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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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schichte dient dazu, sie in Helles Licht zu setzen. Die jahrelange Fort¬
dauer des Johnson'schen Regiments im Widerspruch mit dem Congreß, im
Gegensatz zu der Meinung der Volksmehrheit, sind schlagende Belege zu der
Mangelhaftigkeit des amerikanischen Systems. Was der Verfasser an einer
anderen Stelle über die Gefahr von Zwistigkeiten zwischen der legislativen
und executiven Gewalt sagt, über die gegenseitige Lähmung beider, über den
verderblichen Einfluß dieses Zustandes auf den politischen Geist der Nation,
der corrumpirt statt erzogen zu werden Gefahr laufe -- dies alles wird
nicht mehr übertrieben gefunden werden können, nachdem die letzten Jahre
genug der leidigen Thatsachen als Beweise dieser Behauptungen geliefert
haben.

Bei der Untersuchung der Vorbedingungen für eine parlamentarische
Cabinetsregierung kommt der Versasser zu dem Satz: sie ist in den allermeisten
Fällen nur bei "folgsamen Nationen" möglich, d. h. bei solchen, in welchen die
größere Anzahl der weniger Erfahrenen von der kleineren Anzahl der Er¬
fahrenen gelenkt zu werden wünscht. England ist das Urbild eines solchen
, folgsamen Landes. Als die Wähler seiner Regierung erkennt es eine gebil¬
dete Minderheit an, welche sachverständig und mächtig zugleich ist, es hat
eine Art von Treue für einige überlegene Männer, welche fähig sind, eine
gute Regierung zu wählen und denen sich keine andere Classe gegenüberstellt.
In welcher Art und Weise diese "folgsame Gesinnung" der Nation mit ver¬
hältnißmäßig unscheinbaren aber in ihrer Wirkung sicheren Mitteln aufrecht
erhalten wird, läßt der Verfasser sich besonders angelegen sein nachzuweisen.
Mit Recht legt er auf das "theatralische Schauwesen" der Gesellschaft und
den angeborenen Respect des Engländers vor demselben großes Gewicht.
"Monarchien und Aristocratien", sagt er, "besitzen die große Eigenschaft,
welche die Menge regiert -- von welcher die Staatsphilosophen aber nichts
bemerken können -- die Sichtlichkeit ihrer Existenz." Die realistische
Kritik, die der von der Vortrefflichkeit der englischen Staatseinrichtungen
durchdrungene Verfasser in den hierher gehörigen Abschnitten ausübt, ist
sachlich durchaus zutreffend, aber sie ist dabei von einer unbefangenen Offen¬
herzigkeit, die auf deutsche Leser sast abstoßend wirkt. Consequent wird der
Gesichtspunkt betont, daß die politische Folgsamkeit in einer Nation
aufrecht zu erhalten eins der größten Verdienste der Staatsinstitutionen ist.
Ein Land, in welchem die unteren Stände leicht in Respect zu halten sind,
ist am meisten geeignet gut regiert zu werden.

In Betreff des Adels heißt es: "Die Aufgabe des Adelsstandes ist, dem
gemeinen Volk zu imponiren und auf die Einbildungskraft einen Einfluß
auszuüben, der sonst nicht ausgeübt werden würde. Die bloße Existenz des
Adels ist schon deshalb nützlich, weil sie das Gefühl des Gehorsams gegen


schichte dient dazu, sie in Helles Licht zu setzen. Die jahrelange Fort¬
dauer des Johnson'schen Regiments im Widerspruch mit dem Congreß, im
Gegensatz zu der Meinung der Volksmehrheit, sind schlagende Belege zu der
Mangelhaftigkeit des amerikanischen Systems. Was der Verfasser an einer
anderen Stelle über die Gefahr von Zwistigkeiten zwischen der legislativen
und executiven Gewalt sagt, über die gegenseitige Lähmung beider, über den
verderblichen Einfluß dieses Zustandes auf den politischen Geist der Nation,
der corrumpirt statt erzogen zu werden Gefahr laufe — dies alles wird
nicht mehr übertrieben gefunden werden können, nachdem die letzten Jahre
genug der leidigen Thatsachen als Beweise dieser Behauptungen geliefert
haben.

Bei der Untersuchung der Vorbedingungen für eine parlamentarische
Cabinetsregierung kommt der Versasser zu dem Satz: sie ist in den allermeisten
Fällen nur bei „folgsamen Nationen" möglich, d. h. bei solchen, in welchen die
größere Anzahl der weniger Erfahrenen von der kleineren Anzahl der Er¬
fahrenen gelenkt zu werden wünscht. England ist das Urbild eines solchen
, folgsamen Landes. Als die Wähler seiner Regierung erkennt es eine gebil¬
dete Minderheit an, welche sachverständig und mächtig zugleich ist, es hat
eine Art von Treue für einige überlegene Männer, welche fähig sind, eine
gute Regierung zu wählen und denen sich keine andere Classe gegenüberstellt.
In welcher Art und Weise diese „folgsame Gesinnung" der Nation mit ver¬
hältnißmäßig unscheinbaren aber in ihrer Wirkung sicheren Mitteln aufrecht
erhalten wird, läßt der Verfasser sich besonders angelegen sein nachzuweisen.
Mit Recht legt er auf das „theatralische Schauwesen" der Gesellschaft und
den angeborenen Respect des Engländers vor demselben großes Gewicht.
„Monarchien und Aristocratien", sagt er, „besitzen die große Eigenschaft,
welche die Menge regiert — von welcher die Staatsphilosophen aber nichts
bemerken können — die Sichtlichkeit ihrer Existenz." Die realistische
Kritik, die der von der Vortrefflichkeit der englischen Staatseinrichtungen
durchdrungene Verfasser in den hierher gehörigen Abschnitten ausübt, ist
sachlich durchaus zutreffend, aber sie ist dabei von einer unbefangenen Offen¬
herzigkeit, die auf deutsche Leser sast abstoßend wirkt. Consequent wird der
Gesichtspunkt betont, daß die politische Folgsamkeit in einer Nation
aufrecht zu erhalten eins der größten Verdienste der Staatsinstitutionen ist.
Ein Land, in welchem die unteren Stände leicht in Respect zu halten sind,
ist am meisten geeignet gut regiert zu werden.

In Betreff des Adels heißt es: „Die Aufgabe des Adelsstandes ist, dem
gemeinen Volk zu imponiren und auf die Einbildungskraft einen Einfluß
auszuüben, der sonst nicht ausgeübt werden würde. Die bloße Existenz des
Adels ist schon deshalb nützlich, weil sie das Gefühl des Gehorsams gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/370>, abgerufen am 15.01.2025.