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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Ufer des Bergstroms, einem der günstigsten Punkte; auch die Villen von
Obermais und die Schlösser, die über der Gruft der verschütteten altrömischen
Maja stehn, hatten ein freundliches Bild in der Seele zurückgelassen. Es
galt nur noch, zu erkunden, ob der Kurzbüchl wirklich neben dem Marlinger
sei, und ob der Spronser wirklich so heiße wie ich nach dem gleichnamigen
Thal ihn getauft habe. Mein Forschen blieb vergeblich. Eine Bauerfrau
unter andern ließ mich gar nicht zu Worte kommen, als dächte sie, daß jede
Frage eines Fremden an einem Sonntagmorgen vom Uebel sein müsse. Wie
heißt -- sagte ich, mit dem Arm hindeutend. -- "I woaß nit", schrie sie
zur Antwort und marschirte weiter. Endlich stand ich wieder an der steinernen
Passerbrücke vor der Stadt, und hier hat der Küchelberg seinen romantischen
Moment. Rechts blicken die Trümmer der Zenoburg in eine enge vom
Bergstrom gerissene Felsschlucht; links das alterthümliche Passeirerthor und
auf dem Abhang vor uns ein viereckiger grauer Wachtthurm, gewöhnlich
Pulverthurm genannt. Diesen steilen und steinigen Abhang wandeln einige
Dutzend Tirolerbauern in Kniehosen und Strümpfen fortwährend auf und
nieder; und sie thun es mit beneidenswerther Leichtigkeit und Grazie. Man
könnte es für ein Ballet halten, das nur zu dem Zweck ausgeführt wird
den Curgast die wahrhaft nachahmungswürdigen Tyroler Waden zu zeigen.
Diesen Leuten ist das Klettern keine Mühe; wenn die bequeme Landstraße
einen Umweg von fünf Minuten macht, gehen sie lieber wie die Fliegen
eine schiefe Wand hinauf. An der Brustwehr in der Nähe der Brücke stand,
feine Pfeife rauchend, ein Bauer, dessen gutmüthige und heitere Miene zu
einem Gespräch einlud. In Bezug auf meine Berge meinte er: "I woaß
nit", doch suchteer mich zu beruhigen, indem er, mit den Fingern am Hori¬
zont hinfahrend, beifügte: "aber die sind alle beschrieben, denn da oben ist's
gar fein im Sommer." -- Unsereins, sagte ich, kann leider nur da unten
im Curgarten hin und her gehen. -- Da schüttelte er den Kopf, sah mich
forschend von der Seite an, that ein paar schnelle Züge aus dem Holzpfeif¬
chen, und sprach: "Ja, das Gärtle ist so arg nit mehr, wie's "mal g'wesen
ist, aber--".

Um das "so arg nit mehr" zu verstehen, muß man wissen, daß die
"Curvorstehung" vor einigen Jahren sich beifallen ließ, einige ihr von Wien
aus geschenkte Gypsfiguren zwischen den Myrten- und Lorbeerbüschen aus¬
zustellen. In frecher Nacktheit standen Venus, Hebe und Apollo am Passer¬
strande, und die Berge wurden täglich roth vor Scham, bis ein Haufe from¬
mer Bauern mit Hammer und Beil in das Städchen herunterstieg und den
Gräuel in tausend Scherben schlug. Die Luft ist seitdem etwas reiner, aber
-- wie mein Bauer hinzusetzte, "'s ist ah nix Heiliges drin, und es koann
Koaner nit wissen --". Er schüttelte wieder den Kopf.


Ufer des Bergstroms, einem der günstigsten Punkte; auch die Villen von
Obermais und die Schlösser, die über der Gruft der verschütteten altrömischen
Maja stehn, hatten ein freundliches Bild in der Seele zurückgelassen. Es
galt nur noch, zu erkunden, ob der Kurzbüchl wirklich neben dem Marlinger
sei, und ob der Spronser wirklich so heiße wie ich nach dem gleichnamigen
Thal ihn getauft habe. Mein Forschen blieb vergeblich. Eine Bauerfrau
unter andern ließ mich gar nicht zu Worte kommen, als dächte sie, daß jede
Frage eines Fremden an einem Sonntagmorgen vom Uebel sein müsse. Wie
heißt — sagte ich, mit dem Arm hindeutend. — „I woaß nit", schrie sie
zur Antwort und marschirte weiter. Endlich stand ich wieder an der steinernen
Passerbrücke vor der Stadt, und hier hat der Küchelberg seinen romantischen
Moment. Rechts blicken die Trümmer der Zenoburg in eine enge vom
Bergstrom gerissene Felsschlucht; links das alterthümliche Passeirerthor und
auf dem Abhang vor uns ein viereckiger grauer Wachtthurm, gewöhnlich
Pulverthurm genannt. Diesen steilen und steinigen Abhang wandeln einige
Dutzend Tirolerbauern in Kniehosen und Strümpfen fortwährend auf und
nieder; und sie thun es mit beneidenswerther Leichtigkeit und Grazie. Man
könnte es für ein Ballet halten, das nur zu dem Zweck ausgeführt wird
den Curgast die wahrhaft nachahmungswürdigen Tyroler Waden zu zeigen.
Diesen Leuten ist das Klettern keine Mühe; wenn die bequeme Landstraße
einen Umweg von fünf Minuten macht, gehen sie lieber wie die Fliegen
eine schiefe Wand hinauf. An der Brustwehr in der Nähe der Brücke stand,
feine Pfeife rauchend, ein Bauer, dessen gutmüthige und heitere Miene zu
einem Gespräch einlud. In Bezug auf meine Berge meinte er: „I woaß
nit", doch suchteer mich zu beruhigen, indem er, mit den Fingern am Hori¬
zont hinfahrend, beifügte: „aber die sind alle beschrieben, denn da oben ist's
gar fein im Sommer." — Unsereins, sagte ich, kann leider nur da unten
im Curgarten hin und her gehen. — Da schüttelte er den Kopf, sah mich
forschend von der Seite an, that ein paar schnelle Züge aus dem Holzpfeif¬
chen, und sprach: „Ja, das Gärtle ist so arg nit mehr, wie's «mal g'wesen
ist, aber--".

Um das „so arg nit mehr" zu verstehen, muß man wissen, daß die
„Curvorstehung" vor einigen Jahren sich beifallen ließ, einige ihr von Wien
aus geschenkte Gypsfiguren zwischen den Myrten- und Lorbeerbüschen aus¬
zustellen. In frecher Nacktheit standen Venus, Hebe und Apollo am Passer¬
strande, und die Berge wurden täglich roth vor Scham, bis ein Haufe from¬
mer Bauern mit Hammer und Beil in das Städchen herunterstieg und den
Gräuel in tausend Scherben schlug. Die Luft ist seitdem etwas reiner, aber
— wie mein Bauer hinzusetzte, „'s ist ah nix Heiliges drin, und es koann
Koaner nit wissen —". Er schüttelte wieder den Kopf.


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[0316] Ufer des Bergstroms, einem der günstigsten Punkte; auch die Villen von Obermais und die Schlösser, die über der Gruft der verschütteten altrömischen Maja stehn, hatten ein freundliches Bild in der Seele zurückgelassen. Es galt nur noch, zu erkunden, ob der Kurzbüchl wirklich neben dem Marlinger sei, und ob der Spronser wirklich so heiße wie ich nach dem gleichnamigen Thal ihn getauft habe. Mein Forschen blieb vergeblich. Eine Bauerfrau unter andern ließ mich gar nicht zu Worte kommen, als dächte sie, daß jede Frage eines Fremden an einem Sonntagmorgen vom Uebel sein müsse. Wie heißt — sagte ich, mit dem Arm hindeutend. — „I woaß nit", schrie sie zur Antwort und marschirte weiter. Endlich stand ich wieder an der steinernen Passerbrücke vor der Stadt, und hier hat der Küchelberg seinen romantischen Moment. Rechts blicken die Trümmer der Zenoburg in eine enge vom Bergstrom gerissene Felsschlucht; links das alterthümliche Passeirerthor und auf dem Abhang vor uns ein viereckiger grauer Wachtthurm, gewöhnlich Pulverthurm genannt. Diesen steilen und steinigen Abhang wandeln einige Dutzend Tirolerbauern in Kniehosen und Strümpfen fortwährend auf und nieder; und sie thun es mit beneidenswerther Leichtigkeit und Grazie. Man könnte es für ein Ballet halten, das nur zu dem Zweck ausgeführt wird den Curgast die wahrhaft nachahmungswürdigen Tyroler Waden zu zeigen. Diesen Leuten ist das Klettern keine Mühe; wenn die bequeme Landstraße einen Umweg von fünf Minuten macht, gehen sie lieber wie die Fliegen eine schiefe Wand hinauf. An der Brustwehr in der Nähe der Brücke stand, feine Pfeife rauchend, ein Bauer, dessen gutmüthige und heitere Miene zu einem Gespräch einlud. In Bezug auf meine Berge meinte er: „I woaß nit", doch suchteer mich zu beruhigen, indem er, mit den Fingern am Hori¬ zont hinfahrend, beifügte: „aber die sind alle beschrieben, denn da oben ist's gar fein im Sommer." — Unsereins, sagte ich, kann leider nur da unten im Curgarten hin und her gehen. — Da schüttelte er den Kopf, sah mich forschend von der Seite an, that ein paar schnelle Züge aus dem Holzpfeif¬ chen, und sprach: „Ja, das Gärtle ist so arg nit mehr, wie's «mal g'wesen ist, aber--". Um das „so arg nit mehr" zu verstehen, muß man wissen, daß die „Curvorstehung" vor einigen Jahren sich beifallen ließ, einige ihr von Wien aus geschenkte Gypsfiguren zwischen den Myrten- und Lorbeerbüschen aus¬ zustellen. In frecher Nacktheit standen Venus, Hebe und Apollo am Passer¬ strande, und die Berge wurden täglich roth vor Scham, bis ein Haufe from¬ mer Bauern mit Hammer und Beil in das Städchen herunterstieg und den Gräuel in tausend Scherben schlug. Die Luft ist seitdem etwas reiner, aber — wie mein Bauer hinzusetzte, „'s ist ah nix Heiliges drin, und es koann Koaner nit wissen —". Er schüttelte wieder den Kopf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/316>, abgerufen am 15.01.2025.