Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mung. Einiges Neue ergänzt in dankenswerther Weise die preußischen Mit¬
theilungen, auch bekannte Hauptsachen treten in schärferer Beleuchtung heraus.

Da die militärischen Ereignisse des Feldzugs in der Hauptsache als be¬
kannt vorausgesetzt werden dürfen, wird genügen, in kurzen Zügen den Ver¬
lauf auf Grund der beiden Staatsschriften zu charakterisiren. Daß Preußen
durch seine Heeresorganisation befähigt war, unmittelbar nach jener ver-
hängnißvollen Bundessitzung vom 14. Juni die militärischen Operationen zu
beginnen, glich zum großen Theil die Ungunst aus, in welche der Staat
durch seine geographische Lage bei jedem deutschen Kriege versetzt werden
mußte. Die Halbsouveränen Staaten des alten deutschen Bundes hatten bis
dahin ohne das Recht über Krieg und Frieden und mit einer durch den
Bund -- wenn auch ungenügend -- beaufsichtigten militärischen Verfassung
sich in den inneren Angelegenheiten selbst regiert, sie waren dem Ausland
gegenüber in Wahrheit nie selbständig gewesen, in den Principien ihrer Ver¬
waltung und der inneren Gesetzgebung zeitweise durch den Bund beaufsich¬
tigt und beschränkt worden, in dem größten Theil ihrer Verkehrsinteressen
als Mitglieder des Zollvereins fest an Preußen gebunden. Unter dem Schutz
solcher Abhängigkeit hatten sie durch 60 Jahre existirt und waren der fran¬
zösischen oder russischen Herrschaft deshalb entgangen, weil die preußischen
Regimenter am Rhein und an der Weichsel auch für sie auf Wache standen.
Als Preußen ihnen in den letzten Wochen vor der Katastrophe ein neues
Bundesverhältniß anbot, welches den alten und erlauchten Herrscherfamilien
dieser Gebiete ihren Landbesitz garantiren, ihre Landeshoheit nur in einigen
Punkten beschränken wollte, aber Oestreichs Nebenregierung ausschloß, dawaren
die Forderungen Preußens nach preußischem Interesse immer noch ungenügend,
weil Preußen auch dadurch für das ganze Bundesgebiet wohl die gefährlichen
Pflichten, nicht die vollen Rechte der Oberhoheit erhalten hätte. Aber diese
Zumuthung erschien dem fürstlichen Selbstgefühl der kleinen Dynastien den¬
noch unerträglich und es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß so
wenigen von den Regenten und Angehörigen der kleinen Staaten eine deut¬
liche Einsicht in die bisherigen Grundlagen ihrer politischen Existenz ver¬
gönnt war.

Es ist richtig, Preußen war bei jedem deutschen Kriege genöthigt, als
Eroberer aufzutreten, wenn es sich selbst erhalten wollte, und dem Minister
der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin wurden kühne, ja abenteuerliche
Pläne zugeschrieben, aber in Wahrheit war die Politik Preußens seit dem
Jahre 1850 auf die Defensive zurückgedrängt; in Oestreich war man nach
den Erfolgen von Olmütz und dem verunglückten Fürstentag von Frankfurt
des Dualismus müde und hielt die Schleswig-holstein'schen Wirren für sehr
geeignet, um mit Hilfe der deutschen Regierungen das alte kaiserliche Prin-


mung. Einiges Neue ergänzt in dankenswerther Weise die preußischen Mit¬
theilungen, auch bekannte Hauptsachen treten in schärferer Beleuchtung heraus.

Da die militärischen Ereignisse des Feldzugs in der Hauptsache als be¬
kannt vorausgesetzt werden dürfen, wird genügen, in kurzen Zügen den Ver¬
lauf auf Grund der beiden Staatsschriften zu charakterisiren. Daß Preußen
durch seine Heeresorganisation befähigt war, unmittelbar nach jener ver-
hängnißvollen Bundessitzung vom 14. Juni die militärischen Operationen zu
beginnen, glich zum großen Theil die Ungunst aus, in welche der Staat
durch seine geographische Lage bei jedem deutschen Kriege versetzt werden
mußte. Die Halbsouveränen Staaten des alten deutschen Bundes hatten bis
dahin ohne das Recht über Krieg und Frieden und mit einer durch den
Bund — wenn auch ungenügend — beaufsichtigten militärischen Verfassung
sich in den inneren Angelegenheiten selbst regiert, sie waren dem Ausland
gegenüber in Wahrheit nie selbständig gewesen, in den Principien ihrer Ver¬
waltung und der inneren Gesetzgebung zeitweise durch den Bund beaufsich¬
tigt und beschränkt worden, in dem größten Theil ihrer Verkehrsinteressen
als Mitglieder des Zollvereins fest an Preußen gebunden. Unter dem Schutz
solcher Abhängigkeit hatten sie durch 60 Jahre existirt und waren der fran¬
zösischen oder russischen Herrschaft deshalb entgangen, weil die preußischen
Regimenter am Rhein und an der Weichsel auch für sie auf Wache standen.
Als Preußen ihnen in den letzten Wochen vor der Katastrophe ein neues
Bundesverhältniß anbot, welches den alten und erlauchten Herrscherfamilien
dieser Gebiete ihren Landbesitz garantiren, ihre Landeshoheit nur in einigen
Punkten beschränken wollte, aber Oestreichs Nebenregierung ausschloß, dawaren
die Forderungen Preußens nach preußischem Interesse immer noch ungenügend,
weil Preußen auch dadurch für das ganze Bundesgebiet wohl die gefährlichen
Pflichten, nicht die vollen Rechte der Oberhoheit erhalten hätte. Aber diese
Zumuthung erschien dem fürstlichen Selbstgefühl der kleinen Dynastien den¬
noch unerträglich und es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß so
wenigen von den Regenten und Angehörigen der kleinen Staaten eine deut¬
liche Einsicht in die bisherigen Grundlagen ihrer politischen Existenz ver¬
gönnt war.

Es ist richtig, Preußen war bei jedem deutschen Kriege genöthigt, als
Eroberer aufzutreten, wenn es sich selbst erhalten wollte, und dem Minister
der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin wurden kühne, ja abenteuerliche
Pläne zugeschrieben, aber in Wahrheit war die Politik Preußens seit dem
Jahre 1850 auf die Defensive zurückgedrängt; in Oestreich war man nach
den Erfolgen von Olmütz und dem verunglückten Fürstentag von Frankfurt
des Dualismus müde und hielt die Schleswig-holstein'schen Wirren für sehr
geeignet, um mit Hilfe der deutschen Regierungen das alte kaiserliche Prin-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120206"/>
          <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> mung. Einiges Neue ergänzt in dankenswerther Weise die preußischen Mit¬<lb/>
theilungen, auch bekannte Hauptsachen treten in schärferer Beleuchtung heraus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_17"> Da die militärischen Ereignisse des Feldzugs in der Hauptsache als be¬<lb/>
kannt vorausgesetzt werden dürfen, wird genügen, in kurzen Zügen den Ver¬<lb/>
lauf auf Grund der beiden Staatsschriften zu charakterisiren. Daß Preußen<lb/>
durch seine Heeresorganisation befähigt war, unmittelbar nach jener ver-<lb/>
hängnißvollen Bundessitzung vom 14. Juni die militärischen Operationen zu<lb/>
beginnen, glich zum großen Theil die Ungunst aus, in welche der Staat<lb/>
durch seine geographische Lage bei jedem deutschen Kriege versetzt werden<lb/>
mußte. Die Halbsouveränen Staaten des alten deutschen Bundes hatten bis<lb/>
dahin ohne das Recht über Krieg und Frieden und mit einer durch den<lb/>
Bund &#x2014; wenn auch ungenügend &#x2014; beaufsichtigten militärischen Verfassung<lb/>
sich in den inneren Angelegenheiten selbst regiert, sie waren dem Ausland<lb/>
gegenüber in Wahrheit nie selbständig gewesen, in den Principien ihrer Ver¬<lb/>
waltung und der inneren Gesetzgebung zeitweise durch den Bund beaufsich¬<lb/>
tigt und beschränkt worden, in dem größten Theil ihrer Verkehrsinteressen<lb/>
als Mitglieder des Zollvereins fest an Preußen gebunden. Unter dem Schutz<lb/>
solcher Abhängigkeit hatten sie durch 60 Jahre existirt und waren der fran¬<lb/>
zösischen oder russischen Herrschaft deshalb entgangen, weil die preußischen<lb/>
Regimenter am Rhein und an der Weichsel auch für sie auf Wache standen.<lb/>
Als Preußen ihnen in den letzten Wochen vor der Katastrophe ein neues<lb/>
Bundesverhältniß anbot, welches den alten und erlauchten Herrscherfamilien<lb/>
dieser Gebiete ihren Landbesitz garantiren, ihre Landeshoheit nur in einigen<lb/>
Punkten beschränken wollte, aber Oestreichs Nebenregierung ausschloß, dawaren<lb/>
die Forderungen Preußens nach preußischem Interesse immer noch ungenügend,<lb/>
weil Preußen auch dadurch für das ganze Bundesgebiet wohl die gefährlichen<lb/>
Pflichten, nicht die vollen Rechte der Oberhoheit erhalten hätte. Aber diese<lb/>
Zumuthung erschien dem fürstlichen Selbstgefühl der kleinen Dynastien den¬<lb/>
noch unerträglich und es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß so<lb/>
wenigen von den Regenten und Angehörigen der kleinen Staaten eine deut¬<lb/>
liche Einsicht in die bisherigen Grundlagen ihrer politischen Existenz ver¬<lb/>
gönnt war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_18" next="#ID_19"> Es ist richtig, Preußen war bei jedem deutschen Kriege genöthigt, als<lb/>
Eroberer aufzutreten, wenn es sich selbst erhalten wollte, und dem Minister<lb/>
der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin wurden kühne, ja abenteuerliche<lb/>
Pläne zugeschrieben, aber in Wahrheit war die Politik Preußens seit dem<lb/>
Jahre 1850 auf die Defensive zurückgedrängt; in Oestreich war man nach<lb/>
den Erfolgen von Olmütz und dem verunglückten Fürstentag von Frankfurt<lb/>
des Dualismus müde und hielt die Schleswig-holstein'schen Wirren für sehr<lb/>
geeignet, um mit Hilfe der deutschen Regierungen das alte kaiserliche Prin-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] mung. Einiges Neue ergänzt in dankenswerther Weise die preußischen Mit¬ theilungen, auch bekannte Hauptsachen treten in schärferer Beleuchtung heraus. Da die militärischen Ereignisse des Feldzugs in der Hauptsache als be¬ kannt vorausgesetzt werden dürfen, wird genügen, in kurzen Zügen den Ver¬ lauf auf Grund der beiden Staatsschriften zu charakterisiren. Daß Preußen durch seine Heeresorganisation befähigt war, unmittelbar nach jener ver- hängnißvollen Bundessitzung vom 14. Juni die militärischen Operationen zu beginnen, glich zum großen Theil die Ungunst aus, in welche der Staat durch seine geographische Lage bei jedem deutschen Kriege versetzt werden mußte. Die Halbsouveränen Staaten des alten deutschen Bundes hatten bis dahin ohne das Recht über Krieg und Frieden und mit einer durch den Bund — wenn auch ungenügend — beaufsichtigten militärischen Verfassung sich in den inneren Angelegenheiten selbst regiert, sie waren dem Ausland gegenüber in Wahrheit nie selbständig gewesen, in den Principien ihrer Ver¬ waltung und der inneren Gesetzgebung zeitweise durch den Bund beaufsich¬ tigt und beschränkt worden, in dem größten Theil ihrer Verkehrsinteressen als Mitglieder des Zollvereins fest an Preußen gebunden. Unter dem Schutz solcher Abhängigkeit hatten sie durch 60 Jahre existirt und waren der fran¬ zösischen oder russischen Herrschaft deshalb entgangen, weil die preußischen Regimenter am Rhein und an der Weichsel auch für sie auf Wache standen. Als Preußen ihnen in den letzten Wochen vor der Katastrophe ein neues Bundesverhältniß anbot, welches den alten und erlauchten Herrscherfamilien dieser Gebiete ihren Landbesitz garantiren, ihre Landeshoheit nur in einigen Punkten beschränken wollte, aber Oestreichs Nebenregierung ausschloß, dawaren die Forderungen Preußens nach preußischem Interesse immer noch ungenügend, weil Preußen auch dadurch für das ganze Bundesgebiet wohl die gefährlichen Pflichten, nicht die vollen Rechte der Oberhoheit erhalten hätte. Aber diese Zumuthung erschien dem fürstlichen Selbstgefühl der kleinen Dynastien den¬ noch unerträglich und es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß so wenigen von den Regenten und Angehörigen der kleinen Staaten eine deut¬ liche Einsicht in die bisherigen Grundlagen ihrer politischen Existenz ver¬ gönnt war. Es ist richtig, Preußen war bei jedem deutschen Kriege genöthigt, als Eroberer aufzutreten, wenn es sich selbst erhalten wollte, und dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin wurden kühne, ja abenteuerliche Pläne zugeschrieben, aber in Wahrheit war die Politik Preußens seit dem Jahre 1850 auf die Defensive zurückgedrängt; in Oestreich war man nach den Erfolgen von Olmütz und dem verunglückten Fürstentag von Frankfurt des Dualismus müde und hielt die Schleswig-holstein'schen Wirren für sehr geeignet, um mit Hilfe der deutschen Regierungen das alte kaiserliche Prin-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/13>, abgerufen am 28.09.2024.