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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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wahrheitsgetreue Darstellung aller Einzelheiten zu geben. Und es wird wahr¬
scheinlich berechtigten und unberechtigten Ansprüchen der Mithandelnden am
wenigsten genügen. Aus den Verbesserungen und Nachträgen des preußischen
Berichtes vermögen wir zu schließen, wie massenhaft die Reclamationen und
Ansprüche der einzelnen Befehlshaber und Truppentheile sich erheben. Jeder
fordert in der Darstellung des Ganzen seinen Bruchtheil Ehre völlig und
reichlich. Und in Hinsicht darauf mag es kaum eine undankbarere Arbeit
geben,--Auch andere Rücksichten hat solche geschichtliche Arbeit zu nehmen:
sie ist eine. Staatsschrift und in gewissem Sinne soll sie eine Parteischrift sein.
Ihr liegt ob, zu schonen. sie muß Vieles verschweigen, es ist selbstverständ¬
lich, daß die nachtheiligen Gefechtsmomente in ihr zwar ehrlich angedeutet,
aber nicht mit demselben Behagen erzählt sind, mit welchem sie eine Helden¬
that, einen schönen Erfolg hervorhebt. Innerhalb dieser gebotenen Grenzen
nun ist das Werk des preußischen Generalstabs eine sehr gründliche und be¬
deutende Arbeit, des besten Lobes werth. Einfach, klar, sicher und offen im
Urtheil, hochgesinnt auch dem Gegner, macht sie mit großen Umrissen die
gesammte Linienführung in dem Bilde dieses Feldzuges verständlich. Sie ge¬
währt auch dem Laien beste Belehrung und ernste Freude. Das Walten eines
großen Schicksals und was wir Sterbliche Spiel des Zufalls nennen, die
Disposition ungeheurer Massen und das Zusammenarbeiten wohlgegliederter
Truppenkörper zu einheitlichem Plane, und über Allem ein leitender, sicherer,
wundervoll scharfsinniger Geist werden aus dem sausenden Schwunge der
zahllosen Räder, welche die ungeheure Maschine des Krieges bilden, erkennbar.

Kaum geringeres Lob verdient der Band des östreichischen Berichtes,
welcher den böhmischen Krieg bis nach der Schlacht von Königgrätz darstellt;
er zeigt in Ton und Behandlung einen sehr wohlthuenden Fortschritt gegen die
gereizte Polemik des ersten Bandes. Auch er ist mit militärischer Präcision
und Offenheit geschrieben, in der wackern Ueberzeugung, daß dem Geschicht¬
schreiber das Beschönigen und Bemänteln bei so großem Unglück nicht ziemt.
Seine Aufgabe wurde um Vieles erleichtert, weil ihm die früher erschienene
preußische Schrift zu Grunde gelegt werden konnte -- man sieht, daß dies
durchgängig geschehen ist und daß sie an vielen Stellen auch die östreichische
Kritik beeinflußt hat. Nach anderer Richtung freilich war die Aufgabe
um so schwerer, denn es galt, ein großes Unglück der eigenen Armee zu
erklären. Der östreichische Generalstab faßte seine Aufgabe so, daß er die
Sache des Heeres als der bleibenden Staatsinstitution, welcher er selbst
angehört, zu vertreten habe, und er opferte deshalb die oberste Führung der
Armee. Mit militärischer Kürze, aber sehr entschieden werden die Maßregeln
des Feldzeugmeisters Benedek verurtheilt, der nicht mehr in dienstlicher Stel¬
lung ist. Und in der Hauptsache so schonungslos, daß wir dieser Beurthei¬


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wahrheitsgetreue Darstellung aller Einzelheiten zu geben. Und es wird wahr¬
scheinlich berechtigten und unberechtigten Ansprüchen der Mithandelnden am
wenigsten genügen. Aus den Verbesserungen und Nachträgen des preußischen
Berichtes vermögen wir zu schließen, wie massenhaft die Reclamationen und
Ansprüche der einzelnen Befehlshaber und Truppentheile sich erheben. Jeder
fordert in der Darstellung des Ganzen seinen Bruchtheil Ehre völlig und
reichlich. Und in Hinsicht darauf mag es kaum eine undankbarere Arbeit
geben,—Auch andere Rücksichten hat solche geschichtliche Arbeit zu nehmen:
sie ist eine. Staatsschrift und in gewissem Sinne soll sie eine Parteischrift sein.
Ihr liegt ob, zu schonen. sie muß Vieles verschweigen, es ist selbstverständ¬
lich, daß die nachtheiligen Gefechtsmomente in ihr zwar ehrlich angedeutet,
aber nicht mit demselben Behagen erzählt sind, mit welchem sie eine Helden¬
that, einen schönen Erfolg hervorhebt. Innerhalb dieser gebotenen Grenzen
nun ist das Werk des preußischen Generalstabs eine sehr gründliche und be¬
deutende Arbeit, des besten Lobes werth. Einfach, klar, sicher und offen im
Urtheil, hochgesinnt auch dem Gegner, macht sie mit großen Umrissen die
gesammte Linienführung in dem Bilde dieses Feldzuges verständlich. Sie ge¬
währt auch dem Laien beste Belehrung und ernste Freude. Das Walten eines
großen Schicksals und was wir Sterbliche Spiel des Zufalls nennen, die
Disposition ungeheurer Massen und das Zusammenarbeiten wohlgegliederter
Truppenkörper zu einheitlichem Plane, und über Allem ein leitender, sicherer,
wundervoll scharfsinniger Geist werden aus dem sausenden Schwunge der
zahllosen Räder, welche die ungeheure Maschine des Krieges bilden, erkennbar.

Kaum geringeres Lob verdient der Band des östreichischen Berichtes,
welcher den böhmischen Krieg bis nach der Schlacht von Königgrätz darstellt;
er zeigt in Ton und Behandlung einen sehr wohlthuenden Fortschritt gegen die
gereizte Polemik des ersten Bandes. Auch er ist mit militärischer Präcision
und Offenheit geschrieben, in der wackern Ueberzeugung, daß dem Geschicht¬
schreiber das Beschönigen und Bemänteln bei so großem Unglück nicht ziemt.
Seine Aufgabe wurde um Vieles erleichtert, weil ihm die früher erschienene
preußische Schrift zu Grunde gelegt werden konnte — man sieht, daß dies
durchgängig geschehen ist und daß sie an vielen Stellen auch die östreichische
Kritik beeinflußt hat. Nach anderer Richtung freilich war die Aufgabe
um so schwerer, denn es galt, ein großes Unglück der eigenen Armee zu
erklären. Der östreichische Generalstab faßte seine Aufgabe so, daß er die
Sache des Heeres als der bleibenden Staatsinstitution, welcher er selbst
angehört, zu vertreten habe, und er opferte deshalb die oberste Führung der
Armee. Mit militärischer Kürze, aber sehr entschieden werden die Maßregeln
des Feldzeugmeisters Benedek verurtheilt, der nicht mehr in dienstlicher Stel¬
lung ist. Und in der Hauptsache so schonungslos, daß wir dieser Beurthei¬


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/11>, abgerufen am 28.09.2024.