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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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gewinnen. Mag immerhin wahr sein, daß die Niederlage unserer Partei in
Würtemberg durch Unredlichkeiten der Regierung verschuldet ist, es steht doch
fest, daß das Gewicht des Volkswillens im entscheidenden Augenblick in die
Wagschale der Propst und Sepp, nicht in die unsere fallen werde. Sich auf
das Gebiet jener langsamen moralischen Eroberungen zurückzubegeben, für
welche die sechs ersten Jahre dieses Decenniums -- um das Ding beim rech¬
ten Namen zu nennen -- verschleudert worden sind, wird man dem deut¬
schen Volk zum zweiten Male nicht zumuthen dürfen. Und wenn das nicht
-- welche greifbare Bedeutung bleibt für die Vorgänge der vier Wochen
deutschen Zollparlaments, welche für die Reden vom 18. und 19. Mai
übrig? Von den wirthschaftlichen Resultaten dieser Versammlung kann hier
nicht die Rede sein, denn wenn wir Herrn v. Varnbüler ausnehmen, so haben
sämmtliche hervorragende Theilnehmer des Zollparlaments erklärt, sie hätten
nicht die Absicht gehabt, sich mit diesen zu begnügen und in der Presse wie im
großen Publicum hat die politische Bedeutung des Zollparlaments von vorn¬
herein im Vordergrunde gestanden. Gegenstand der allgemeinen Spannung
und Aufmerksamkeit war die Frage, ob und inwieweit das Bewußtsein, eine
Vertretung des gesammten Volkes zu bilden, die Männer des Südens auf
einen höheren Standpunkt heben, unter das Gewicht nothwendiger Conces¬
sionen an die eine deutsche Sache stellen werde. Daß es dabei ohne die
Majorisirung eines Häufleins Unverbesserlicher nicht abgehen werde, mußte
Jedem einleuchten, der die Zusammensetzung des Hauses kannte. Das Re¬
sultat ist gewesen, daß weder diese Majvnsirung, noch ein kühner, in das
Herz der Nation packender Griff möglich gewesen sind und daß die Versamm¬
lung sich unter dem Eindruck trennte, die Aufrechterhaltung des Zustandes,
welchem das vertragsmäßige Recht Ausdruck gibt, sei das Verständigungs-
maximum, zu welchem es das deutsche Volk bringen konnte: daß hinter
diesem geschriebenen Recht noch ein bestimmtes höheres Recht stehe, ist durch
den Uebergang zur Tagesordnung ausdrücklich nicht anerkannt worden und
da der Mangel eines solchen dennoch allen Parteien fühlbar ist, supplirt
jede derselben dieses Recht auf ihre Weise. Was das bei deutschen Particu-
laristen heißen will, braucht nicht erst gesagt zu werden.

Das Zollparlament ist geschlossen worden, ohne daß eine der vorhandenen
Parteien mehr aus demselben nach Hause gebracht hätte, als allgemeine gute
oder schlechte Eindrücke. Selbst mit der Zufriedenheit der verbündeten Regierun¬
gen, vor Allem der preußischen Regierung und dem norddeutschen Bundespräsi¬
dium dürfte es nicht weit her sein, denn die Modifikation der Tabakssteuervor¬
lage und die Nichtbewilligung der Petroleumssteuer ziehen einen Ausfall von
wenn wir nicht irren -- zwei Millionen Thalern nach sich, für welche Rath
zu schassen seine Schwierigkeiten haben wird. Wirklich befriedigt ist höchstens die


gewinnen. Mag immerhin wahr sein, daß die Niederlage unserer Partei in
Würtemberg durch Unredlichkeiten der Regierung verschuldet ist, es steht doch
fest, daß das Gewicht des Volkswillens im entscheidenden Augenblick in die
Wagschale der Propst und Sepp, nicht in die unsere fallen werde. Sich auf
das Gebiet jener langsamen moralischen Eroberungen zurückzubegeben, für
welche die sechs ersten Jahre dieses Decenniums — um das Ding beim rech¬
ten Namen zu nennen — verschleudert worden sind, wird man dem deut¬
schen Volk zum zweiten Male nicht zumuthen dürfen. Und wenn das nicht
— welche greifbare Bedeutung bleibt für die Vorgänge der vier Wochen
deutschen Zollparlaments, welche für die Reden vom 18. und 19. Mai
übrig? Von den wirthschaftlichen Resultaten dieser Versammlung kann hier
nicht die Rede sein, denn wenn wir Herrn v. Varnbüler ausnehmen, so haben
sämmtliche hervorragende Theilnehmer des Zollparlaments erklärt, sie hätten
nicht die Absicht gehabt, sich mit diesen zu begnügen und in der Presse wie im
großen Publicum hat die politische Bedeutung des Zollparlaments von vorn¬
herein im Vordergrunde gestanden. Gegenstand der allgemeinen Spannung
und Aufmerksamkeit war die Frage, ob und inwieweit das Bewußtsein, eine
Vertretung des gesammten Volkes zu bilden, die Männer des Südens auf
einen höheren Standpunkt heben, unter das Gewicht nothwendiger Conces¬
sionen an die eine deutsche Sache stellen werde. Daß es dabei ohne die
Majorisirung eines Häufleins Unverbesserlicher nicht abgehen werde, mußte
Jedem einleuchten, der die Zusammensetzung des Hauses kannte. Das Re¬
sultat ist gewesen, daß weder diese Majvnsirung, noch ein kühner, in das
Herz der Nation packender Griff möglich gewesen sind und daß die Versamm¬
lung sich unter dem Eindruck trennte, die Aufrechterhaltung des Zustandes,
welchem das vertragsmäßige Recht Ausdruck gibt, sei das Verständigungs-
maximum, zu welchem es das deutsche Volk bringen konnte: daß hinter
diesem geschriebenen Recht noch ein bestimmtes höheres Recht stehe, ist durch
den Uebergang zur Tagesordnung ausdrücklich nicht anerkannt worden und
da der Mangel eines solchen dennoch allen Parteien fühlbar ist, supplirt
jede derselben dieses Recht auf ihre Weise. Was das bei deutschen Particu-
laristen heißen will, braucht nicht erst gesagt zu werden.

Das Zollparlament ist geschlossen worden, ohne daß eine der vorhandenen
Parteien mehr aus demselben nach Hause gebracht hätte, als allgemeine gute
oder schlechte Eindrücke. Selbst mit der Zufriedenheit der verbündeten Regierun¬
gen, vor Allem der preußischen Regierung und dem norddeutschen Bundespräsi¬
dium dürfte es nicht weit her sein, denn die Modifikation der Tabakssteuervor¬
lage und die Nichtbewilligung der Petroleumssteuer ziehen einen Ausfall von
wenn wir nicht irren — zwei Millionen Thalern nach sich, für welche Rath
zu schassen seine Schwierigkeiten haben wird. Wirklich befriedigt ist höchstens die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/347>, abgerufen am 15.01.2025.