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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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wie ein amerikanisches Wahlcollegium auf einen bestimmten Präsidenten,
ausdrücklich auf einen bestimmten Premierminister -- Palmerston -- gewählt,
mehr wie irgend eines der letzten Jahre hatte es den Zweck, diesen zu stützen,
aber ehe zwei Jahre vergangen waren, hatte es gleichwohl Lord Palmerston
gestürzt und sich somit als unabhängig wirkender Wahlkörper bethätigt.

Sehr gut entwickelt der Verfasser der vorliegenden Schrift die Bedeutung
dieser Unterschiede in kritischen Zeiten. Für solche Fälle hat eine parlamen¬
tarische oder Cabinetsverwaltung eine "Reservegewalt für außergewöhnliche
Bedürfnisse". Während der Verwickelungen in der Krim wurde das Mini¬
sterium Aberdeen entfernt, weil es des "dämonischen Elementes" entbehrte,
während es an Klugheit >sür friedliche Zeiten die Hülle und Fülle hatte, und
es wurde der Staatsmann gewählt, der gerade die Vorzüge besaß, deren man
eben bedürfte.

In England sagte man damals: "Wir setzten den Quäker ab und den
Faustkämpfer ein." Unter einer Präsidentschaftsregierung kann derartiges
nicht geschehen. "Die amerikanische Regierung", sagt Herr Bagehot, ,>nennt
sich selbst die Regierung der Leute ersten Ranges, aber bei einer schnell
hereinbrechenden Krisis, zu Zeiten, wenn eine überlegene Gewalt am nöthig¬
sten ist, kann man diese Elite nicht finden. Da ist ein für eine bestimmte
Periode gewählter Congreß, der sich vielleicht auch nach festgesetzten Terminen,
welche aber weder beschleunigt noch verzögert werden können, vertagt; da
ist ein, für eine bestimmte Periode gewählter Präsident, welcher während
derselben nicht von der Stelle gerückt werden kann: alle staatlichen Einrich¬
tungen sind für bestimmte Zeitabschnitte getroffen. Es gibt kein elastisches
Element."

In einem Lande mit verwickelten äußeren Verhältnissen wird es meistens
vorkommen, daß im ersten und bedeutungsreichsten Jahre jedes Kriegs ein
friedlich gesinnter Premierminister an der Spitze der Regierung steht und in
den ersten und bedeutungsvollsten Jahren des Friedens ein kriegerisch gesinn¬
ter Premierminister die Leitung hat. In jedem Falle würde mithin unwider¬
ruflich während der Uebergangsperiode ein Mann regieren, der nicht zum Zweck
dessen gewählt wurde, was er einzuführen gezwungen war, sondern dessen,
was er ändern sollte. --

Die Betrachtungen der englischen Schriftsteller über diesen Gegenstand
sind hier nicht weiter zu verfolgen. Wenn der Vergleich der englischen Par¬
laments- und der amerikanischen Präsidentschastsregierung durchweg zum
Nachtheil des letzteren Systems ausfällt, so wird man leicht geneigt sein, ein
so umfassendes Verdict auf Rechnung englischer Voreingenommenheit gegen
amerikanische Staatsinstitutionen zu setzen. Indessen sind die Gründe des
Verfassers nicht zu unterschätzen und gerade die neueste amerikanische Ge-


wie ein amerikanisches Wahlcollegium auf einen bestimmten Präsidenten,
ausdrücklich auf einen bestimmten Premierminister — Palmerston — gewählt,
mehr wie irgend eines der letzten Jahre hatte es den Zweck, diesen zu stützen,
aber ehe zwei Jahre vergangen waren, hatte es gleichwohl Lord Palmerston
gestürzt und sich somit als unabhängig wirkender Wahlkörper bethätigt.

Sehr gut entwickelt der Verfasser der vorliegenden Schrift die Bedeutung
dieser Unterschiede in kritischen Zeiten. Für solche Fälle hat eine parlamen¬
tarische oder Cabinetsverwaltung eine „Reservegewalt für außergewöhnliche
Bedürfnisse". Während der Verwickelungen in der Krim wurde das Mini¬
sterium Aberdeen entfernt, weil es des „dämonischen Elementes" entbehrte,
während es an Klugheit >sür friedliche Zeiten die Hülle und Fülle hatte, und
es wurde der Staatsmann gewählt, der gerade die Vorzüge besaß, deren man
eben bedürfte.

In England sagte man damals: „Wir setzten den Quäker ab und den
Faustkämpfer ein." Unter einer Präsidentschaftsregierung kann derartiges
nicht geschehen. „Die amerikanische Regierung", sagt Herr Bagehot, ,>nennt
sich selbst die Regierung der Leute ersten Ranges, aber bei einer schnell
hereinbrechenden Krisis, zu Zeiten, wenn eine überlegene Gewalt am nöthig¬
sten ist, kann man diese Elite nicht finden. Da ist ein für eine bestimmte
Periode gewählter Congreß, der sich vielleicht auch nach festgesetzten Terminen,
welche aber weder beschleunigt noch verzögert werden können, vertagt; da
ist ein, für eine bestimmte Periode gewählter Präsident, welcher während
derselben nicht von der Stelle gerückt werden kann: alle staatlichen Einrich¬
tungen sind für bestimmte Zeitabschnitte getroffen. Es gibt kein elastisches
Element."

In einem Lande mit verwickelten äußeren Verhältnissen wird es meistens
vorkommen, daß im ersten und bedeutungsreichsten Jahre jedes Kriegs ein
friedlich gesinnter Premierminister an der Spitze der Regierung steht und in
den ersten und bedeutungsvollsten Jahren des Friedens ein kriegerisch gesinn¬
ter Premierminister die Leitung hat. In jedem Falle würde mithin unwider¬
ruflich während der Uebergangsperiode ein Mann regieren, der nicht zum Zweck
dessen gewählt wurde, was er einzuführen gezwungen war, sondern dessen,
was er ändern sollte. —

Die Betrachtungen der englischen Schriftsteller über diesen Gegenstand
sind hier nicht weiter zu verfolgen. Wenn der Vergleich der englischen Par¬
laments- und der amerikanischen Präsidentschastsregierung durchweg zum
Nachtheil des letzteren Systems ausfällt, so wird man leicht geneigt sein, ein
so umfassendes Verdict auf Rechnung englischer Voreingenommenheit gegen
amerikanische Staatsinstitutionen zu setzen. Indessen sind die Gründe des
Verfassers nicht zu unterschätzen und gerade die neueste amerikanische Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/369>, abgerufen am 15.01.2025.