Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Injurienklage verstattete, die Absicht des Gesetzgebers erkennen, dem Gewerbe
eine gewisse Ehre zu sichern. Denn wenn sich dies Gesetz auch zunächst nur
auf den Handelsbetrieb zu beziehen scheint, so ist doch Production und Ver¬
kauf der Waare namentlich in älteren Zeiten zu wenig geschieden, als daß
wir eine so scharfe Distinction des Gesetzgebers annehmen dürften. Will
man aber einwenden, daß zu Solon's Zeit die Zahl der nicht Ackerbau oder
Viehzucht treibenden Bürger zu klein gewesen sei, um ein Eingreifen der
Staatsgewalt zu erfordern, so hieße das eine allzugroße Bedürfnißlosigkeit
in einer Zeit annehmen, .wo bereits die Bildhauerkunst in Holz, Elfenbein
und Metall, sowie die Töpferkunst zu einer gewissen Blüthe gediehen war.
Auch der im Verhältniß zu Megara und Aegina immer noch geringe Seeverkehr
Athens kann nicht zum Beweise dienen, daß die producirende Klasse damals
noch ganz unbedeutend gewesen ist, da der Vertrieb und die Ausfuhr der
Waaren auch von Seefahrern anderer Stämme und Nationen vermittelt
werden konnte. Es kann vielmehr für die Absicht Solons, dem Gewerbs-
mann eine gewisse bürgerliche Ehre zu sichern, ein directes Zeugniß an¬
geführt werden. Der Redner Aeschines spricht sich nämlich, indem er von
der Theilnahme der niedrigen Bürger an der Volksversammlung redet, so
aus: "der Gesetzgeber (Solon) entfernt nicht etwa die, welche ein Handwerk
zur Gewinnung ihres Lebensunterhalts betreiben, von der Rednerbühne, son¬
dern er heißt sie sogar noch besonders willkommen." So konnte aber
offenbar nur ein Gesetzgeber verfahren, der dem Gewerbtreibenden eine ge¬
achtete Stellung zu schaffen bemüht war. Ueberdies zeugen auch noch andere
Anordnungen von der Absicht des Solon, das Gewerbe zu heben und seinen
Betrieb zu fördern.

Hierher dürfen wir zunächst rechnen, daß er möglichst große Gewerbe"
freiheit gewährte. Denn daß diese etwa nur aus einer Nichtbeachtung des
Gewerbes durch den Gesetzgeber hervorgegangen sei, ist nicht anzunehmen, da
eine directe diesen Punkt berührende Bestimmung in den solonischen Gesetzen
vorhanden war. Es wurde nämlich den Bürgern von allen Gewerben allein
die Salbenbereitung untersagt, weil diese für eine dem Freien nicht auslesende
Beschäftigung galt. Ferner aber suchte Solon auch neue Kräfte diesem Er¬
werbszweig zuzuführen, zu welchem Zwecke er fremde Industrielle und Han¬
delsleute zur Verpflanzung ihrer Thätigkeit nach Athen aufmunterte, indem
er eventuell deren Aufnahme in die Bürgerschaft gestattete. Wenn nun aber
dieser Gesetzgeber deßungeachtet seine Klasseneintheilung nur auf den Ertrag
der Feldfrüchte, oder, wie besser gesagt wird, auf den Landbesitz gründete
und danach die politischen Rechte der Staatsangehörigen bemaß, so könnte
es fast scheinen, als habe er den Gewerbtreibenden. der doch jedenfalls nicht
immer zugleich Landbesitz hatte und der in diesem Fall der vierten Klasse


Injurienklage verstattete, die Absicht des Gesetzgebers erkennen, dem Gewerbe
eine gewisse Ehre zu sichern. Denn wenn sich dies Gesetz auch zunächst nur
auf den Handelsbetrieb zu beziehen scheint, so ist doch Production und Ver¬
kauf der Waare namentlich in älteren Zeiten zu wenig geschieden, als daß
wir eine so scharfe Distinction des Gesetzgebers annehmen dürften. Will
man aber einwenden, daß zu Solon's Zeit die Zahl der nicht Ackerbau oder
Viehzucht treibenden Bürger zu klein gewesen sei, um ein Eingreifen der
Staatsgewalt zu erfordern, so hieße das eine allzugroße Bedürfnißlosigkeit
in einer Zeit annehmen, .wo bereits die Bildhauerkunst in Holz, Elfenbein
und Metall, sowie die Töpferkunst zu einer gewissen Blüthe gediehen war.
Auch der im Verhältniß zu Megara und Aegina immer noch geringe Seeverkehr
Athens kann nicht zum Beweise dienen, daß die producirende Klasse damals
noch ganz unbedeutend gewesen ist, da der Vertrieb und die Ausfuhr der
Waaren auch von Seefahrern anderer Stämme und Nationen vermittelt
werden konnte. Es kann vielmehr für die Absicht Solons, dem Gewerbs-
mann eine gewisse bürgerliche Ehre zu sichern, ein directes Zeugniß an¬
geführt werden. Der Redner Aeschines spricht sich nämlich, indem er von
der Theilnahme der niedrigen Bürger an der Volksversammlung redet, so
aus: „der Gesetzgeber (Solon) entfernt nicht etwa die, welche ein Handwerk
zur Gewinnung ihres Lebensunterhalts betreiben, von der Rednerbühne, son¬
dern er heißt sie sogar noch besonders willkommen." So konnte aber
offenbar nur ein Gesetzgeber verfahren, der dem Gewerbtreibenden eine ge¬
achtete Stellung zu schaffen bemüht war. Ueberdies zeugen auch noch andere
Anordnungen von der Absicht des Solon, das Gewerbe zu heben und seinen
Betrieb zu fördern.

Hierher dürfen wir zunächst rechnen, daß er möglichst große Gewerbe«
freiheit gewährte. Denn daß diese etwa nur aus einer Nichtbeachtung des
Gewerbes durch den Gesetzgeber hervorgegangen sei, ist nicht anzunehmen, da
eine directe diesen Punkt berührende Bestimmung in den solonischen Gesetzen
vorhanden war. Es wurde nämlich den Bürgern von allen Gewerben allein
die Salbenbereitung untersagt, weil diese für eine dem Freien nicht auslesende
Beschäftigung galt. Ferner aber suchte Solon auch neue Kräfte diesem Er¬
werbszweig zuzuführen, zu welchem Zwecke er fremde Industrielle und Han¬
delsleute zur Verpflanzung ihrer Thätigkeit nach Athen aufmunterte, indem
er eventuell deren Aufnahme in die Bürgerschaft gestattete. Wenn nun aber
dieser Gesetzgeber deßungeachtet seine Klasseneintheilung nur auf den Ertrag
der Feldfrüchte, oder, wie besser gesagt wird, auf den Landbesitz gründete
und danach die politischen Rechte der Staatsangehörigen bemaß, so könnte
es fast scheinen, als habe er den Gewerbtreibenden. der doch jedenfalls nicht
immer zugleich Landbesitz hatte und der in diesem Fall der vierten Klasse


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117910"/>
          <p xml:id="ID_1183" prev="#ID_1182"> Injurienklage verstattete, die Absicht des Gesetzgebers erkennen, dem Gewerbe<lb/>
eine gewisse Ehre zu sichern. Denn wenn sich dies Gesetz auch zunächst nur<lb/>
auf den Handelsbetrieb zu beziehen scheint, so ist doch Production und Ver¬<lb/>
kauf der Waare namentlich in älteren Zeiten zu wenig geschieden, als daß<lb/>
wir eine so scharfe Distinction des Gesetzgebers annehmen dürften. Will<lb/>
man aber einwenden, daß zu Solon's Zeit die Zahl der nicht Ackerbau oder<lb/>
Viehzucht treibenden Bürger zu klein gewesen sei, um ein Eingreifen der<lb/>
Staatsgewalt zu erfordern, so hieße das eine allzugroße Bedürfnißlosigkeit<lb/>
in einer Zeit annehmen, .wo bereits die Bildhauerkunst in Holz, Elfenbein<lb/>
und Metall, sowie die Töpferkunst zu einer gewissen Blüthe gediehen war.<lb/>
Auch der im Verhältniß zu Megara und Aegina immer noch geringe Seeverkehr<lb/>
Athens kann nicht zum Beweise dienen, daß die producirende Klasse damals<lb/>
noch ganz unbedeutend gewesen ist, da der Vertrieb und die Ausfuhr der<lb/>
Waaren auch von Seefahrern anderer Stämme und Nationen vermittelt<lb/>
werden konnte. Es kann vielmehr für die Absicht Solons, dem Gewerbs-<lb/>
mann eine gewisse bürgerliche Ehre zu sichern, ein directes Zeugniß an¬<lb/>
geführt werden. Der Redner Aeschines spricht sich nämlich, indem er von<lb/>
der Theilnahme der niedrigen Bürger an der Volksversammlung redet, so<lb/>
aus: &#x201E;der Gesetzgeber (Solon) entfernt nicht etwa die, welche ein Handwerk<lb/>
zur Gewinnung ihres Lebensunterhalts betreiben, von der Rednerbühne, son¬<lb/>
dern er heißt sie sogar noch besonders willkommen." So konnte aber<lb/>
offenbar nur ein Gesetzgeber verfahren, der dem Gewerbtreibenden eine ge¬<lb/>
achtete Stellung zu schaffen bemüht war. Ueberdies zeugen auch noch andere<lb/>
Anordnungen von der Absicht des Solon, das Gewerbe zu heben und seinen<lb/>
Betrieb zu fördern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1184" next="#ID_1185"> Hierher dürfen wir zunächst rechnen, daß er möglichst große Gewerbe«<lb/>
freiheit gewährte. Denn daß diese etwa nur aus einer Nichtbeachtung des<lb/>
Gewerbes durch den Gesetzgeber hervorgegangen sei, ist nicht anzunehmen, da<lb/>
eine directe diesen Punkt berührende Bestimmung in den solonischen Gesetzen<lb/>
vorhanden war. Es wurde nämlich den Bürgern von allen Gewerben allein<lb/>
die Salbenbereitung untersagt, weil diese für eine dem Freien nicht auslesende<lb/>
Beschäftigung galt. Ferner aber suchte Solon auch neue Kräfte diesem Er¬<lb/>
werbszweig zuzuführen, zu welchem Zwecke er fremde Industrielle und Han¬<lb/>
delsleute zur Verpflanzung ihrer Thätigkeit nach Athen aufmunterte, indem<lb/>
er eventuell deren Aufnahme in die Bürgerschaft gestattete. Wenn nun aber<lb/>
dieser Gesetzgeber deßungeachtet seine Klasseneintheilung nur auf den Ertrag<lb/>
der Feldfrüchte, oder, wie besser gesagt wird, auf den Landbesitz gründete<lb/>
und danach die politischen Rechte der Staatsangehörigen bemaß, so könnte<lb/>
es fast scheinen, als habe er den Gewerbtreibenden. der doch jedenfalls nicht<lb/>
immer zugleich Landbesitz hatte und der in diesem Fall der vierten Klasse</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Injurienklage verstattete, die Absicht des Gesetzgebers erkennen, dem Gewerbe eine gewisse Ehre zu sichern. Denn wenn sich dies Gesetz auch zunächst nur auf den Handelsbetrieb zu beziehen scheint, so ist doch Production und Ver¬ kauf der Waare namentlich in älteren Zeiten zu wenig geschieden, als daß wir eine so scharfe Distinction des Gesetzgebers annehmen dürften. Will man aber einwenden, daß zu Solon's Zeit die Zahl der nicht Ackerbau oder Viehzucht treibenden Bürger zu klein gewesen sei, um ein Eingreifen der Staatsgewalt zu erfordern, so hieße das eine allzugroße Bedürfnißlosigkeit in einer Zeit annehmen, .wo bereits die Bildhauerkunst in Holz, Elfenbein und Metall, sowie die Töpferkunst zu einer gewissen Blüthe gediehen war. Auch der im Verhältniß zu Megara und Aegina immer noch geringe Seeverkehr Athens kann nicht zum Beweise dienen, daß die producirende Klasse damals noch ganz unbedeutend gewesen ist, da der Vertrieb und die Ausfuhr der Waaren auch von Seefahrern anderer Stämme und Nationen vermittelt werden konnte. Es kann vielmehr für die Absicht Solons, dem Gewerbs- mann eine gewisse bürgerliche Ehre zu sichern, ein directes Zeugniß an¬ geführt werden. Der Redner Aeschines spricht sich nämlich, indem er von der Theilnahme der niedrigen Bürger an der Volksversammlung redet, so aus: „der Gesetzgeber (Solon) entfernt nicht etwa die, welche ein Handwerk zur Gewinnung ihres Lebensunterhalts betreiben, von der Rednerbühne, son¬ dern er heißt sie sogar noch besonders willkommen." So konnte aber offenbar nur ein Gesetzgeber verfahren, der dem Gewerbtreibenden eine ge¬ achtete Stellung zu schaffen bemüht war. Ueberdies zeugen auch noch andere Anordnungen von der Absicht des Solon, das Gewerbe zu heben und seinen Betrieb zu fördern. Hierher dürfen wir zunächst rechnen, daß er möglichst große Gewerbe« freiheit gewährte. Denn daß diese etwa nur aus einer Nichtbeachtung des Gewerbes durch den Gesetzgeber hervorgegangen sei, ist nicht anzunehmen, da eine directe diesen Punkt berührende Bestimmung in den solonischen Gesetzen vorhanden war. Es wurde nämlich den Bürgern von allen Gewerben allein die Salbenbereitung untersagt, weil diese für eine dem Freien nicht auslesende Beschäftigung galt. Ferner aber suchte Solon auch neue Kräfte diesem Er¬ werbszweig zuzuführen, zu welchem Zwecke er fremde Industrielle und Han¬ delsleute zur Verpflanzung ihrer Thätigkeit nach Athen aufmunterte, indem er eventuell deren Aufnahme in die Bürgerschaft gestattete. Wenn nun aber dieser Gesetzgeber deßungeachtet seine Klasseneintheilung nur auf den Ertrag der Feldfrüchte, oder, wie besser gesagt wird, auf den Landbesitz gründete und danach die politischen Rechte der Staatsangehörigen bemaß, so könnte es fast scheinen, als habe er den Gewerbtreibenden. der doch jedenfalls nicht immer zugleich Landbesitz hatte und der in diesem Fall der vierten Klasse

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/378>, abgerufen am 15.01.2025.