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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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lich ändern mußte. Solche Aenderungen waren umsomehr nothwendig, als
mit dem Aufblühen des Mittelstandes eine furchtbare Verarmung der tieferen
Volksschichten begonnen hatte.

Denn es gehörten zur Betreibung der Landwirthschaft oder eines Ge¬
werbes wohl schon damals nicht allzu streng zugemessene Mittel, um an¬
gemessene Erträge zu erzielen. Die Armen, denen diese fehlten, mußten daher
entweder für unzureichenden Lohn billiger dienen oder Geld ausnehmen.
Hierzu liehen nun die adligen Herren die Capitalien, was eine sehr sichere
Anlage war. da nach dem harten alten Schuldrechte der Schuldner im Nicht¬
zahlungsfalle mit seiner Person dem Gläubiger als Sclave verfiel. Dieser
unerträgliche Zustand wurde erst, nachdem die Verfassung des Aristocraten
Drakon keine Abhilfe geschafft hatte, durch die politisch-sociale Reform des
Solon beseitigt. Dieser Volksmann hob nicht nur das alte,-harte Schuld¬
recht auf, sondern er erleichterte auch die Abzahlung der Schulden dadurch, daß
er einen neuen Münzfuß einführte, nach dem 73 Drachmen alte Währung gleich
100 Drachmen neuer Währung sein sollten. Um aber nicht nur vorübergehend
die Noth zu mindern, sondern auch dem Heranwachsen eines arbeitslosen und
arbeitsscheuen Proletariats zu steuern, nahm er eine Revision des drakonischen
Gesetzes über Arbeitsscheu vor. Hatte Drakon summarisch die Todesstrafe für
Arbeitsscheu bestimmt, so übertrug Solon die Untersuchung hierüber dem
Sittengericht des Areopag, der nach dreimaliger Verurtheilung auf Verlust
der bürgerlichen Rechte erkannte. Und um die Wohlthat des durch Arbeti
gesicherten Lebensunterhalts auch nachfolgenden Geschlechtern angedeihen zu
lassen, entband er den Sohn, welchen der Vater nicht zur Erlernung einer
Kunst angehalten hatte, von der Erfüllung der kindlichen Pflichten, gerade
so. wie er es für den Fall bestimmt hatte, daß ein Sohn vom Vater zur Un¬
zucht angeleitet wäre. Bei der Vieldeutigkeit des Ausdrucks "Kunst" könnte
Man zweifelhaft sein, was Solon in diesem Gesetze darunter verstanden wissen
Wollte, da auch die Bestandtheile der allgemeinen Bildung unter jenem
Ausdruck begriffen werden konnten, wie wir noch heute von, freien Künsten
reden, doch redet dies Gesetz ganz allgemein von einer Kunst. Die Fas¬
sung desjenigen Gesetzes aber, welches den Eltern die Erziehung ihrer Kinder
"anempfiehlt", scheint vielmehr, nach einer platonischen Stelle zu schließen,
diese gewesen zu sein: "der Vater solle den Sohn in Musik und Gymnastik
unterrichten lassen." Wir folgern hieraus, daß in jenem Gesetz unter Kunst
die Mittel verstanden gewesen seien, die zu späterem Erwerb bei mangelndem
besitze dienen sollten, mochten diese nun auf Landwirthschaft oder auf ein Ge¬
werbe angewendet werden.

Gewiß aber dürfen wir in einem andern Gesetze, welches bei Schmähung
ewes Bürgers oder einer Bürgerin wegen Hantierung auf dem Markte die


lich ändern mußte. Solche Aenderungen waren umsomehr nothwendig, als
mit dem Aufblühen des Mittelstandes eine furchtbare Verarmung der tieferen
Volksschichten begonnen hatte.

Denn es gehörten zur Betreibung der Landwirthschaft oder eines Ge¬
werbes wohl schon damals nicht allzu streng zugemessene Mittel, um an¬
gemessene Erträge zu erzielen. Die Armen, denen diese fehlten, mußten daher
entweder für unzureichenden Lohn billiger dienen oder Geld ausnehmen.
Hierzu liehen nun die adligen Herren die Capitalien, was eine sehr sichere
Anlage war. da nach dem harten alten Schuldrechte der Schuldner im Nicht¬
zahlungsfalle mit seiner Person dem Gläubiger als Sclave verfiel. Dieser
unerträgliche Zustand wurde erst, nachdem die Verfassung des Aristocraten
Drakon keine Abhilfe geschafft hatte, durch die politisch-sociale Reform des
Solon beseitigt. Dieser Volksmann hob nicht nur das alte,-harte Schuld¬
recht auf, sondern er erleichterte auch die Abzahlung der Schulden dadurch, daß
er einen neuen Münzfuß einführte, nach dem 73 Drachmen alte Währung gleich
100 Drachmen neuer Währung sein sollten. Um aber nicht nur vorübergehend
die Noth zu mindern, sondern auch dem Heranwachsen eines arbeitslosen und
arbeitsscheuen Proletariats zu steuern, nahm er eine Revision des drakonischen
Gesetzes über Arbeitsscheu vor. Hatte Drakon summarisch die Todesstrafe für
Arbeitsscheu bestimmt, so übertrug Solon die Untersuchung hierüber dem
Sittengericht des Areopag, der nach dreimaliger Verurtheilung auf Verlust
der bürgerlichen Rechte erkannte. Und um die Wohlthat des durch Arbeti
gesicherten Lebensunterhalts auch nachfolgenden Geschlechtern angedeihen zu
lassen, entband er den Sohn, welchen der Vater nicht zur Erlernung einer
Kunst angehalten hatte, von der Erfüllung der kindlichen Pflichten, gerade
so. wie er es für den Fall bestimmt hatte, daß ein Sohn vom Vater zur Un¬
zucht angeleitet wäre. Bei der Vieldeutigkeit des Ausdrucks „Kunst" könnte
Man zweifelhaft sein, was Solon in diesem Gesetze darunter verstanden wissen
Wollte, da auch die Bestandtheile der allgemeinen Bildung unter jenem
Ausdruck begriffen werden konnten, wie wir noch heute von, freien Künsten
reden, doch redet dies Gesetz ganz allgemein von einer Kunst. Die Fas¬
sung desjenigen Gesetzes aber, welches den Eltern die Erziehung ihrer Kinder
»anempfiehlt", scheint vielmehr, nach einer platonischen Stelle zu schließen,
diese gewesen zu sein: „der Vater solle den Sohn in Musik und Gymnastik
unterrichten lassen." Wir folgern hieraus, daß in jenem Gesetz unter Kunst
die Mittel verstanden gewesen seien, die zu späterem Erwerb bei mangelndem
besitze dienen sollten, mochten diese nun auf Landwirthschaft oder auf ein Ge¬
werbe angewendet werden.

Gewiß aber dürfen wir in einem andern Gesetze, welches bei Schmähung
ewes Bürgers oder einer Bürgerin wegen Hantierung auf dem Markte die


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[0377] lich ändern mußte. Solche Aenderungen waren umsomehr nothwendig, als mit dem Aufblühen des Mittelstandes eine furchtbare Verarmung der tieferen Volksschichten begonnen hatte. Denn es gehörten zur Betreibung der Landwirthschaft oder eines Ge¬ werbes wohl schon damals nicht allzu streng zugemessene Mittel, um an¬ gemessene Erträge zu erzielen. Die Armen, denen diese fehlten, mußten daher entweder für unzureichenden Lohn billiger dienen oder Geld ausnehmen. Hierzu liehen nun die adligen Herren die Capitalien, was eine sehr sichere Anlage war. da nach dem harten alten Schuldrechte der Schuldner im Nicht¬ zahlungsfalle mit seiner Person dem Gläubiger als Sclave verfiel. Dieser unerträgliche Zustand wurde erst, nachdem die Verfassung des Aristocraten Drakon keine Abhilfe geschafft hatte, durch die politisch-sociale Reform des Solon beseitigt. Dieser Volksmann hob nicht nur das alte,-harte Schuld¬ recht auf, sondern er erleichterte auch die Abzahlung der Schulden dadurch, daß er einen neuen Münzfuß einführte, nach dem 73 Drachmen alte Währung gleich 100 Drachmen neuer Währung sein sollten. Um aber nicht nur vorübergehend die Noth zu mindern, sondern auch dem Heranwachsen eines arbeitslosen und arbeitsscheuen Proletariats zu steuern, nahm er eine Revision des drakonischen Gesetzes über Arbeitsscheu vor. Hatte Drakon summarisch die Todesstrafe für Arbeitsscheu bestimmt, so übertrug Solon die Untersuchung hierüber dem Sittengericht des Areopag, der nach dreimaliger Verurtheilung auf Verlust der bürgerlichen Rechte erkannte. Und um die Wohlthat des durch Arbeti gesicherten Lebensunterhalts auch nachfolgenden Geschlechtern angedeihen zu lassen, entband er den Sohn, welchen der Vater nicht zur Erlernung einer Kunst angehalten hatte, von der Erfüllung der kindlichen Pflichten, gerade so. wie er es für den Fall bestimmt hatte, daß ein Sohn vom Vater zur Un¬ zucht angeleitet wäre. Bei der Vieldeutigkeit des Ausdrucks „Kunst" könnte Man zweifelhaft sein, was Solon in diesem Gesetze darunter verstanden wissen Wollte, da auch die Bestandtheile der allgemeinen Bildung unter jenem Ausdruck begriffen werden konnten, wie wir noch heute von, freien Künsten reden, doch redet dies Gesetz ganz allgemein von einer Kunst. Die Fas¬ sung desjenigen Gesetzes aber, welches den Eltern die Erziehung ihrer Kinder »anempfiehlt", scheint vielmehr, nach einer platonischen Stelle zu schließen, diese gewesen zu sein: „der Vater solle den Sohn in Musik und Gymnastik unterrichten lassen." Wir folgern hieraus, daß in jenem Gesetz unter Kunst die Mittel verstanden gewesen seien, die zu späterem Erwerb bei mangelndem besitze dienen sollten, mochten diese nun auf Landwirthschaft oder auf ein Ge¬ werbe angewendet werden. Gewiß aber dürfen wir in einem andern Gesetze, welches bei Schmähung ewes Bürgers oder einer Bürgerin wegen Hantierung auf dem Markte die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/377>, abgerufen am 15.01.2025.