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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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lung Nichts zuzusetzen haben, eher Einiges zu mildern. Ja hier soll nicht ge¬
leugnet werden, daß in diesem Preisgeben der obersten Armeeleitung Etwas
ist, was den Leser verletzt. Es ist wahr. Feldzeugmeister Benedek ist zwei¬
mal einem verhängnisvollen Irrthum versallen. Er hatte am Abend des 27. Juni
und sogar noch am Morgen des 3. Juli kein deutliches Bild von der Gefahr,
welche der Anmarsch der zweiten preußischen Armee seinem Heere bereitete.
Das war ein Fehler des Urtheils, verhängnißvoll für die Kriegsoperarionen
und seinen Feldherrnruf. Aber es war eine schwache Stelle in der Intelligenz
eines tüchtigen Soldaten, welche ihm die Fremden bloßlegen mögen, vorder
aber eine schonende Behandlung durch seine eigenen Kriegskameraden geziemt
hätte; denn wenn er auch die ganze Verantwortung zu tragen hatte, die
Schuld fällt nicht vorzugsweise auf ihn. Daß in dem östreichischen Heere
kein dem preußischen entsprechendes Institut für die Intelligenz des General¬
stabes bestand, dafür ist nicht der Feldherr verantwortlich zu machen, welcher
wenige Wochen vorher zum Oberbefehl befohlen worden war; wie verlautet,
obgleich er selbst Zweifel ausgesprochen hatte, daß er bei der Beschaffenheit
des östreichischen Heeres der Mann für solche Aufgabe sei. Dazu kommt,
daß er sofort nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges dafür in einer
Weise gestraft wurde, welche in modernen Staaten unerhört ist. Daß
er von der Presse und durch die schwächliche öffentliche Meinung in
Oestreich unwürdig behandelt ward, war noch nicht so schlimm, als das
officielle Urtheil, welches in einem Tageblatte ihn preisgab, wie ein Sühn¬
opfer, welches dem Volke hingeworfen wurde, um von andern Uebelständen
in Heer und Staat den Unwillen auf ein Haupt zu leiten. Denn an Vielem,
weshalb man ihn außerdem verklagt, war er unschuldig. Jenes berüchtigte
Telegramm vom 30. z. B. über den zerrütteten Zustand des Corps Clam-Gallas
und der Sachsen war keine Unwahrheit, durch welche der Feldzeugmeister
) seine Rückzugsbewegungen rechtfertigen wollte, sondern nur Wiederholung
eines Telegramms, welches er selbst vom Erzherzog Ernst, Commandeur des
dritten Corps, erhalten hatte. Auch-hier rächte sich, daß alle Tageseindrücke,
welche der ungeheure Heerkörper in das Hauptquartier sendete, nicht durch
einen gescheidten Generalstab dem Oberbefehlshaber geordnet und zurecht
gelegt wurden. Sogar Napoleon hörte auf ein siegreicher Feldherr zu sein,
seit Auge und Urtheil seines Generalstabes für ihn die Bedeutung verloren
hatten.

Daß in der östreichischen Erzählung die einzelnen Gefechtsmomente oft
anders aussehen, als in der preußischen, ist selbstverständlich; auch hier ist
das Bestreben natürlich, im Einzelnen die wackere Haltung der eigenen Trup¬
pen hervorzuheben, über Mißlungenes schonend wegzugehen. In den letzten
Resultaten ist zwischen beiden Berichten jede wünschenswerthe Uebereinstim-


lung Nichts zuzusetzen haben, eher Einiges zu mildern. Ja hier soll nicht ge¬
leugnet werden, daß in diesem Preisgeben der obersten Armeeleitung Etwas
ist, was den Leser verletzt. Es ist wahr. Feldzeugmeister Benedek ist zwei¬
mal einem verhängnisvollen Irrthum versallen. Er hatte am Abend des 27. Juni
und sogar noch am Morgen des 3. Juli kein deutliches Bild von der Gefahr,
welche der Anmarsch der zweiten preußischen Armee seinem Heere bereitete.
Das war ein Fehler des Urtheils, verhängnißvoll für die Kriegsoperarionen
und seinen Feldherrnruf. Aber es war eine schwache Stelle in der Intelligenz
eines tüchtigen Soldaten, welche ihm die Fremden bloßlegen mögen, vorder
aber eine schonende Behandlung durch seine eigenen Kriegskameraden geziemt
hätte; denn wenn er auch die ganze Verantwortung zu tragen hatte, die
Schuld fällt nicht vorzugsweise auf ihn. Daß in dem östreichischen Heere
kein dem preußischen entsprechendes Institut für die Intelligenz des General¬
stabes bestand, dafür ist nicht der Feldherr verantwortlich zu machen, welcher
wenige Wochen vorher zum Oberbefehl befohlen worden war; wie verlautet,
obgleich er selbst Zweifel ausgesprochen hatte, daß er bei der Beschaffenheit
des östreichischen Heeres der Mann für solche Aufgabe sei. Dazu kommt,
daß er sofort nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges dafür in einer
Weise gestraft wurde, welche in modernen Staaten unerhört ist. Daß
er von der Presse und durch die schwächliche öffentliche Meinung in
Oestreich unwürdig behandelt ward, war noch nicht so schlimm, als das
officielle Urtheil, welches in einem Tageblatte ihn preisgab, wie ein Sühn¬
opfer, welches dem Volke hingeworfen wurde, um von andern Uebelständen
in Heer und Staat den Unwillen auf ein Haupt zu leiten. Denn an Vielem,
weshalb man ihn außerdem verklagt, war er unschuldig. Jenes berüchtigte
Telegramm vom 30. z. B. über den zerrütteten Zustand des Corps Clam-Gallas
und der Sachsen war keine Unwahrheit, durch welche der Feldzeugmeister
) seine Rückzugsbewegungen rechtfertigen wollte, sondern nur Wiederholung
eines Telegramms, welches er selbst vom Erzherzog Ernst, Commandeur des
dritten Corps, erhalten hatte. Auch-hier rächte sich, daß alle Tageseindrücke,
welche der ungeheure Heerkörper in das Hauptquartier sendete, nicht durch
einen gescheidten Generalstab dem Oberbefehlshaber geordnet und zurecht
gelegt wurden. Sogar Napoleon hörte auf ein siegreicher Feldherr zu sein,
seit Auge und Urtheil seines Generalstabes für ihn die Bedeutung verloren
hatten.

Daß in der östreichischen Erzählung die einzelnen Gefechtsmomente oft
anders aussehen, als in der preußischen, ist selbstverständlich; auch hier ist
das Bestreben natürlich, im Einzelnen die wackere Haltung der eigenen Trup¬
pen hervorzuheben, über Mißlungenes schonend wegzugehen. In den letzten
Resultaten ist zwischen beiden Berichten jede wünschenswerthe Uebereinstim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/12>, abgerufen am 28.09.2024.