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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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und die mannigfachste Gelegenheit haben auf einander einzuwirken. Die be¬
absichtigte neue Mainuniversität müßte Heidelberg nothwendig Abbruch thun,
ohne doch gerade in dieser Beziehung seine Wirksamkeit ersetzen zu können.
Während bei den nationalgesinnten Heidelberger Professoren Niemand etwas
Anderes als unabhängige Ueberzeugung voraussetzt, würden die Süddeutschen
die vom preußischen Staate angestellten frankfurter Lehrer von vorn herein
als befangen betrachten und nicht unterlassen über die officielle politische
Missionsanstalt unbarmherzig zu spotten, zumal deren Zweck der Welt mit
so lauter Stimme im Voraus verkündet worden ist. Wir fürchten, bis die
neue Anstalt Wurzel geschlagen hätte und gedeihlich wirken könnte, würden
Jahrzehnte verstreichen, ein Zeitraum, innerhalb dessen, wie dies schon an
einer andern Stelle hervorgehoben worden ist, hoffentlich die politischen
Gründe weggefallen sein werden, um derentwillen die Anstalt ins Leben ge¬
rufen werden soll: zählt doch überhaupt das Leben einer Universität nicht nach
Jahrzehnten, sondern nach Jahrhunderten. Daß sie auch Bonn Abbruch
thun würde, wollen wir nur nebenher erwähnen.

Läßt man den politischen Gesichtspunkt fallen und faßt man nur die
praktischen Gründe in das Auge, so sprechen gegen die frankfurter Univer¬
sität alle die Bedenken welche überhaupt gegen Universitäten in großen
Städten geltend gemacht werden. Der lebhaftere persönliche Verkehr zwischen
Professoren und Studenten, dessen Nothwendigkeit immer mehr erkannt wird,
ist fast nur in einer kleinen Stadt möglich; dazu kommen die mannigfachen
Verführungen einer großen für die Jugend. Wer Berlin kennt, weiß was
wir meinen; und doch würden die Gefahren Frankfurts vielleicht noch größer
sein. Denn Berlin ist eine in so eminenten Sinn arbeitende Stadt, daß
der allgemeine Geist rastloser Thätigkeit in ihr fast unwillkürlich auch den
Studenten ergreift, so daß er zwar sehr häufig der Verführung erliegt, aber
verhältnißmäßig selten in einem Strudel von Zerstreuungen untergeht; auch
Leipzig ist in allen diesen Beziehungen, so weit es uns bekannt ist, ein Berlin
in verkleinerten Maßstabe. Dagegen ist das westliche Deutschland leicht¬
lebiger und viel mehr auf den Genuß gestellt, und dies gilt insbesondere
von Frankfurt.

Bei den Meisten, welche für die frankfurter Universität gestimmt sind,
wirkt bewußt oder unbewußt die Vorstellung, daß Frankfurt für die Ver¬
luste, die es im Jahre 1866 erlitten hat, schadlos gehalten werden müsse.
Ist dabei die Meinung blos die, daß es darauf ankomme den kleinen Bürger¬
stand Frankfurts für die Summen zu entschädigen, welche die Bundestags¬
gesandter und ihre fürstlichen Besucher einst in Umlauf setzten, so scheint uns
das kaum ein würdiges Motiv für die Verlegung oder die Begründung
einer wissenschaftlichen Anstalt zu sein. Außerdem würde in den Augen


und die mannigfachste Gelegenheit haben auf einander einzuwirken. Die be¬
absichtigte neue Mainuniversität müßte Heidelberg nothwendig Abbruch thun,
ohne doch gerade in dieser Beziehung seine Wirksamkeit ersetzen zu können.
Während bei den nationalgesinnten Heidelberger Professoren Niemand etwas
Anderes als unabhängige Ueberzeugung voraussetzt, würden die Süddeutschen
die vom preußischen Staate angestellten frankfurter Lehrer von vorn herein
als befangen betrachten und nicht unterlassen über die officielle politische
Missionsanstalt unbarmherzig zu spotten, zumal deren Zweck der Welt mit
so lauter Stimme im Voraus verkündet worden ist. Wir fürchten, bis die
neue Anstalt Wurzel geschlagen hätte und gedeihlich wirken könnte, würden
Jahrzehnte verstreichen, ein Zeitraum, innerhalb dessen, wie dies schon an
einer andern Stelle hervorgehoben worden ist, hoffentlich die politischen
Gründe weggefallen sein werden, um derentwillen die Anstalt ins Leben ge¬
rufen werden soll: zählt doch überhaupt das Leben einer Universität nicht nach
Jahrzehnten, sondern nach Jahrhunderten. Daß sie auch Bonn Abbruch
thun würde, wollen wir nur nebenher erwähnen.

Läßt man den politischen Gesichtspunkt fallen und faßt man nur die
praktischen Gründe in das Auge, so sprechen gegen die frankfurter Univer¬
sität alle die Bedenken welche überhaupt gegen Universitäten in großen
Städten geltend gemacht werden. Der lebhaftere persönliche Verkehr zwischen
Professoren und Studenten, dessen Nothwendigkeit immer mehr erkannt wird,
ist fast nur in einer kleinen Stadt möglich; dazu kommen die mannigfachen
Verführungen einer großen für die Jugend. Wer Berlin kennt, weiß was
wir meinen; und doch würden die Gefahren Frankfurts vielleicht noch größer
sein. Denn Berlin ist eine in so eminenten Sinn arbeitende Stadt, daß
der allgemeine Geist rastloser Thätigkeit in ihr fast unwillkürlich auch den
Studenten ergreift, so daß er zwar sehr häufig der Verführung erliegt, aber
verhältnißmäßig selten in einem Strudel von Zerstreuungen untergeht; auch
Leipzig ist in allen diesen Beziehungen, so weit es uns bekannt ist, ein Berlin
in verkleinerten Maßstabe. Dagegen ist das westliche Deutschland leicht¬
lebiger und viel mehr auf den Genuß gestellt, und dies gilt insbesondere
von Frankfurt.

Bei den Meisten, welche für die frankfurter Universität gestimmt sind,
wirkt bewußt oder unbewußt die Vorstellung, daß Frankfurt für die Ver¬
luste, die es im Jahre 1866 erlitten hat, schadlos gehalten werden müsse.
Ist dabei die Meinung blos die, daß es darauf ankomme den kleinen Bürger¬
stand Frankfurts für die Summen zu entschädigen, welche die Bundestags¬
gesandter und ihre fürstlichen Besucher einst in Umlauf setzten, so scheint uns
das kaum ein würdiges Motiv für die Verlegung oder die Begründung
einer wissenschaftlichen Anstalt zu sein. Außerdem würde in den Augen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/111>, abgerufen am 28.09.2024.