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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Es ist gewiß eine interessante Erscheinung, daß wir diese bemalten Vasen
durch mehrere Jahrhunderte hindurch nicht bloß überall im eigentlichen
Griechenland, sondern auch bei ungriechischer Völkern fortwährend im Ge¬
brauch finden. Diese Erscheinung aber gewinnt dadurch ihre eigenthümliche
Bedeutung, daß die überwiegend große, eigentliche Hauptmasse dieser Gefäße
nach allen Richtungen der Technik, des Stils, der dargestellten Gegenstände
und ihrer Auffassung, der Sprache und Schrift, überall, wo sie sich findet,
übereinstimmend dieselbe rein griechische, von gewissen scharf geschiedenen
Fällen abgesehen, nach allen Anzeichen attische ist. Es kommt das zweite,
nicht minder wichtige Moment hinzu, daß nach allen diesen maßgebenden
Richtungen hin die Vasen sich der fortschreitenden socialen, literarischen,
künstlerischen Bildung Griechenlands, besonders Atticas unmittelbar anschließen,
uns von derselben und der sie bedingenden Bewegung, wie wir sie aus an¬
deren Quellen kennen lernen, das lebendige, in unterbrochener Folge fort¬
gehende Bild geben. Daraus läßt sich abnehmen, daß auch die Fabrikation
fortwährend in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der gesammten Lebens¬
entwickelung stand, daß sie einem Griechenland, namentlich Attica ein¬
heimische, aber größtentheils für den Ausfuhrhandel bestimmte gewesen sei.
Wollte man annehmen, es sei auch im Auslande eine ähnliche Fabrikation
entstanden, durch Nachahmung des eingeführten Fabrikats, durch Anlage von
Filialfabriken, die mit griechischen Arbeitern und Mustern versehen werden
konnten, so würde der Jahrhunderte lang ununterbrochene enge Zusammen¬
hang mit der geistigen Entwickelung Griechenlands völlig unerklärlich sein.
Es konnte gar nicht fehlen, daß der Aufenthalt unter Barbaren nach einiger
Zeit auf die Fabrikation einen nach allen Seiten hin bestimmenden Einfluß
gewann und ihren Charakter allmählich wesentlich, und zwar den jedesmaligen
localen Verhältnissen gemäß modificirte. Dagegen konnte keine äußerliche Ver¬
bindung mit Griechenland und gelegentliche Unterstützung von daher schützen:
diese in einem Zuge fortschreitende Entwickelung griechischer Bildung und
Kunst in einem Kunstzweige, wie sie uns in den Vasen entgegentritt, ist
nur in Griechenland denkbar.

Allerdings fehlt es an den verschiedenartigen Vasenfundorten keineswegs
an sehr bemerkbaren Verschiedenheiten. An einigen Orten hört der Vasen¬
verkehr früh auf, es finden sich nur Vasen älteren Stils, wie in dem früh
zerstörten Veji; in anderen sind sie erst spät zur Geltung gekommen, dort
finden sich nur Vasen späten Stils, wie am Pontus und in der Cyrenaika.
Das ist leicht begreiflich; aber auch an Orten, wohin langjähriger Vasen¬
handel ging, der Gefäße verschiedenster Art dorthin brachte, zeigen sich man¬
cherlei Modifikationen des Geschmacks und der Mode. War man in einigen
Gegenden mehr für Einfachheit und Eleganz, so liebte man anderswo Pracht


Es ist gewiß eine interessante Erscheinung, daß wir diese bemalten Vasen
durch mehrere Jahrhunderte hindurch nicht bloß überall im eigentlichen
Griechenland, sondern auch bei ungriechischer Völkern fortwährend im Ge¬
brauch finden. Diese Erscheinung aber gewinnt dadurch ihre eigenthümliche
Bedeutung, daß die überwiegend große, eigentliche Hauptmasse dieser Gefäße
nach allen Richtungen der Technik, des Stils, der dargestellten Gegenstände
und ihrer Auffassung, der Sprache und Schrift, überall, wo sie sich findet,
übereinstimmend dieselbe rein griechische, von gewissen scharf geschiedenen
Fällen abgesehen, nach allen Anzeichen attische ist. Es kommt das zweite,
nicht minder wichtige Moment hinzu, daß nach allen diesen maßgebenden
Richtungen hin die Vasen sich der fortschreitenden socialen, literarischen,
künstlerischen Bildung Griechenlands, besonders Atticas unmittelbar anschließen,
uns von derselben und der sie bedingenden Bewegung, wie wir sie aus an¬
deren Quellen kennen lernen, das lebendige, in unterbrochener Folge fort¬
gehende Bild geben. Daraus läßt sich abnehmen, daß auch die Fabrikation
fortwährend in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der gesammten Lebens¬
entwickelung stand, daß sie einem Griechenland, namentlich Attica ein¬
heimische, aber größtentheils für den Ausfuhrhandel bestimmte gewesen sei.
Wollte man annehmen, es sei auch im Auslande eine ähnliche Fabrikation
entstanden, durch Nachahmung des eingeführten Fabrikats, durch Anlage von
Filialfabriken, die mit griechischen Arbeitern und Mustern versehen werden
konnten, so würde der Jahrhunderte lang ununterbrochene enge Zusammen¬
hang mit der geistigen Entwickelung Griechenlands völlig unerklärlich sein.
Es konnte gar nicht fehlen, daß der Aufenthalt unter Barbaren nach einiger
Zeit auf die Fabrikation einen nach allen Seiten hin bestimmenden Einfluß
gewann und ihren Charakter allmählich wesentlich, und zwar den jedesmaligen
localen Verhältnissen gemäß modificirte. Dagegen konnte keine äußerliche Ver¬
bindung mit Griechenland und gelegentliche Unterstützung von daher schützen:
diese in einem Zuge fortschreitende Entwickelung griechischer Bildung und
Kunst in einem Kunstzweige, wie sie uns in den Vasen entgegentritt, ist
nur in Griechenland denkbar.

Allerdings fehlt es an den verschiedenartigen Vasenfundorten keineswegs
an sehr bemerkbaren Verschiedenheiten. An einigen Orten hört der Vasen¬
verkehr früh auf, es finden sich nur Vasen älteren Stils, wie in dem früh
zerstörten Veji; in anderen sind sie erst spät zur Geltung gekommen, dort
finden sich nur Vasen späten Stils, wie am Pontus und in der Cyrenaika.
Das ist leicht begreiflich; aber auch an Orten, wohin langjähriger Vasen¬
handel ging, der Gefäße verschiedenster Art dorthin brachte, zeigen sich man¬
cherlei Modifikationen des Geschmacks und der Mode. War man in einigen
Gegenden mehr für Einfachheit und Eleganz, so liebte man anderswo Pracht


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[0500] Es ist gewiß eine interessante Erscheinung, daß wir diese bemalten Vasen durch mehrere Jahrhunderte hindurch nicht bloß überall im eigentlichen Griechenland, sondern auch bei ungriechischer Völkern fortwährend im Ge¬ brauch finden. Diese Erscheinung aber gewinnt dadurch ihre eigenthümliche Bedeutung, daß die überwiegend große, eigentliche Hauptmasse dieser Gefäße nach allen Richtungen der Technik, des Stils, der dargestellten Gegenstände und ihrer Auffassung, der Sprache und Schrift, überall, wo sie sich findet, übereinstimmend dieselbe rein griechische, von gewissen scharf geschiedenen Fällen abgesehen, nach allen Anzeichen attische ist. Es kommt das zweite, nicht minder wichtige Moment hinzu, daß nach allen diesen maßgebenden Richtungen hin die Vasen sich der fortschreitenden socialen, literarischen, künstlerischen Bildung Griechenlands, besonders Atticas unmittelbar anschließen, uns von derselben und der sie bedingenden Bewegung, wie wir sie aus an¬ deren Quellen kennen lernen, das lebendige, in unterbrochener Folge fort¬ gehende Bild geben. Daraus läßt sich abnehmen, daß auch die Fabrikation fortwährend in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der gesammten Lebens¬ entwickelung stand, daß sie einem Griechenland, namentlich Attica ein¬ heimische, aber größtentheils für den Ausfuhrhandel bestimmte gewesen sei. Wollte man annehmen, es sei auch im Auslande eine ähnliche Fabrikation entstanden, durch Nachahmung des eingeführten Fabrikats, durch Anlage von Filialfabriken, die mit griechischen Arbeitern und Mustern versehen werden konnten, so würde der Jahrhunderte lang ununterbrochene enge Zusammen¬ hang mit der geistigen Entwickelung Griechenlands völlig unerklärlich sein. Es konnte gar nicht fehlen, daß der Aufenthalt unter Barbaren nach einiger Zeit auf die Fabrikation einen nach allen Seiten hin bestimmenden Einfluß gewann und ihren Charakter allmählich wesentlich, und zwar den jedesmaligen localen Verhältnissen gemäß modificirte. Dagegen konnte keine äußerliche Ver¬ bindung mit Griechenland und gelegentliche Unterstützung von daher schützen: diese in einem Zuge fortschreitende Entwickelung griechischer Bildung und Kunst in einem Kunstzweige, wie sie uns in den Vasen entgegentritt, ist nur in Griechenland denkbar. Allerdings fehlt es an den verschiedenartigen Vasenfundorten keineswegs an sehr bemerkbaren Verschiedenheiten. An einigen Orten hört der Vasen¬ verkehr früh auf, es finden sich nur Vasen älteren Stils, wie in dem früh zerstörten Veji; in anderen sind sie erst spät zur Geltung gekommen, dort finden sich nur Vasen späten Stils, wie am Pontus und in der Cyrenaika. Das ist leicht begreiflich; aber auch an Orten, wohin langjähriger Vasen¬ handel ging, der Gefäße verschiedenster Art dorthin brachte, zeigen sich man¬ cherlei Modifikationen des Geschmacks und der Mode. War man in einigen Gegenden mehr für Einfachheit und Eleganz, so liebte man anderswo Pracht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/500>, abgerufen am 15.01.2025.