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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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verwiesen und fallen endlich ganz weg. Der Raum ist nun frei geworden
für das, was überhaupt die griechische Kunst beschäftigt, für die Darstellung
des menschlichen Lebens, wie es in der Sage und im täglichen Verkehr sich
offenbart; mit der immer freieren Entwickelung der Gestaltung hört auch die
symmetrische Eintheilung in Streifen auf, wiewohl in größeren Kompositionen
auch später diese Tradition sich noch vortheilhaft geltend macht. Dadurch,
daß die Darstellung menschlicher Handlungen zur Herrschaft gelangt, wird
aber das Ornament nicht verdrängt, sondern an seinem Platz zur rechten
Geltung gebracht. Es dient theils die Hauptdarstellung zu begrenzen und
einzurahmen, theils das Gefäß als ein tektonisches Gebilde in seiner Zusam-
sammensetzung aus verschiedenen Gliedern zu charakterisiren. Daher tritt
es an den eigentlich tektonisch bedeutsamen Gliedern und an den Verbindungs¬
punkten derselben hervor, und zeigt die in der Baukunst mit so bewunderns¬
würdiger Consequenz durchgebildete Charakteristik der einzelnen Elemente,
welche sichtlich vom Orient überkommen mit der Feinheit des griechischen
Geistes und Geschmacks in ähnlicher Weise umgebildet sind, wie die
Mischgestalten der orientalischen Kunst durch die griechische umgeschaffen
wurden. Nur da, wo das Gefäß gewissermaßen neutralen Boden bietet,
unter den Henkeln, auf der Rückseite, behält das Ornament Spielraum zu
freier Entwickelung, nach der Analogie von Rankengewächsen den Gesetzen
architektonischer Ordnung gemäß gebildet. Je edler und schöner sich die Ge-
fäßmalerei entwickelt, um so mehr tritt das Ornament, zur feinsten Eleganz
gesteigert, in seine dienende, andeutende Sphäre zurück. Als aber Schmuck
und Pracht wieder maßgebend wurden, drängt sich dasselbe auch in der
alten Weise vor, neben reichlich ausgestreuten Blumen und Sternen kom¬
men die Thierstreifen wieder zum Vorschein, jetzt alles natürlich im Stil
der völlig entwickelten Technik ausgeführt, und mit dem üppigsten Ranken¬
werk phantastischer Schlinggewächse verbunden: kein Wunder, wenn daneben
auch die Menschengestalten gelegentlich mehr als ornamentale Decoration
erscheinen.

Eigenthümliches Interesse gewähren die Inschriften, welche auf diesen
Vasen sehr häufig sind und mannigfache Belehrung geben. Zunächst schon
durch die Form der Buchstaben. Die große Fülle von Inschriften, welche
seit fünfzig Jahren zum Vorschein gekommen sind und den epigraphischen
Studien festen Boden und reichen Stoff bereitet haben, gestattet die Ge¬
schichte des griechischen Alphabets nach seiner zeitlichen und örtlichen Ausbil¬
dung im einzelnen genauer zu verfolgen, und dazu haben die Vaseninschrif¬
ten unverächtliche Beiträge gegeben. Jene der ältesten Technik an gehörigen
Vasenbilder zeigen in ihren Beischriften ein Alphabet, welches als der Insel
Corcyra und deren Mutterstadt Corinth eigenthümlich nachgewiesen ist, auch


verwiesen und fallen endlich ganz weg. Der Raum ist nun frei geworden
für das, was überhaupt die griechische Kunst beschäftigt, für die Darstellung
des menschlichen Lebens, wie es in der Sage und im täglichen Verkehr sich
offenbart; mit der immer freieren Entwickelung der Gestaltung hört auch die
symmetrische Eintheilung in Streifen auf, wiewohl in größeren Kompositionen
auch später diese Tradition sich noch vortheilhaft geltend macht. Dadurch,
daß die Darstellung menschlicher Handlungen zur Herrschaft gelangt, wird
aber das Ornament nicht verdrängt, sondern an seinem Platz zur rechten
Geltung gebracht. Es dient theils die Hauptdarstellung zu begrenzen und
einzurahmen, theils das Gefäß als ein tektonisches Gebilde in seiner Zusam-
sammensetzung aus verschiedenen Gliedern zu charakterisiren. Daher tritt
es an den eigentlich tektonisch bedeutsamen Gliedern und an den Verbindungs¬
punkten derselben hervor, und zeigt die in der Baukunst mit so bewunderns¬
würdiger Consequenz durchgebildete Charakteristik der einzelnen Elemente,
welche sichtlich vom Orient überkommen mit der Feinheit des griechischen
Geistes und Geschmacks in ähnlicher Weise umgebildet sind, wie die
Mischgestalten der orientalischen Kunst durch die griechische umgeschaffen
wurden. Nur da, wo das Gefäß gewissermaßen neutralen Boden bietet,
unter den Henkeln, auf der Rückseite, behält das Ornament Spielraum zu
freier Entwickelung, nach der Analogie von Rankengewächsen den Gesetzen
architektonischer Ordnung gemäß gebildet. Je edler und schöner sich die Ge-
fäßmalerei entwickelt, um so mehr tritt das Ornament, zur feinsten Eleganz
gesteigert, in seine dienende, andeutende Sphäre zurück. Als aber Schmuck
und Pracht wieder maßgebend wurden, drängt sich dasselbe auch in der
alten Weise vor, neben reichlich ausgestreuten Blumen und Sternen kom¬
men die Thierstreifen wieder zum Vorschein, jetzt alles natürlich im Stil
der völlig entwickelten Technik ausgeführt, und mit dem üppigsten Ranken¬
werk phantastischer Schlinggewächse verbunden: kein Wunder, wenn daneben
auch die Menschengestalten gelegentlich mehr als ornamentale Decoration
erscheinen.

Eigenthümliches Interesse gewähren die Inschriften, welche auf diesen
Vasen sehr häufig sind und mannigfache Belehrung geben. Zunächst schon
durch die Form der Buchstaben. Die große Fülle von Inschriften, welche
seit fünfzig Jahren zum Vorschein gekommen sind und den epigraphischen
Studien festen Boden und reichen Stoff bereitet haben, gestattet die Ge¬
schichte des griechischen Alphabets nach seiner zeitlichen und örtlichen Ausbil¬
dung im einzelnen genauer zu verfolgen, und dazu haben die Vaseninschrif¬
ten unverächtliche Beiträge gegeben. Jene der ältesten Technik an gehörigen
Vasenbilder zeigen in ihren Beischriften ein Alphabet, welches als der Insel
Corcyra und deren Mutterstadt Corinth eigenthümlich nachgewiesen ist, auch


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[0492] verwiesen und fallen endlich ganz weg. Der Raum ist nun frei geworden für das, was überhaupt die griechische Kunst beschäftigt, für die Darstellung des menschlichen Lebens, wie es in der Sage und im täglichen Verkehr sich offenbart; mit der immer freieren Entwickelung der Gestaltung hört auch die symmetrische Eintheilung in Streifen auf, wiewohl in größeren Kompositionen auch später diese Tradition sich noch vortheilhaft geltend macht. Dadurch, daß die Darstellung menschlicher Handlungen zur Herrschaft gelangt, wird aber das Ornament nicht verdrängt, sondern an seinem Platz zur rechten Geltung gebracht. Es dient theils die Hauptdarstellung zu begrenzen und einzurahmen, theils das Gefäß als ein tektonisches Gebilde in seiner Zusam- sammensetzung aus verschiedenen Gliedern zu charakterisiren. Daher tritt es an den eigentlich tektonisch bedeutsamen Gliedern und an den Verbindungs¬ punkten derselben hervor, und zeigt die in der Baukunst mit so bewunderns¬ würdiger Consequenz durchgebildete Charakteristik der einzelnen Elemente, welche sichtlich vom Orient überkommen mit der Feinheit des griechischen Geistes und Geschmacks in ähnlicher Weise umgebildet sind, wie die Mischgestalten der orientalischen Kunst durch die griechische umgeschaffen wurden. Nur da, wo das Gefäß gewissermaßen neutralen Boden bietet, unter den Henkeln, auf der Rückseite, behält das Ornament Spielraum zu freier Entwickelung, nach der Analogie von Rankengewächsen den Gesetzen architektonischer Ordnung gemäß gebildet. Je edler und schöner sich die Ge- fäßmalerei entwickelt, um so mehr tritt das Ornament, zur feinsten Eleganz gesteigert, in seine dienende, andeutende Sphäre zurück. Als aber Schmuck und Pracht wieder maßgebend wurden, drängt sich dasselbe auch in der alten Weise vor, neben reichlich ausgestreuten Blumen und Sternen kom¬ men die Thierstreifen wieder zum Vorschein, jetzt alles natürlich im Stil der völlig entwickelten Technik ausgeführt, und mit dem üppigsten Ranken¬ werk phantastischer Schlinggewächse verbunden: kein Wunder, wenn daneben auch die Menschengestalten gelegentlich mehr als ornamentale Decoration erscheinen. Eigenthümliches Interesse gewähren die Inschriften, welche auf diesen Vasen sehr häufig sind und mannigfache Belehrung geben. Zunächst schon durch die Form der Buchstaben. Die große Fülle von Inschriften, welche seit fünfzig Jahren zum Vorschein gekommen sind und den epigraphischen Studien festen Boden und reichen Stoff bereitet haben, gestattet die Ge¬ schichte des griechischen Alphabets nach seiner zeitlichen und örtlichen Ausbil¬ dung im einzelnen genauer zu verfolgen, und dazu haben die Vaseninschrif¬ ten unverächtliche Beiträge gegeben. Jene der ältesten Technik an gehörigen Vasenbilder zeigen in ihren Beischriften ein Alphabet, welches als der Insel Corcyra und deren Mutterstadt Corinth eigenthümlich nachgewiesen ist, auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/492>, abgerufen am 15.01.2025.