüberwindlich schienen — in die allgemeinen Ermahnungen zur


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[0151] Kreuzzug gegen die Ungläubigen, zu welchem die Eroberung Neapels nur der erste Schritt sei. Auch damals hatten' die Welsen von Florenz dem fremden Fürsten entgegengejauchzt und das Heer der provenxalischen Ritter verstärkt. Innere Parteisucht bereitete dem Tyrannen den Weg, den der Papst gerufen hatte, um das nationalitalienische Königthum, zu dessen Träger sich Manfred gemacht und von welchem das Papstthum den eigenen Unter¬ gang ahnte, zu vernichten. Wie eine erste Warnung an die Völker Italiens war jener Zug Kalk's von Anjou gewesen. Allein seitdem waren durch die unaufhörlichen Fehden die Kräfte Italiens so gänzlich erschöpft, daß Nie¬ mand an ernstlichen Widerstand gegen das kopflose Unternehmen Karl's dachte, und so völlig erloschen war das Nationalgefühl, daß man, und nicht blos in Florenz, dem fremden Eroberer als einem Befreier des Volks entgegen¬ jubelte. Es war wohl allgemein ein Gefühl von entsetzlichen Leiden, die be¬ vorständen, vorhanden, aber Niemand schien zu ahnen, daß eben mit dem Zug König Karl's jene lange Kette unheilvoller Ereignisse begann, welche von da an sür lange Zeiten das politische Leben Italiens vernichteten. Jede Provinz, jede Stadt, jede Familie dachte nur an sich, nirgends ein Ge¬ danke an das gemeinsame Vaterland. Die Volkspartei in Florenz war kurz¬ sichtig genug, sich unter einer neuen republikanischen Verfassung geborgen zu glauben, als ob das vereinzelte Gemeinwesen, wie immer seine Verfassung War, nicht nothwendig hätte in die Kämpfe hineingerissen werden müssen, in denen es sich um die Herrschaft der ganzen Halbinsel handelte. Die Sympathien der Florentiner für Karl kühlten sich freilich in Bälde ab, als man erfuhr, daß er Verhandlungen mit dem vertriebenen Pietro pflog und die Empörung Pisas gegen Florenz begünstigte, woraus jener lange unheilvolle Krieg zwischen den zwei Schwesterrepubliken sich entspann. Das wurde nicht besser, als die Franzosen in Florenz einzogen und man ihren Uevermuth und ihre Habsucht in der Nähe kennen lernte. Aber bei allem Mißtrauen lag den Florentinern viel an der Freundschaft des Königs und sie erkauften dieselbe theuer genug durch den Vertrag, der erst nach langen Verhandlungen zu Stande kam und welcher dem König den Titel „Wiederhersteller und Beschützer der florentinischen Freiheit" übertrug. Als der König endlich die Stadt verlassen hatte, auf die Ausforderung Savona- rola's, keine Zeit für die Durchführung seiner göttlichen Sendung zu ver¬ lieren, herrschte die Volkspartei allein in der Stadt, und Savonarola war ihre Seele. Es läßt sich in den Predigten Savonarola's verfolgen, wie — unter dem Zwang der Lage, die ihn gebieterisch zum ersten Berather des Volks machte, und in einer Zeit, da die Schwierigkeiten, eine neue Verfassung zu finden, unüberwindlich schienen — in die allgemeinen Ermahnungen zur 18"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/151>, abgerufen am 28.09.2024.