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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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in Rechten und Lasten die wesentlichen Grundlagen eines constitutionellen
Staates bilden.

Die Zwitterstellung des Großherzogthums halb in. halb außerhalb des
norddeutschen Bundes ist ein Hohn auf alles constitutionelle Wesen, sie läßt
der hessischen Verfassung nur etwa noch den Werth eines Textbuchs, nach
welchem eine leere und unziemliche Farce abgespielt wird; die Spieler dieser
Farce aber sind die hessischen Minister, Pairs, Abgeordneten und Wähler.
Die großen Freiheitshelden, welche nicht geringschätzig genug reden können
von dem Scheinconstitutionalismus des norddeutschen Bundes, thäten wohl
daran, mit dem zehnfachen Maße sittlicher Entrüstung, mit welcher sie darauf
hinweisen, daß das.volle Budgetrecht des norddeutschen Reichstags in mili-
tairischen Dingen erst im Jahre 1872 zur Geltung kommt, die Zustände des
Großherzogthums Hessen zu verdammen, allwo zwei Provinzen nicht nur in
den militärischen, sondern auch in einer Reihe anderer wichtiger Angelegen¬
heiten überhaupt nichts mehr mitzusprechen haben, indem diese Fragen für
das ganze Großherzogthum von dem norddeutschen Reichstag entschieden
werden, während in diesem Reichstag nur eine Provinz des Großherzog¬
thums vertreten ist, -- wo aber ferner auch in den übrigen, durch die nord¬
deutsche Bundesverfassung für Bundessachen erklärten Angelegenheiten, ob¬
wohl bezüglich ihrer für die außerhalb des norddeutschen Bundes stehenden
Provinzen die formale Competenz des Darmstädter Landtags fortdauert, die
praktischen Rechte desselben soviel wie Null sind, da ihm, will er die legis¬
lative und administrative Einheit des Staates aufrecht erhalten, nur übrig
bleibt, die Beschlüsse des norddeutschen Reichstags pure als für das ganze
Großherzogthum giltig anzuerkennen. Die erwähnten Freiheitshelden können
nicht genug beklagen, daß die norddeutsche Bundesverfassung dem Volle keine
Grundrechte gewährleiste. Nun gibt es aber kein wichtigeres Grundrecht als die
Rechtsgleichheit der Bürger eines Staats, und dieses Grundrecht fehlt in
keiner deutschen Einzelverfassung, auch nicht in der hessischen. Welche that¬
sächliche Bedeutung hat aber die Gleichheit der Bürger in einem Lande, wo
ein großer Theil der Bewohner kraft ihres Domicils in den wichtigsten Be¬
ziehungen des öffentlichen Rechts eine privilegirte Stellung einnehmen, mag
man ihre Privilegien nun für vortheilhaft oder odios halten?

Daß so monströse Verhältnisse auch en miniaturs nicht dauern können,
ist klar, und ebenso, daß das einzige Mittel, die verfassungsmäßigen Rechte des
hessischen Volkes wiederherzustellen.- in dem Eintritt des gesammten Großherzog¬
thums in den norddeutschen Bund besteht. Wie die darmstädter Staats¬
männer sich gegen eine so offenbare Wahrheit sträuben können, ist unver¬
ständlich; ziehen sie es vor, auf die Wiederauflösung des norddeutschen Bun-
des zu speculiren?


in Rechten und Lasten die wesentlichen Grundlagen eines constitutionellen
Staates bilden.

Die Zwitterstellung des Großherzogthums halb in. halb außerhalb des
norddeutschen Bundes ist ein Hohn auf alles constitutionelle Wesen, sie läßt
der hessischen Verfassung nur etwa noch den Werth eines Textbuchs, nach
welchem eine leere und unziemliche Farce abgespielt wird; die Spieler dieser
Farce aber sind die hessischen Minister, Pairs, Abgeordneten und Wähler.
Die großen Freiheitshelden, welche nicht geringschätzig genug reden können
von dem Scheinconstitutionalismus des norddeutschen Bundes, thäten wohl
daran, mit dem zehnfachen Maße sittlicher Entrüstung, mit welcher sie darauf
hinweisen, daß das.volle Budgetrecht des norddeutschen Reichstags in mili-
tairischen Dingen erst im Jahre 1872 zur Geltung kommt, die Zustände des
Großherzogthums Hessen zu verdammen, allwo zwei Provinzen nicht nur in
den militärischen, sondern auch in einer Reihe anderer wichtiger Angelegen¬
heiten überhaupt nichts mehr mitzusprechen haben, indem diese Fragen für
das ganze Großherzogthum von dem norddeutschen Reichstag entschieden
werden, während in diesem Reichstag nur eine Provinz des Großherzog¬
thums vertreten ist, — wo aber ferner auch in den übrigen, durch die nord¬
deutsche Bundesverfassung für Bundessachen erklärten Angelegenheiten, ob¬
wohl bezüglich ihrer für die außerhalb des norddeutschen Bundes stehenden
Provinzen die formale Competenz des Darmstädter Landtags fortdauert, die
praktischen Rechte desselben soviel wie Null sind, da ihm, will er die legis¬
lative und administrative Einheit des Staates aufrecht erhalten, nur übrig
bleibt, die Beschlüsse des norddeutschen Reichstags pure als für das ganze
Großherzogthum giltig anzuerkennen. Die erwähnten Freiheitshelden können
nicht genug beklagen, daß die norddeutsche Bundesverfassung dem Volle keine
Grundrechte gewährleiste. Nun gibt es aber kein wichtigeres Grundrecht als die
Rechtsgleichheit der Bürger eines Staats, und dieses Grundrecht fehlt in
keiner deutschen Einzelverfassung, auch nicht in der hessischen. Welche that¬
sächliche Bedeutung hat aber die Gleichheit der Bürger in einem Lande, wo
ein großer Theil der Bewohner kraft ihres Domicils in den wichtigsten Be¬
ziehungen des öffentlichen Rechts eine privilegirte Stellung einnehmen, mag
man ihre Privilegien nun für vortheilhaft oder odios halten?

Daß so monströse Verhältnisse auch en miniaturs nicht dauern können,
ist klar, und ebenso, daß das einzige Mittel, die verfassungsmäßigen Rechte des
hessischen Volkes wiederherzustellen.- in dem Eintritt des gesammten Großherzog¬
thums in den norddeutschen Bund besteht. Wie die darmstädter Staats¬
männer sich gegen eine so offenbare Wahrheit sträuben können, ist unver¬
ständlich; ziehen sie es vor, auf die Wiederauflösung des norddeutschen Bun-
des zu speculiren?


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[0313] in Rechten und Lasten die wesentlichen Grundlagen eines constitutionellen Staates bilden. Die Zwitterstellung des Großherzogthums halb in. halb außerhalb des norddeutschen Bundes ist ein Hohn auf alles constitutionelle Wesen, sie läßt der hessischen Verfassung nur etwa noch den Werth eines Textbuchs, nach welchem eine leere und unziemliche Farce abgespielt wird; die Spieler dieser Farce aber sind die hessischen Minister, Pairs, Abgeordneten und Wähler. Die großen Freiheitshelden, welche nicht geringschätzig genug reden können von dem Scheinconstitutionalismus des norddeutschen Bundes, thäten wohl daran, mit dem zehnfachen Maße sittlicher Entrüstung, mit welcher sie darauf hinweisen, daß das.volle Budgetrecht des norddeutschen Reichstags in mili- tairischen Dingen erst im Jahre 1872 zur Geltung kommt, die Zustände des Großherzogthums Hessen zu verdammen, allwo zwei Provinzen nicht nur in den militärischen, sondern auch in einer Reihe anderer wichtiger Angelegen¬ heiten überhaupt nichts mehr mitzusprechen haben, indem diese Fragen für das ganze Großherzogthum von dem norddeutschen Reichstag entschieden werden, während in diesem Reichstag nur eine Provinz des Großherzog¬ thums vertreten ist, — wo aber ferner auch in den übrigen, durch die nord¬ deutsche Bundesverfassung für Bundessachen erklärten Angelegenheiten, ob¬ wohl bezüglich ihrer für die außerhalb des norddeutschen Bundes stehenden Provinzen die formale Competenz des Darmstädter Landtags fortdauert, die praktischen Rechte desselben soviel wie Null sind, da ihm, will er die legis¬ lative und administrative Einheit des Staates aufrecht erhalten, nur übrig bleibt, die Beschlüsse des norddeutschen Reichstags pure als für das ganze Großherzogthum giltig anzuerkennen. Die erwähnten Freiheitshelden können nicht genug beklagen, daß die norddeutsche Bundesverfassung dem Volle keine Grundrechte gewährleiste. Nun gibt es aber kein wichtigeres Grundrecht als die Rechtsgleichheit der Bürger eines Staats, und dieses Grundrecht fehlt in keiner deutschen Einzelverfassung, auch nicht in der hessischen. Welche that¬ sächliche Bedeutung hat aber die Gleichheit der Bürger in einem Lande, wo ein großer Theil der Bewohner kraft ihres Domicils in den wichtigsten Be¬ ziehungen des öffentlichen Rechts eine privilegirte Stellung einnehmen, mag man ihre Privilegien nun für vortheilhaft oder odios halten? Daß so monströse Verhältnisse auch en miniaturs nicht dauern können, ist klar, und ebenso, daß das einzige Mittel, die verfassungsmäßigen Rechte des hessischen Volkes wiederherzustellen.- in dem Eintritt des gesammten Großherzog¬ thums in den norddeutschen Bund besteht. Wie die darmstädter Staats¬ männer sich gegen eine so offenbare Wahrheit sträuben können, ist unver¬ ständlich; ziehen sie es vor, auf die Wiederauflösung des norddeutschen Bun- des zu speculiren?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/313>, abgerufen am 15.01.2025.