Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mancher noch nicht recht ausgesöhnter Bewohner der neuen Provinz Hessen
daran Etwas von der Moral des heiligen Crispinus kleben, da eine ihrer
Städte dafür geopfert werden müßte; auch würden ein Paar industrielle
Unternehmungen in großem Stile dieselben Dienste leisten. Allein wir geben
zu, daß der Gedanke seine tiefere Berechtigung hat. Wir betrachten Frank¬
furt nicht blos, wie Viele sich jetzt zu thun gewöhnt haben, als den Ent¬
stehungsort jener Schandpresse, welche 1866 den Zorn der preußischen Offi-
ciere reizte, oder als eine große Wechselbank sür östreichische und amerikanische
Coupons, sondern wir sehen in ihm auch die Geburtsstätte Göthe's und die
Heimath eines Bürgersinnes, der tüchtige Kunstinstitute, bedeutende Hospi¬
täler, vortreffliche Schulen gegründet hat und dessen Engherzigkeit eine fast
unvermeidliche Folge der politischen Jsolirung war. Ausgabe der preußischen
Regierung ist es, diesen Bürgersinn nicht in dumpfer Trauer über das Ver¬
lorene verkommen zu lassen, sondern ihn neu zu beleben und ihm eine Rich¬
tung auf das große Ganze zu geben. Kein unwesentlicher Hebel dazu würde
es sein, wenn in Frankfurt Anstalten begründet würden, deren Wirkungs¬
kreis nicht blos auf das Gebiet dieser Stadt beschränkt wäre, sondern auf den
gesammten Staat sich erstreckte, so daß sie wie unwillkürlich das Interesse
auf diesen lenken müßten; doch eine Universität halten wir aus den oben
angeführten Gründen für dazu ungeeignet. Wir mögen ohne nähere Kenntniß
der Verhältnisse nicht entscheiden, ob etwa die eine oder andere der gewerb¬
lichen und künstlerischen Anstalten, welche gegenwärtig in der preußischen
Hauptstadt vereinigt sind, ohne Nachtheil nach Frankfurt verpflanzt werden
könnte, obwohl wir es im Allgemeinen für möglich halten sollten. Aber ein
Anderes wollen wir wenigstens Allen, die es angeht, zur Erwägung anheim¬
stellen. Es bestehen in Berlin zwei wissenschaftliche Institute, deren naher
Zusammenhang mit einander weder dem einen noch dem andern förder¬
lich ist: die Universität und die Akademie der Wissenschaften. Bei den An¬
stellungen an der berliner Universität wirkt der Gedanke an die gleichzeitige
Thätigkeit in der Akademie zuweilen etwas mehr mit als für die unmittelbaren
Lehrzwecke wünschenswert!) ist; viel schwerer aber wiegt, daß die Akademie
einen zu localen Zuschnitt hat, gewissermaßen nur einen wissenschaftlichen
Ausschuß der berliner Universität darstellt. Das Preußen von 1866 verträgt
einer wissenschaftlichen Centralanstalt von umfassenderen Dimensionen, größerem
Reichthum der Aufgaben, minder localen Charakter; eine solche kann aber
sehr wohl an einem Orte gedacht werden, an welchem keine Universität
besteht. Wir denken sie uns als einen Verein bedeutenderer Gelehrter, welche
den größten Theil ihres Lebens der Lehrthätigkeit gewidmet haben und
durch die Vocation an eine solche Akademie die Möglichkeit gewinnen mit
völlig auskömmlichen Gehalte und in ruhiger Muße ihre eigenen litera-


mancher noch nicht recht ausgesöhnter Bewohner der neuen Provinz Hessen
daran Etwas von der Moral des heiligen Crispinus kleben, da eine ihrer
Städte dafür geopfert werden müßte; auch würden ein Paar industrielle
Unternehmungen in großem Stile dieselben Dienste leisten. Allein wir geben
zu, daß der Gedanke seine tiefere Berechtigung hat. Wir betrachten Frank¬
furt nicht blos, wie Viele sich jetzt zu thun gewöhnt haben, als den Ent¬
stehungsort jener Schandpresse, welche 1866 den Zorn der preußischen Offi-
ciere reizte, oder als eine große Wechselbank sür östreichische und amerikanische
Coupons, sondern wir sehen in ihm auch die Geburtsstätte Göthe's und die
Heimath eines Bürgersinnes, der tüchtige Kunstinstitute, bedeutende Hospi¬
täler, vortreffliche Schulen gegründet hat und dessen Engherzigkeit eine fast
unvermeidliche Folge der politischen Jsolirung war. Ausgabe der preußischen
Regierung ist es, diesen Bürgersinn nicht in dumpfer Trauer über das Ver¬
lorene verkommen zu lassen, sondern ihn neu zu beleben und ihm eine Rich¬
tung auf das große Ganze zu geben. Kein unwesentlicher Hebel dazu würde
es sein, wenn in Frankfurt Anstalten begründet würden, deren Wirkungs¬
kreis nicht blos auf das Gebiet dieser Stadt beschränkt wäre, sondern auf den
gesammten Staat sich erstreckte, so daß sie wie unwillkürlich das Interesse
auf diesen lenken müßten; doch eine Universität halten wir aus den oben
angeführten Gründen für dazu ungeeignet. Wir mögen ohne nähere Kenntniß
der Verhältnisse nicht entscheiden, ob etwa die eine oder andere der gewerb¬
lichen und künstlerischen Anstalten, welche gegenwärtig in der preußischen
Hauptstadt vereinigt sind, ohne Nachtheil nach Frankfurt verpflanzt werden
könnte, obwohl wir es im Allgemeinen für möglich halten sollten. Aber ein
Anderes wollen wir wenigstens Allen, die es angeht, zur Erwägung anheim¬
stellen. Es bestehen in Berlin zwei wissenschaftliche Institute, deren naher
Zusammenhang mit einander weder dem einen noch dem andern förder¬
lich ist: die Universität und die Akademie der Wissenschaften. Bei den An¬
stellungen an der berliner Universität wirkt der Gedanke an die gleichzeitige
Thätigkeit in der Akademie zuweilen etwas mehr mit als für die unmittelbaren
Lehrzwecke wünschenswert!) ist; viel schwerer aber wiegt, daß die Akademie
einen zu localen Zuschnitt hat, gewissermaßen nur einen wissenschaftlichen
Ausschuß der berliner Universität darstellt. Das Preußen von 1866 verträgt
einer wissenschaftlichen Centralanstalt von umfassenderen Dimensionen, größerem
Reichthum der Aufgaben, minder localen Charakter; eine solche kann aber
sehr wohl an einem Orte gedacht werden, an welchem keine Universität
besteht. Wir denken sie uns als einen Verein bedeutenderer Gelehrter, welche
den größten Theil ihres Lebens der Lehrthätigkeit gewidmet haben und
durch die Vocation an eine solche Akademie die Möglichkeit gewinnen mit
völlig auskömmlichen Gehalte und in ruhiger Muße ihre eigenen litera-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120301"/>
          <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298"> mancher noch nicht recht ausgesöhnter Bewohner der neuen Provinz Hessen<lb/>
daran Etwas von der Moral des heiligen Crispinus kleben, da eine ihrer<lb/>
Städte dafür geopfert werden müßte; auch würden ein Paar industrielle<lb/>
Unternehmungen in großem Stile dieselben Dienste leisten. Allein wir geben<lb/>
zu, daß der Gedanke seine tiefere Berechtigung hat. Wir betrachten Frank¬<lb/>
furt nicht blos, wie Viele sich jetzt zu thun gewöhnt haben, als den Ent¬<lb/>
stehungsort jener Schandpresse, welche 1866 den Zorn der preußischen Offi-<lb/>
ciere reizte, oder als eine große Wechselbank sür östreichische und amerikanische<lb/>
Coupons, sondern wir sehen in ihm auch die Geburtsstätte Göthe's und die<lb/>
Heimath eines Bürgersinnes, der tüchtige Kunstinstitute, bedeutende Hospi¬<lb/>
täler, vortreffliche Schulen gegründet hat und dessen Engherzigkeit eine fast<lb/>
unvermeidliche Folge der politischen Jsolirung war. Ausgabe der preußischen<lb/>
Regierung ist es, diesen Bürgersinn nicht in dumpfer Trauer über das Ver¬<lb/>
lorene verkommen zu lassen, sondern ihn neu zu beleben und ihm eine Rich¬<lb/>
tung auf das große Ganze zu geben. Kein unwesentlicher Hebel dazu würde<lb/>
es sein, wenn in Frankfurt Anstalten begründet würden, deren Wirkungs¬<lb/>
kreis nicht blos auf das Gebiet dieser Stadt beschränkt wäre, sondern auf den<lb/>
gesammten Staat sich erstreckte, so daß sie wie unwillkürlich das Interesse<lb/>
auf diesen lenken müßten; doch eine Universität halten wir aus den oben<lb/>
angeführten Gründen für dazu ungeeignet. Wir mögen ohne nähere Kenntniß<lb/>
der Verhältnisse nicht entscheiden, ob etwa die eine oder andere der gewerb¬<lb/>
lichen und künstlerischen Anstalten, welche gegenwärtig in der preußischen<lb/>
Hauptstadt vereinigt sind, ohne Nachtheil nach Frankfurt verpflanzt werden<lb/>
könnte, obwohl wir es im Allgemeinen für möglich halten sollten. Aber ein<lb/>
Anderes wollen wir wenigstens Allen, die es angeht, zur Erwägung anheim¬<lb/>
stellen. Es bestehen in Berlin zwei wissenschaftliche Institute, deren naher<lb/>
Zusammenhang mit einander weder dem einen noch dem andern förder¬<lb/>
lich ist: die Universität und die Akademie der Wissenschaften. Bei den An¬<lb/>
stellungen an der berliner Universität wirkt der Gedanke an die gleichzeitige<lb/>
Thätigkeit in der Akademie zuweilen etwas mehr mit als für die unmittelbaren<lb/>
Lehrzwecke wünschenswert!) ist; viel schwerer aber wiegt, daß die Akademie<lb/>
einen zu localen Zuschnitt hat, gewissermaßen nur einen wissenschaftlichen<lb/>
Ausschuß der berliner Universität darstellt. Das Preußen von 1866 verträgt<lb/>
einer wissenschaftlichen Centralanstalt von umfassenderen Dimensionen, größerem<lb/>
Reichthum der Aufgaben, minder localen Charakter; eine solche kann aber<lb/>
sehr wohl an einem Orte gedacht werden, an welchem keine Universität<lb/>
besteht. Wir denken sie uns als einen Verein bedeutenderer Gelehrter, welche<lb/>
den größten Theil ihres Lebens der Lehrthätigkeit gewidmet haben und<lb/>
durch die Vocation an eine solche Akademie die Möglichkeit gewinnen mit<lb/>
völlig auskömmlichen Gehalte und in ruhiger Muße ihre eigenen litera-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] mancher noch nicht recht ausgesöhnter Bewohner der neuen Provinz Hessen daran Etwas von der Moral des heiligen Crispinus kleben, da eine ihrer Städte dafür geopfert werden müßte; auch würden ein Paar industrielle Unternehmungen in großem Stile dieselben Dienste leisten. Allein wir geben zu, daß der Gedanke seine tiefere Berechtigung hat. Wir betrachten Frank¬ furt nicht blos, wie Viele sich jetzt zu thun gewöhnt haben, als den Ent¬ stehungsort jener Schandpresse, welche 1866 den Zorn der preußischen Offi- ciere reizte, oder als eine große Wechselbank sür östreichische und amerikanische Coupons, sondern wir sehen in ihm auch die Geburtsstätte Göthe's und die Heimath eines Bürgersinnes, der tüchtige Kunstinstitute, bedeutende Hospi¬ täler, vortreffliche Schulen gegründet hat und dessen Engherzigkeit eine fast unvermeidliche Folge der politischen Jsolirung war. Ausgabe der preußischen Regierung ist es, diesen Bürgersinn nicht in dumpfer Trauer über das Ver¬ lorene verkommen zu lassen, sondern ihn neu zu beleben und ihm eine Rich¬ tung auf das große Ganze zu geben. Kein unwesentlicher Hebel dazu würde es sein, wenn in Frankfurt Anstalten begründet würden, deren Wirkungs¬ kreis nicht blos auf das Gebiet dieser Stadt beschränkt wäre, sondern auf den gesammten Staat sich erstreckte, so daß sie wie unwillkürlich das Interesse auf diesen lenken müßten; doch eine Universität halten wir aus den oben angeführten Gründen für dazu ungeeignet. Wir mögen ohne nähere Kenntniß der Verhältnisse nicht entscheiden, ob etwa die eine oder andere der gewerb¬ lichen und künstlerischen Anstalten, welche gegenwärtig in der preußischen Hauptstadt vereinigt sind, ohne Nachtheil nach Frankfurt verpflanzt werden könnte, obwohl wir es im Allgemeinen für möglich halten sollten. Aber ein Anderes wollen wir wenigstens Allen, die es angeht, zur Erwägung anheim¬ stellen. Es bestehen in Berlin zwei wissenschaftliche Institute, deren naher Zusammenhang mit einander weder dem einen noch dem andern förder¬ lich ist: die Universität und die Akademie der Wissenschaften. Bei den An¬ stellungen an der berliner Universität wirkt der Gedanke an die gleichzeitige Thätigkeit in der Akademie zuweilen etwas mehr mit als für die unmittelbaren Lehrzwecke wünschenswert!) ist; viel schwerer aber wiegt, daß die Akademie einen zu localen Zuschnitt hat, gewissermaßen nur einen wissenschaftlichen Ausschuß der berliner Universität darstellt. Das Preußen von 1866 verträgt einer wissenschaftlichen Centralanstalt von umfassenderen Dimensionen, größerem Reichthum der Aufgaben, minder localen Charakter; eine solche kann aber sehr wohl an einem Orte gedacht werden, an welchem keine Universität besteht. Wir denken sie uns als einen Verein bedeutenderer Gelehrter, welche den größten Theil ihres Lebens der Lehrthätigkeit gewidmet haben und durch die Vocation an eine solche Akademie die Möglichkeit gewinnen mit völlig auskömmlichen Gehalte und in ruhiger Muße ihre eigenen litera-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/112>, abgerufen am 28.09.2024.