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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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ziemlich zahlreiche Partei der Leute, deren traditioneller Abhängigkeit von
dem kaiserlich französischen Wohlwollen der Abg. Propst typischen Ausdruck
gegeben hat. In der nationalen Partei werden die Ansichten höchstens
darüber differiren können, wie groß der Verlust an Zeit und nationaler
Spannkraft ist, der die politische Resultatlosigkeit des ersten deutschen Zoll¬
parlaments verschuldet hat. Für einen unwiederbringlichen würden wir
diesen Verlust erst ansehen, wenn es wahr würde, daß die nationale Partei sich
auch nur für einige Zeit mit Siegen wie dem vom 19. Mai völlig zufrieden
gibt und Miene macht, in die Arena der moralischen Eroberungen zurückzukehren.
Die Erfahrungen der letzten Wochen haben den einen Vorzug, die Situation
geklärt zu haben (schon die erneute Bekanntschaft mit dem Maß nationaler
Opferbereitschaft der preußischen Altconservativen ist lehrreich genug) -- dieser
Klarheit müssen wir nüchtern ins Gesicht sehen. Die Sachen stehen schlim¬
mer, als vor zwei Jahren, die Wirkungen des Jahres 1866 beginnen sich
auszuleben, die feindlichen Parteien sind nicht mehr unter dem Einfluß der
erlittenen Niederlage, die halben Freunde machen Miene, sich mit dem In¬
terim, in dem wir stecken, zufrieden zu geben, die Staaten des Südens sind
weder von selbst gekommen, noch werden sie von selbst kommen und das im
Frühjahr dieses Jahres ausgegebene Schlagwort "Erst Bayern dann Baden"
hat uns in eine Sackgasse geführt.

Entzieht die nationale Partei sich der Wahrheit dieser Sätze nicht, so wird
sie, nachdem ihr die Waffe einer Competenzerweiterung des Zollparlaments aus
den Händen gewunden worden, entweder den Gedanken an eine Heranziehung
des Südens vollständig auf sich beruhen lassen oder den Faden da wieder
aufnehmen müssen, wo er liegen geblieben ist: in Baden. So lange die
äußeren Bedingungen der politischen Existenz, welche der Süden fristet, unver¬
ändert dieselben bleiben, ist nicht abzusehen, wie man dem mindestens nicht zu¬
nehmenden Einfluß unserer Freunde in Baiern und Würtemberg auf die Beine
helfen, wie man von demselben irgend welchen praktischen Nutzen ziehen will.
Daß das Zollparlament sich in Sachen der Varnbüler'schen Wahleingriffe
mit einer ziemlich allgemein lautenden Resolution und den Reden Brauns
und Lasters zufrieden gegeben hat, mag durch die Umstände vollkommen ge¬
rechtfertigt gewesen sein, wird dem preußischen Einfluß in Würtemberg
aber nicht zur Kräftigung reichen. Soll die nationale Agitation im Süden
wirkliche Schwungkraft und einen festen Stützpunkt gewinnen, so kann das
nur geschehen, wenn Baden aus dem Kleeblatt der transmönanischen Sou-
verainetäten herausgerissen und sammt dem südlichen Theil Hessen-Darmstadts
zum Nordbunde zugelassen wird. Erst wenn das geschehen ist, läßt sich ab¬
sehen, daß der selbstzufriedene Eigensinn dänischer und schwäbischer Particu-
larexistenz ins Wanken gebracht, den gegen den Strom der Majorität schwien-


ziemlich zahlreiche Partei der Leute, deren traditioneller Abhängigkeit von
dem kaiserlich französischen Wohlwollen der Abg. Propst typischen Ausdruck
gegeben hat. In der nationalen Partei werden die Ansichten höchstens
darüber differiren können, wie groß der Verlust an Zeit und nationaler
Spannkraft ist, der die politische Resultatlosigkeit des ersten deutschen Zoll¬
parlaments verschuldet hat. Für einen unwiederbringlichen würden wir
diesen Verlust erst ansehen, wenn es wahr würde, daß die nationale Partei sich
auch nur für einige Zeit mit Siegen wie dem vom 19. Mai völlig zufrieden
gibt und Miene macht, in die Arena der moralischen Eroberungen zurückzukehren.
Die Erfahrungen der letzten Wochen haben den einen Vorzug, die Situation
geklärt zu haben (schon die erneute Bekanntschaft mit dem Maß nationaler
Opferbereitschaft der preußischen Altconservativen ist lehrreich genug) — dieser
Klarheit müssen wir nüchtern ins Gesicht sehen. Die Sachen stehen schlim¬
mer, als vor zwei Jahren, die Wirkungen des Jahres 1866 beginnen sich
auszuleben, die feindlichen Parteien sind nicht mehr unter dem Einfluß der
erlittenen Niederlage, die halben Freunde machen Miene, sich mit dem In¬
terim, in dem wir stecken, zufrieden zu geben, die Staaten des Südens sind
weder von selbst gekommen, noch werden sie von selbst kommen und das im
Frühjahr dieses Jahres ausgegebene Schlagwort „Erst Bayern dann Baden"
hat uns in eine Sackgasse geführt.

Entzieht die nationale Partei sich der Wahrheit dieser Sätze nicht, so wird
sie, nachdem ihr die Waffe einer Competenzerweiterung des Zollparlaments aus
den Händen gewunden worden, entweder den Gedanken an eine Heranziehung
des Südens vollständig auf sich beruhen lassen oder den Faden da wieder
aufnehmen müssen, wo er liegen geblieben ist: in Baden. So lange die
äußeren Bedingungen der politischen Existenz, welche der Süden fristet, unver¬
ändert dieselben bleiben, ist nicht abzusehen, wie man dem mindestens nicht zu¬
nehmenden Einfluß unserer Freunde in Baiern und Würtemberg auf die Beine
helfen, wie man von demselben irgend welchen praktischen Nutzen ziehen will.
Daß das Zollparlament sich in Sachen der Varnbüler'schen Wahleingriffe
mit einer ziemlich allgemein lautenden Resolution und den Reden Brauns
und Lasters zufrieden gegeben hat, mag durch die Umstände vollkommen ge¬
rechtfertigt gewesen sein, wird dem preußischen Einfluß in Würtemberg
aber nicht zur Kräftigung reichen. Soll die nationale Agitation im Süden
wirkliche Schwungkraft und einen festen Stützpunkt gewinnen, so kann das
nur geschehen, wenn Baden aus dem Kleeblatt der transmönanischen Sou-
verainetäten herausgerissen und sammt dem südlichen Theil Hessen-Darmstadts
zum Nordbunde zugelassen wird. Erst wenn das geschehen ist, läßt sich ab¬
sehen, daß der selbstzufriedene Eigensinn dänischer und schwäbischer Particu-
larexistenz ins Wanken gebracht, den gegen den Strom der Majorität schwien-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/348>, abgerufen am 15.01.2025.