Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Ich wußte wo er hinaus wollte und erwiederte: Man kann nicht wissen, Diese Auskunft war im Grunde verständlich genug und meine Deutung Vom Passeirerthor gehen wir durch ein schattiges Gäßchen nach dem Grenzboten II. 1868. 40
Ich wußte wo er hinaus wollte und erwiederte: Man kann nicht wissen, Diese Auskunft war im Grunde verständlich genug und meine Deutung Vom Passeirerthor gehen wir durch ein schattiges Gäßchen nach dem Grenzboten II. 1868. 40
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Ich wußte wo er hinaus wollte und erwiederte: Man kann nicht wissen,
meint Ihr, ob der Himmel allein vor den Künsten des Teufels schirmt, wo
keine Heiligenbilder sind, die ihn zu Hülfe rufen, nicht wahr? — Er nickte.
Draußen, sagte ich, guter Freund, draußen im Reich fährt man seine 30
Meilen weit und steht nichts Heiliges am Wege. — „Ja, ja", — bemerkte er
— „das ist mir g'sagt worden. Es muß recht leer und wüst aussehen."
— Curios! fuhr ich fort, der Teufel könnte draußen Hundert im Nu
lebendig fangen, ich möchte wohl wissen, warum man von ihm nichts zu
sehen und zu hören kriegt. — Auf diesem Gebiet hatte die Unwissenheit des
guten Passeirers offenbar ein Ende. Er nahm das Pfeifchen aus dem linken
Mundwinkel, legte mir die Rechte auf die Schulter und sagte mit leiser
Stimme: „I waoß schon, aber I darf's nit soagen. Es schickt sich nit und
ist eigentlich der Herren Geistlichen ihre Sach'. Na, grüß' Gott!"
Diese Auskunft war im Grunde verständlich genug und meine Deutung
derselben wird mir von verschiedenen Seiten bestätigt. Der Satanas müßte
ein Narr sein, sich die Beine abzulaufen, um Seelen zu fangen, die ihm zur
rechten. Zeit von selber gebraten ins Maul fliegen. Die „Draußigen" sind
außerdem schrecklich im Preise gefallen, über Einen Katholiken, der zum
Teufel geht, ist in der Hölle mehr Freude als über 999 Ketzer.
Vom Passeirerthor gehen wir durch ein schattiges Gäßchen nach dem
kleinen saubern Psarrplatz hinab, wo die Landleute vor und nach der Messe
am Sonntag in dichten Haufen herumlungern, friedlich mit den Mägden am
Brunnen plaudern und den Kneller der Genügsamkeit rauchen. Da steht
man und thut, als wollte man den hohen viereckigen Pfarrthurm messen und
die Wandmalereien an der Kirche oder >am Gasthaus zum Rafft bewundern,
wirft einen Seitenblick rechts, einen andern links, und macht Studien. In
einem Eckhause der Wassertauben sitzt sogar eine norddeutsche Dame am
Fenster und skizzirt. Viel Glück zur Ausbeute! Den blühenden jungen Bur¬
schen mit den Wangen des rothen Rosmarinapfels ist die Tracht des Burg¬
grafenamts wie von der Natur angemessen. schneeweiße Strümpfe, dunkle
Kniehose und Jacke, grüner Brustlatz und Gürtel, und der abgestumpfte Filz¬
kegel mit breitem Rande — es kann nichts Einfacheres geben. Der gras¬
grüne Festtagshut dagegen, den noch einige alte Meraner Bauern tragen
und der oft bei Prozessionen sigurirt, hat etwas maskeradenhaftes, während
die Bauerdirnen selten ins Städtchen kommen und noch seltener im Staat
erscheinen. Leider sind nicht alle Gebirgssöhne jung und schlank; die weißen
Strümpfe der älteren sind manchmal weiß — gewesen, und ein wochenalter
Stoppelbart verschönert selbst die Züge der hochgewachsenen, breitschulterigen
Gestalten nicht, deren würdevolles Phlegma sonst einen angenehmen Eindruck
macht. Etwas mehr geistige Munterkeit wäre diesen biedern Gesichtern zu
Grenzboten II. 1868. 40
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