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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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tausend Silberfäden zu zeichnen, wenn im Thale schon sonnetrunkene Sommer¬
luft zittert und die edlen Kastanien und Nußbäume ihre goldgrüne Pracht
entfalten. Aber zwei Zauber fehlen hier: tiefer Wald und größere Wasser.
Die jugendliche Etsch merkt man wenig. Sie kommt um die Ecke des breit¬
gewölbten Marlinger aus dem Vintschgau hereingerauscht, nimmt dort gleich
die Passer auf und eilt mit ihr fort gegen Süden. Das Pförtchen. zu dem
sie hinausschlüpft, sieht man wegen der Berge nicht, die östlich vom Ifinger
und westlich vom Marlinger aus hinabziehen. Dieser Ifinger, von dem
man in der Nähe nur den runden Bauch und erst in der Entfernung den
großen Granithelm sehen kann, ist jedenfalls ein wunderlicher Geselle und
steht im Geruch vulkanischer Vergangenheit oder Zukunft. Vergleichsweise
gering von Statur, beherrscht er doch, wie man sagt, alle Nachbarn; von
ihm, heißt es, gehen die Porphyr- und andere Adern aus, die den zwei
Bergketten, bei aller Abwechslung in Schnitt und Gestalt, ein gemeinsames
Naturell geben. Im Profil betrachtet zeigen sie eine seltsame Weichheit der
Formen und die Neigung, bei gewissen Luftstimmungen sich leicht zu ver¬
klären. Da treten Altane heraus und Felswarten und kleine Vorgebirge,
die zierlichen Ebenbilder der höher liegenden elterlichen Kegel, Kuppen und
Bergsattel, alle wie gemacht für sagenumflüsterte Burgen und märchen-
umsummtes Gemäuer. In der That winken, die Thürme der Fragsburg,
von Katzenstein und Lebenberg von solchen Sitzen herab. Ganz im Hinter¬
grunde fallen die Berge in blauen Wellen zu Thal und die Enden der
zwei Höhenzüge scheinen in einander zu rinnen. Zum Ueberfluß ragt darüber
noch eine blaßblaue Bergmauer, die im Winter aus Eiskristallen erbaut ist,
erhaben und leuchtend, so wie wir als Kinder uns die demantenen Thore
des Himmels träumten. Aber die Etsch erreicht doch ihr ersehntes Italien,
wallt vorbei an der Heimath von Romeo und Julie und fällt glücklich in
den Golf von Venedig.

Ohnmächtige Wanderlust ist etwas trauriges, aber den Kranken tröstet
das Gefühl, wenn schon gefangen, doch in den Armen einer holden Land¬
schaft gefangen zu sein. Er nippt wenigstens vom Becher der erwähnten
Herrlichkeiten, wenn er auf dem rechten oder linken Passerufer durch die
Curanlagen wandelt, gegrüßt von Myrten- und Lorbeerbüschen, von hoffnungs¬
vollen jungen Cedern, kindgroßen, aber schon melancholischen Cypreßchen und
andern Sprößlingen eines milden Klimas. Uebrigens ist die ganze den
Fremden geweihte Strecke zwischen den Passerbrücken ein, um ultramontan
M reden, "gott- und religionsloser" Spazierweg. Nirgends -- es müßte
denn in einem epheuübersponnenen Versteck sein -- nirgends ein Crucifix oder
ein Heiligenbild.

Die herrliche Aussicht war genossen, und zwar vom aufsteigenden linken


tausend Silberfäden zu zeichnen, wenn im Thale schon sonnetrunkene Sommer¬
luft zittert und die edlen Kastanien und Nußbäume ihre goldgrüne Pracht
entfalten. Aber zwei Zauber fehlen hier: tiefer Wald und größere Wasser.
Die jugendliche Etsch merkt man wenig. Sie kommt um die Ecke des breit¬
gewölbten Marlinger aus dem Vintschgau hereingerauscht, nimmt dort gleich
die Passer auf und eilt mit ihr fort gegen Süden. Das Pförtchen. zu dem
sie hinausschlüpft, sieht man wegen der Berge nicht, die östlich vom Ifinger
und westlich vom Marlinger aus hinabziehen. Dieser Ifinger, von dem
man in der Nähe nur den runden Bauch und erst in der Entfernung den
großen Granithelm sehen kann, ist jedenfalls ein wunderlicher Geselle und
steht im Geruch vulkanischer Vergangenheit oder Zukunft. Vergleichsweise
gering von Statur, beherrscht er doch, wie man sagt, alle Nachbarn; von
ihm, heißt es, gehen die Porphyr- und andere Adern aus, die den zwei
Bergketten, bei aller Abwechslung in Schnitt und Gestalt, ein gemeinsames
Naturell geben. Im Profil betrachtet zeigen sie eine seltsame Weichheit der
Formen und die Neigung, bei gewissen Luftstimmungen sich leicht zu ver¬
klären. Da treten Altane heraus und Felswarten und kleine Vorgebirge,
die zierlichen Ebenbilder der höher liegenden elterlichen Kegel, Kuppen und
Bergsattel, alle wie gemacht für sagenumflüsterte Burgen und märchen-
umsummtes Gemäuer. In der That winken, die Thürme der Fragsburg,
von Katzenstein und Lebenberg von solchen Sitzen herab. Ganz im Hinter¬
grunde fallen die Berge in blauen Wellen zu Thal und die Enden der
zwei Höhenzüge scheinen in einander zu rinnen. Zum Ueberfluß ragt darüber
noch eine blaßblaue Bergmauer, die im Winter aus Eiskristallen erbaut ist,
erhaben und leuchtend, so wie wir als Kinder uns die demantenen Thore
des Himmels träumten. Aber die Etsch erreicht doch ihr ersehntes Italien,
wallt vorbei an der Heimath von Romeo und Julie und fällt glücklich in
den Golf von Venedig.

Ohnmächtige Wanderlust ist etwas trauriges, aber den Kranken tröstet
das Gefühl, wenn schon gefangen, doch in den Armen einer holden Land¬
schaft gefangen zu sein. Er nippt wenigstens vom Becher der erwähnten
Herrlichkeiten, wenn er auf dem rechten oder linken Passerufer durch die
Curanlagen wandelt, gegrüßt von Myrten- und Lorbeerbüschen, von hoffnungs¬
vollen jungen Cedern, kindgroßen, aber schon melancholischen Cypreßchen und
andern Sprößlingen eines milden Klimas. Uebrigens ist die ganze den
Fremden geweihte Strecke zwischen den Passerbrücken ein, um ultramontan
M reden, „gott- und religionsloser" Spazierweg. Nirgends — es müßte
denn in einem epheuübersponnenen Versteck sein — nirgends ein Crucifix oder
ein Heiligenbild.

Die herrliche Aussicht war genossen, und zwar vom aufsteigenden linken


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[0315] tausend Silberfäden zu zeichnen, wenn im Thale schon sonnetrunkene Sommer¬ luft zittert und die edlen Kastanien und Nußbäume ihre goldgrüne Pracht entfalten. Aber zwei Zauber fehlen hier: tiefer Wald und größere Wasser. Die jugendliche Etsch merkt man wenig. Sie kommt um die Ecke des breit¬ gewölbten Marlinger aus dem Vintschgau hereingerauscht, nimmt dort gleich die Passer auf und eilt mit ihr fort gegen Süden. Das Pförtchen. zu dem sie hinausschlüpft, sieht man wegen der Berge nicht, die östlich vom Ifinger und westlich vom Marlinger aus hinabziehen. Dieser Ifinger, von dem man in der Nähe nur den runden Bauch und erst in der Entfernung den großen Granithelm sehen kann, ist jedenfalls ein wunderlicher Geselle und steht im Geruch vulkanischer Vergangenheit oder Zukunft. Vergleichsweise gering von Statur, beherrscht er doch, wie man sagt, alle Nachbarn; von ihm, heißt es, gehen die Porphyr- und andere Adern aus, die den zwei Bergketten, bei aller Abwechslung in Schnitt und Gestalt, ein gemeinsames Naturell geben. Im Profil betrachtet zeigen sie eine seltsame Weichheit der Formen und die Neigung, bei gewissen Luftstimmungen sich leicht zu ver¬ klären. Da treten Altane heraus und Felswarten und kleine Vorgebirge, die zierlichen Ebenbilder der höher liegenden elterlichen Kegel, Kuppen und Bergsattel, alle wie gemacht für sagenumflüsterte Burgen und märchen- umsummtes Gemäuer. In der That winken, die Thürme der Fragsburg, von Katzenstein und Lebenberg von solchen Sitzen herab. Ganz im Hinter¬ grunde fallen die Berge in blauen Wellen zu Thal und die Enden der zwei Höhenzüge scheinen in einander zu rinnen. Zum Ueberfluß ragt darüber noch eine blaßblaue Bergmauer, die im Winter aus Eiskristallen erbaut ist, erhaben und leuchtend, so wie wir als Kinder uns die demantenen Thore des Himmels träumten. Aber die Etsch erreicht doch ihr ersehntes Italien, wallt vorbei an der Heimath von Romeo und Julie und fällt glücklich in den Golf von Venedig. Ohnmächtige Wanderlust ist etwas trauriges, aber den Kranken tröstet das Gefühl, wenn schon gefangen, doch in den Armen einer holden Land¬ schaft gefangen zu sein. Er nippt wenigstens vom Becher der erwähnten Herrlichkeiten, wenn er auf dem rechten oder linken Passerufer durch die Curanlagen wandelt, gegrüßt von Myrten- und Lorbeerbüschen, von hoffnungs¬ vollen jungen Cedern, kindgroßen, aber schon melancholischen Cypreßchen und andern Sprößlingen eines milden Klimas. Uebrigens ist die ganze den Fremden geweihte Strecke zwischen den Passerbrücken ein, um ultramontan M reden, „gott- und religionsloser" Spazierweg. Nirgends — es müßte denn in einem epheuübersponnenen Versteck sein — nirgends ein Crucifix oder ein Heiligenbild. Die herrliche Aussicht war genossen, und zwar vom aufsteigenden linken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/315>, abgerufen am 15.01.2025.