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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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bedeutet, daß nicht sie allein, sondern auch ihre Söhne an den Pachthöfen,
welche ihnen zugesprochen waren, Eigenthumsrechte hätten; dadurch wollte
man einer allmählichen Sprengung und Zerstückelung der großen Bauerhöfe,
überhaupt einer größeren Bodenzersplitterung vorarbeiten. Dieser Umsturz
gewohnter Verhältnisse konnte sich selbstverständlich nicht ohne eine gewalt¬
same Erschütterung des gesellschaftlichen Organismus, der von ihm betroffen
wurde, vollziehen. Die Bauerwirthe murrten über Beeinträchtigung ihres
Eigenthums- und Dispositionsrechts, die Knechte waren von den ihnen ge¬
machten Concessionen keineswegs befriedigt. Ihren Forderungen konnte eine
gewisse Logik und Consequenz nicht abgesprochen werden. "Hat der Kaiser
den Wirthen die Höfe zum vollen Eigenthum geben können, welche früher
den Edelleuten gehörten, so kann er uns zu Eigenthümern der Gärten und
Feldstücke machen, mit denen wir bisher von unsern Arbeitgebern gelohnt
wurden!" Da Jahre vergingen, ehe eine definitive Auseinandersetzung zwischen
Herren und Bauern erfolgte, immer neue Revisionscommissionen eingesetzt
wurden, welche die von ihren Vorgängern gezogenen Demarcationslinien
für ungenügend erklärten, so blieb die Aufregung und Begehrlichkeit der
ländlichen Bevölkerung eine permanente, und Arbeitslust, Ordnung und Ruhe
machten jährlich Rückschritte, die mit der steten Abnahme der Production
bezahlt werden mußten. Als im December 1865 durch ein kaiserliches Ge¬
setz festgestellt wurde, daß sämmtliche sequestrirte und confiscirte Güter com-
promittirter polnischer Edelleute binnen zwei Jahren meiflbietlich versteigert
werden sollten und daß alle Personen von polnischer Herkunft und
katholischer Confession von dem Rechte, Güter in Litthauen und Samogitien
zu erwerben, ausgeschlossen sein sollten, glaubte die russische Demokratie, das
gesammte Land werde binnen weniger Monate in russischen Händen und den
Segnungen geordneter Zustände wiedergegeben sein. -- Diese Hoffnung ist bis
heute unerfüllt geblieben. Weder zeigten die russischen Gutsbesitzer der Nach¬
barprovinzen Neigung dazu, ihre Capitalien in einem Lande anzulegen, dessen
unsichere und gesetzlose Zustände jeder ruhigen und steten Thätigkeit feindlich
erschienen, noch ließen die Polen sich so rasch verdrängen wie man geglaubt
hatte. Unter hundert verschiedenen Vorwänden wußten sie sich in dem Lande,
auf welches sie ein historisches Recht zu besitzen glaubten, festzusetzen, bald
als Verwalter russischer Freunde, die die Güter auf ihre Namen hatten
schreiben lassen, bald als Pächter derselben, bald als Träger fingirter Namen
von russischem Klang. Sie wußten zu genau, daß die russischen Landwirthe,
denen die sequestrirten Güter für Spottpreise angeboten wurden, weder das
nöthige Capital noch die nöthigen landwirthschaftlichen Kenntnisse besaßen,
als daß sie die Concurrenz derselben hätten fürchten und freiwillig das Feld
räumen sollen. Dazu kam, daß die russischen Beamten, welche von der moskauer


bedeutet, daß nicht sie allein, sondern auch ihre Söhne an den Pachthöfen,
welche ihnen zugesprochen waren, Eigenthumsrechte hätten; dadurch wollte
man einer allmählichen Sprengung und Zerstückelung der großen Bauerhöfe,
überhaupt einer größeren Bodenzersplitterung vorarbeiten. Dieser Umsturz
gewohnter Verhältnisse konnte sich selbstverständlich nicht ohne eine gewalt¬
same Erschütterung des gesellschaftlichen Organismus, der von ihm betroffen
wurde, vollziehen. Die Bauerwirthe murrten über Beeinträchtigung ihres
Eigenthums- und Dispositionsrechts, die Knechte waren von den ihnen ge¬
machten Concessionen keineswegs befriedigt. Ihren Forderungen konnte eine
gewisse Logik und Consequenz nicht abgesprochen werden. „Hat der Kaiser
den Wirthen die Höfe zum vollen Eigenthum geben können, welche früher
den Edelleuten gehörten, so kann er uns zu Eigenthümern der Gärten und
Feldstücke machen, mit denen wir bisher von unsern Arbeitgebern gelohnt
wurden!" Da Jahre vergingen, ehe eine definitive Auseinandersetzung zwischen
Herren und Bauern erfolgte, immer neue Revisionscommissionen eingesetzt
wurden, welche die von ihren Vorgängern gezogenen Demarcationslinien
für ungenügend erklärten, so blieb die Aufregung und Begehrlichkeit der
ländlichen Bevölkerung eine permanente, und Arbeitslust, Ordnung und Ruhe
machten jährlich Rückschritte, die mit der steten Abnahme der Production
bezahlt werden mußten. Als im December 1865 durch ein kaiserliches Ge¬
setz festgestellt wurde, daß sämmtliche sequestrirte und confiscirte Güter com-
promittirter polnischer Edelleute binnen zwei Jahren meiflbietlich versteigert
werden sollten und daß alle Personen von polnischer Herkunft und
katholischer Confession von dem Rechte, Güter in Litthauen und Samogitien
zu erwerben, ausgeschlossen sein sollten, glaubte die russische Demokratie, das
gesammte Land werde binnen weniger Monate in russischen Händen und den
Segnungen geordneter Zustände wiedergegeben sein. — Diese Hoffnung ist bis
heute unerfüllt geblieben. Weder zeigten die russischen Gutsbesitzer der Nach¬
barprovinzen Neigung dazu, ihre Capitalien in einem Lande anzulegen, dessen
unsichere und gesetzlose Zustände jeder ruhigen und steten Thätigkeit feindlich
erschienen, noch ließen die Polen sich so rasch verdrängen wie man geglaubt
hatte. Unter hundert verschiedenen Vorwänden wußten sie sich in dem Lande,
auf welches sie ein historisches Recht zu besitzen glaubten, festzusetzen, bald
als Verwalter russischer Freunde, die die Güter auf ihre Namen hatten
schreiben lassen, bald als Pächter derselben, bald als Träger fingirter Namen
von russischem Klang. Sie wußten zu genau, daß die russischen Landwirthe,
denen die sequestrirten Güter für Spottpreise angeboten wurden, weder das
nöthige Capital noch die nöthigen landwirthschaftlichen Kenntnisse besaßen,
als daß sie die Concurrenz derselben hätten fürchten und freiwillig das Feld
räumen sollen. Dazu kam, daß die russischen Beamten, welche von der moskauer


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[0456] bedeutet, daß nicht sie allein, sondern auch ihre Söhne an den Pachthöfen, welche ihnen zugesprochen waren, Eigenthumsrechte hätten; dadurch wollte man einer allmählichen Sprengung und Zerstückelung der großen Bauerhöfe, überhaupt einer größeren Bodenzersplitterung vorarbeiten. Dieser Umsturz gewohnter Verhältnisse konnte sich selbstverständlich nicht ohne eine gewalt¬ same Erschütterung des gesellschaftlichen Organismus, der von ihm betroffen wurde, vollziehen. Die Bauerwirthe murrten über Beeinträchtigung ihres Eigenthums- und Dispositionsrechts, die Knechte waren von den ihnen ge¬ machten Concessionen keineswegs befriedigt. Ihren Forderungen konnte eine gewisse Logik und Consequenz nicht abgesprochen werden. „Hat der Kaiser den Wirthen die Höfe zum vollen Eigenthum geben können, welche früher den Edelleuten gehörten, so kann er uns zu Eigenthümern der Gärten und Feldstücke machen, mit denen wir bisher von unsern Arbeitgebern gelohnt wurden!" Da Jahre vergingen, ehe eine definitive Auseinandersetzung zwischen Herren und Bauern erfolgte, immer neue Revisionscommissionen eingesetzt wurden, welche die von ihren Vorgängern gezogenen Demarcationslinien für ungenügend erklärten, so blieb die Aufregung und Begehrlichkeit der ländlichen Bevölkerung eine permanente, und Arbeitslust, Ordnung und Ruhe machten jährlich Rückschritte, die mit der steten Abnahme der Production bezahlt werden mußten. Als im December 1865 durch ein kaiserliches Ge¬ setz festgestellt wurde, daß sämmtliche sequestrirte und confiscirte Güter com- promittirter polnischer Edelleute binnen zwei Jahren meiflbietlich versteigert werden sollten und daß alle Personen von polnischer Herkunft und katholischer Confession von dem Rechte, Güter in Litthauen und Samogitien zu erwerben, ausgeschlossen sein sollten, glaubte die russische Demokratie, das gesammte Land werde binnen weniger Monate in russischen Händen und den Segnungen geordneter Zustände wiedergegeben sein. — Diese Hoffnung ist bis heute unerfüllt geblieben. Weder zeigten die russischen Gutsbesitzer der Nach¬ barprovinzen Neigung dazu, ihre Capitalien in einem Lande anzulegen, dessen unsichere und gesetzlose Zustände jeder ruhigen und steten Thätigkeit feindlich erschienen, noch ließen die Polen sich so rasch verdrängen wie man geglaubt hatte. Unter hundert verschiedenen Vorwänden wußten sie sich in dem Lande, auf welches sie ein historisches Recht zu besitzen glaubten, festzusetzen, bald als Verwalter russischer Freunde, die die Güter auf ihre Namen hatten schreiben lassen, bald als Pächter derselben, bald als Träger fingirter Namen von russischem Klang. Sie wußten zu genau, daß die russischen Landwirthe, denen die sequestrirten Güter für Spottpreise angeboten wurden, weder das nöthige Capital noch die nöthigen landwirthschaftlichen Kenntnisse besaßen, als daß sie die Concurrenz derselben hätten fürchten und freiwillig das Feld räumen sollen. Dazu kam, daß die russischen Beamten, welche von der moskauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/456>, abgerufen am 15.01.2025.