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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Widerstand der Lords war nicht zu überwinden und um nur schließlich die
Hauptmaßregel durchzusetzen, gab das Ministerium mit O'Connels Zustim-
mung jene Clausel auf. Auch 1844 hatte der Antrag Russells auf eine Be-
rathung des ganzen Hauses zur Untersuchung des Zustandes von Irland
keine praktische Folge; die Torypartei widersetzte sich in geschlossenen Reihen
jedem Versuche, religiöse Gleichheit in Irland einzuführen, und auch unter
den Whigs hatte diese Politik starken Anhang.

Seitdem ruhte daher die Frage, bis im vorigen Jahr Lord Rüssel eine
Untersuchungscommission über den Zustand der irischen Kirche durchsetzte.
Der Bericht derselben lag noch nicht vor, als im vergangenen März der
Maguiresche Antrag über Irland zur Discussion kam, an den sich die Glad-
stoneschen Resolutionen anschlössen. Wir reserviren unser Urtheil über die
Berechtigung des Angriffs und der Vertheidigung und fassen zunächst die
Frage selbst ins Auge.

Daß ein Zustand, wie das Verhältniß der irischen Staatskirche ist. sich
nicht aufrecht halten läßt, scheint einleuchtend, wenn man die Thatsache in
Betracht nimmt, daß die Gelder, welche der Staat für kirchliche Zwecke zu
seiner Disposition hat. ausschließlich zu Gunsten einer Konfession verwendet
werden, welche nicht den achten Theil der Gesammtbevölkerung ausmacht.
Die Folge ist, daß, während die Anglikaner für ihre Kirche nichts zahlen,
die große katholische Majorität einer doppelt schweren Besteuerung unterliegt.
Sie zahlt indirect die Zehnten für die Staatskirche und trägt außerdem die
Kosten ihres eigenen Cultus und Clerus. Die Frage ist daher für sie nicht
die eines Mehr oder Minder, sie kann nicht durch Abschaffung einiger Pfrün¬
den oder Bischofsstellen gelöst werden, sondern die Beschwerde geht gegen
das Prinzip selbst, daß die Geistlichkeit einer verschwindenden Minorität aus
öffentlichen Mitteln erhalten wird, während die große Majorität nichts
empfängt. In der That sind die Argumente für Erhaltung des status puo
überhaupt so wenig triftig, daß sie kaum eine schärfere Prüfung aushal¬
ten. Man hat behauptet, dem irischen Zweige der englischen Hochkirche komme
als Körperschaft ein fester Besitztitel aus die bisher bezogenen Einkünfte
durch Verjährung zu, solange die Fonds in vorgeschriebener Weise verwendet
würden. Aber diese Behauptung ist weder vom allgemeinen Gesichtspunkte,
noch vom speciell englischen zu rechtfertigen; der Staat soll unzweifelhaft
der Kirche die Feststellung von Lehre, Cultus und Zucht, überhaupt des
ganzen inneren Lebens überlassen, aber die Regierung muß sich mit der so-
cialen und politischen Stellung der Kirche so gut beschäftigen, wie mit jeder
anderen großen Institution des Landes. Speciell für England steht dies
Recht seit den ältesten Zeiten fest, eine der ersten Statuten Heinrichs III.
verbietet die todte Hand für kirchliche Zwecke; stets hat das Parlament das


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Widerstand der Lords war nicht zu überwinden und um nur schließlich die
Hauptmaßregel durchzusetzen, gab das Ministerium mit O'Connels Zustim-
mung jene Clausel auf. Auch 1844 hatte der Antrag Russells auf eine Be-
rathung des ganzen Hauses zur Untersuchung des Zustandes von Irland
keine praktische Folge; die Torypartei widersetzte sich in geschlossenen Reihen
jedem Versuche, religiöse Gleichheit in Irland einzuführen, und auch unter
den Whigs hatte diese Politik starken Anhang.

Seitdem ruhte daher die Frage, bis im vorigen Jahr Lord Rüssel eine
Untersuchungscommission über den Zustand der irischen Kirche durchsetzte.
Der Bericht derselben lag noch nicht vor, als im vergangenen März der
Maguiresche Antrag über Irland zur Discussion kam, an den sich die Glad-
stoneschen Resolutionen anschlössen. Wir reserviren unser Urtheil über die
Berechtigung des Angriffs und der Vertheidigung und fassen zunächst die
Frage selbst ins Auge.

Daß ein Zustand, wie das Verhältniß der irischen Staatskirche ist. sich
nicht aufrecht halten läßt, scheint einleuchtend, wenn man die Thatsache in
Betracht nimmt, daß die Gelder, welche der Staat für kirchliche Zwecke zu
seiner Disposition hat. ausschließlich zu Gunsten einer Konfession verwendet
werden, welche nicht den achten Theil der Gesammtbevölkerung ausmacht.
Die Folge ist, daß, während die Anglikaner für ihre Kirche nichts zahlen,
die große katholische Majorität einer doppelt schweren Besteuerung unterliegt.
Sie zahlt indirect die Zehnten für die Staatskirche und trägt außerdem die
Kosten ihres eigenen Cultus und Clerus. Die Frage ist daher für sie nicht
die eines Mehr oder Minder, sie kann nicht durch Abschaffung einiger Pfrün¬
den oder Bischofsstellen gelöst werden, sondern die Beschwerde geht gegen
das Prinzip selbst, daß die Geistlichkeit einer verschwindenden Minorität aus
öffentlichen Mitteln erhalten wird, während die große Majorität nichts
empfängt. In der That sind die Argumente für Erhaltung des status puo
überhaupt so wenig triftig, daß sie kaum eine schärfere Prüfung aushal¬
ten. Man hat behauptet, dem irischen Zweige der englischen Hochkirche komme
als Körperschaft ein fester Besitztitel aus die bisher bezogenen Einkünfte
durch Verjährung zu, solange die Fonds in vorgeschriebener Weise verwendet
würden. Aber diese Behauptung ist weder vom allgemeinen Gesichtspunkte,
noch vom speciell englischen zu rechtfertigen; der Staat soll unzweifelhaft
der Kirche die Feststellung von Lehre, Cultus und Zucht, überhaupt des
ganzen inneren Lebens überlassen, aber die Regierung muß sich mit der so-
cialen und politischen Stellung der Kirche so gut beschäftigen, wie mit jeder
anderen großen Institution des Landes. Speciell für England steht dies
Recht seit den ältesten Zeiten fest, eine der ersten Statuten Heinrichs III.
verbietet die todte Hand für kirchliche Zwecke; stets hat das Parlament das


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[0407] Widerstand der Lords war nicht zu überwinden und um nur schließlich die Hauptmaßregel durchzusetzen, gab das Ministerium mit O'Connels Zustim- mung jene Clausel auf. Auch 1844 hatte der Antrag Russells auf eine Be- rathung des ganzen Hauses zur Untersuchung des Zustandes von Irland keine praktische Folge; die Torypartei widersetzte sich in geschlossenen Reihen jedem Versuche, religiöse Gleichheit in Irland einzuführen, und auch unter den Whigs hatte diese Politik starken Anhang. Seitdem ruhte daher die Frage, bis im vorigen Jahr Lord Rüssel eine Untersuchungscommission über den Zustand der irischen Kirche durchsetzte. Der Bericht derselben lag noch nicht vor, als im vergangenen März der Maguiresche Antrag über Irland zur Discussion kam, an den sich die Glad- stoneschen Resolutionen anschlössen. Wir reserviren unser Urtheil über die Berechtigung des Angriffs und der Vertheidigung und fassen zunächst die Frage selbst ins Auge. Daß ein Zustand, wie das Verhältniß der irischen Staatskirche ist. sich nicht aufrecht halten läßt, scheint einleuchtend, wenn man die Thatsache in Betracht nimmt, daß die Gelder, welche der Staat für kirchliche Zwecke zu seiner Disposition hat. ausschließlich zu Gunsten einer Konfession verwendet werden, welche nicht den achten Theil der Gesammtbevölkerung ausmacht. Die Folge ist, daß, während die Anglikaner für ihre Kirche nichts zahlen, die große katholische Majorität einer doppelt schweren Besteuerung unterliegt. Sie zahlt indirect die Zehnten für die Staatskirche und trägt außerdem die Kosten ihres eigenen Cultus und Clerus. Die Frage ist daher für sie nicht die eines Mehr oder Minder, sie kann nicht durch Abschaffung einiger Pfrün¬ den oder Bischofsstellen gelöst werden, sondern die Beschwerde geht gegen das Prinzip selbst, daß die Geistlichkeit einer verschwindenden Minorität aus öffentlichen Mitteln erhalten wird, während die große Majorität nichts empfängt. In der That sind die Argumente für Erhaltung des status puo überhaupt so wenig triftig, daß sie kaum eine schärfere Prüfung aushal¬ ten. Man hat behauptet, dem irischen Zweige der englischen Hochkirche komme als Körperschaft ein fester Besitztitel aus die bisher bezogenen Einkünfte durch Verjährung zu, solange die Fonds in vorgeschriebener Weise verwendet würden. Aber diese Behauptung ist weder vom allgemeinen Gesichtspunkte, noch vom speciell englischen zu rechtfertigen; der Staat soll unzweifelhaft der Kirche die Feststellung von Lehre, Cultus und Zucht, überhaupt des ganzen inneren Lebens überlassen, aber die Regierung muß sich mit der so- cialen und politischen Stellung der Kirche so gut beschäftigen, wie mit jeder anderen großen Institution des Landes. Speciell für England steht dies Recht seit den ältesten Zeiten fest, eine der ersten Statuten Heinrichs III. verbietet die todte Hand für kirchliche Zwecke; stets hat das Parlament das S1*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/407>, abgerufen am 15.01.2025.