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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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das erste Zöllparlament zusammentrat, war es eine weitverbreitete Vorstellung,
daß die Dinge in ähnlicher Weise verlausen würden. War nur erst der An¬
fang gemacht, besaß man nur erst ein Parlament, -- so dachten viele --,
werde sich alles weitere eigentlich von selber machen.

Heute nach dem Schluß der ersten Session wird schwerlich irgend Je¬
mand dieser optimistischen Meinung huldigen. Es ist nicht zum gering¬
sten das Verdienst des süddeutschen Widerstands, von jedem Versuch auf
falschen Spuren gründlich abgelenkt und auf den einzig richtigen Weg wieder
zurückgewiesen zu haben, auf den Weg des Anschlusses der süddeutschen
Staaten an den constituirten Nordbund.

Der Verfasser der genannten Broschüre hatte auf eine friedliche Reform
der Zollvereinsverfassung gerechnet und von einer unbestimmt langen Reihe
von Friedensjahren deren Ausbildung und Reife erwartet. Nun hat aber
die Erfahrung gezeigt, daß selbst der bescheidene Anfang einer parlamentari¬
schen Verfassung des Zollvereins schlechterdings nicht möglich war, ohne daß
die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Oestreich durch das Schwert
vorausging. Und seitdem sind wir um eine weitere Erfahrung reicher.
Der Verfasser rechnete auf den guten Willen der Betheiligten, ein Factor.
der bereits in den Verhandlungen über die Freizügigkeit eigenthümliche
Illustration erhalten hat. Im Grunde ist in diesem Punkt alles einig. den¬
noch scheint man noch völlig rathlos dem Problem gegenüberzustehen, auf
welche Art und Weise, in welcher schicklichen und angemessenen Form dieser
Gegenstand für die gemeinsame Gesetzgebung gewonnen werden soll. So
wenig bewährt es sich, daß alles weitere sich gleichsam von selbst ergeben
werde. Nur harter Zwang hat die neue Einrichtung geschaffen. Es ist
M vermuthen, daß auch jeder weitere noch so bescheidene Fortschritt nur
durch die unerbittliche Noth zu erreichen wäre. Treten aber solche Momente
der Noth ein. so muß heute -- nach 1866 -- mehr zu erreichen sein, als
blos eine weitere homöopathische Dosis für die Competenz der Vereinsorgane.

Aber auch den besten Willen vorausgesetzt, den Kreis der gemeinsamen
Gesetzgebung auszudehnen, so würde uns dies der politischen Einigung den¬
noch schwerlich näher bringen. Das Gegentheil wäre zu befürchten. Denn
indem der Süden die wohlthätigen Folgen der Gemeinsamkeit auf allen Ge¬
bieten des Verkehrslebens im weitesten Umfang genösse, würde er vermuth¬
lich immer weniger das Bedürfniß einer politischen Vereinigung empfinden.
Im Genuß aller Vortheile der Einheit würde er nicht nach Uebernahme 'der
entsprechenden Pflichten verlangen. Nur dann kämen wir auf diesem Weg

Einheit näher, wenn es gelänge, den Organen des Zollvereins gleichzeitig
immer mehr die Attribute des Staats zu übertragen, sodaß schließlich die Ver¬
fassung des Zollvereins und die Verfassung des norddeutschen Bunds sich decken


das erste Zöllparlament zusammentrat, war es eine weitverbreitete Vorstellung,
daß die Dinge in ähnlicher Weise verlausen würden. War nur erst der An¬
fang gemacht, besaß man nur erst ein Parlament, — so dachten viele —,
werde sich alles weitere eigentlich von selber machen.

Heute nach dem Schluß der ersten Session wird schwerlich irgend Je¬
mand dieser optimistischen Meinung huldigen. Es ist nicht zum gering¬
sten das Verdienst des süddeutschen Widerstands, von jedem Versuch auf
falschen Spuren gründlich abgelenkt und auf den einzig richtigen Weg wieder
zurückgewiesen zu haben, auf den Weg des Anschlusses der süddeutschen
Staaten an den constituirten Nordbund.

Der Verfasser der genannten Broschüre hatte auf eine friedliche Reform
der Zollvereinsverfassung gerechnet und von einer unbestimmt langen Reihe
von Friedensjahren deren Ausbildung und Reife erwartet. Nun hat aber
die Erfahrung gezeigt, daß selbst der bescheidene Anfang einer parlamentari¬
schen Verfassung des Zollvereins schlechterdings nicht möglich war, ohne daß
die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Oestreich durch das Schwert
vorausging. Und seitdem sind wir um eine weitere Erfahrung reicher.
Der Verfasser rechnete auf den guten Willen der Betheiligten, ein Factor.
der bereits in den Verhandlungen über die Freizügigkeit eigenthümliche
Illustration erhalten hat. Im Grunde ist in diesem Punkt alles einig. den¬
noch scheint man noch völlig rathlos dem Problem gegenüberzustehen, auf
welche Art und Weise, in welcher schicklichen und angemessenen Form dieser
Gegenstand für die gemeinsame Gesetzgebung gewonnen werden soll. So
wenig bewährt es sich, daß alles weitere sich gleichsam von selbst ergeben
werde. Nur harter Zwang hat die neue Einrichtung geschaffen. Es ist
M vermuthen, daß auch jeder weitere noch so bescheidene Fortschritt nur
durch die unerbittliche Noth zu erreichen wäre. Treten aber solche Momente
der Noth ein. so muß heute — nach 1866 — mehr zu erreichen sein, als
blos eine weitere homöopathische Dosis für die Competenz der Vereinsorgane.

Aber auch den besten Willen vorausgesetzt, den Kreis der gemeinsamen
Gesetzgebung auszudehnen, so würde uns dies der politischen Einigung den¬
noch schwerlich näher bringen. Das Gegentheil wäre zu befürchten. Denn
indem der Süden die wohlthätigen Folgen der Gemeinsamkeit auf allen Ge¬
bieten des Verkehrslebens im weitesten Umfang genösse, würde er vermuth¬
lich immer weniger das Bedürfniß einer politischen Vereinigung empfinden.
Im Genuß aller Vortheile der Einheit würde er nicht nach Uebernahme 'der
entsprechenden Pflichten verlangen. Nur dann kämen wir auf diesem Weg

Einheit näher, wenn es gelänge, den Organen des Zollvereins gleichzeitig
immer mehr die Attribute des Staats zu übertragen, sodaß schließlich die Ver¬
fassung des Zollvereins und die Verfassung des norddeutschen Bunds sich decken


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[0465] das erste Zöllparlament zusammentrat, war es eine weitverbreitete Vorstellung, daß die Dinge in ähnlicher Weise verlausen würden. War nur erst der An¬ fang gemacht, besaß man nur erst ein Parlament, — so dachten viele —, werde sich alles weitere eigentlich von selber machen. Heute nach dem Schluß der ersten Session wird schwerlich irgend Je¬ mand dieser optimistischen Meinung huldigen. Es ist nicht zum gering¬ sten das Verdienst des süddeutschen Widerstands, von jedem Versuch auf falschen Spuren gründlich abgelenkt und auf den einzig richtigen Weg wieder zurückgewiesen zu haben, auf den Weg des Anschlusses der süddeutschen Staaten an den constituirten Nordbund. Der Verfasser der genannten Broschüre hatte auf eine friedliche Reform der Zollvereinsverfassung gerechnet und von einer unbestimmt langen Reihe von Friedensjahren deren Ausbildung und Reife erwartet. Nun hat aber die Erfahrung gezeigt, daß selbst der bescheidene Anfang einer parlamentari¬ schen Verfassung des Zollvereins schlechterdings nicht möglich war, ohne daß die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Oestreich durch das Schwert vorausging. Und seitdem sind wir um eine weitere Erfahrung reicher. Der Verfasser rechnete auf den guten Willen der Betheiligten, ein Factor. der bereits in den Verhandlungen über die Freizügigkeit eigenthümliche Illustration erhalten hat. Im Grunde ist in diesem Punkt alles einig. den¬ noch scheint man noch völlig rathlos dem Problem gegenüberzustehen, auf welche Art und Weise, in welcher schicklichen und angemessenen Form dieser Gegenstand für die gemeinsame Gesetzgebung gewonnen werden soll. So wenig bewährt es sich, daß alles weitere sich gleichsam von selbst ergeben werde. Nur harter Zwang hat die neue Einrichtung geschaffen. Es ist M vermuthen, daß auch jeder weitere noch so bescheidene Fortschritt nur durch die unerbittliche Noth zu erreichen wäre. Treten aber solche Momente der Noth ein. so muß heute — nach 1866 — mehr zu erreichen sein, als blos eine weitere homöopathische Dosis für die Competenz der Vereinsorgane. Aber auch den besten Willen vorausgesetzt, den Kreis der gemeinsamen Gesetzgebung auszudehnen, so würde uns dies der politischen Einigung den¬ noch schwerlich näher bringen. Das Gegentheil wäre zu befürchten. Denn indem der Süden die wohlthätigen Folgen der Gemeinsamkeit auf allen Ge¬ bieten des Verkehrslebens im weitesten Umfang genösse, würde er vermuth¬ lich immer weniger das Bedürfniß einer politischen Vereinigung empfinden. Im Genuß aller Vortheile der Einheit würde er nicht nach Uebernahme 'der entsprechenden Pflichten verlangen. Nur dann kämen wir auf diesem Weg Einheit näher, wenn es gelänge, den Organen des Zollvereins gleichzeitig immer mehr die Attribute des Staats zu übertragen, sodaß schließlich die Ver¬ fassung des Zollvereins und die Verfassung des norddeutschen Bunds sich decken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/465>, abgerufen am 15.01.2025.