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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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mit ihm zu schwimmen, welche in dieser nivellirenden Zeit an originellen
Schöpfungen arbeitet und kühn die vorübergehenden Interessen der Gegen¬
wart preisgibt, um die Zukunft zu retten.

Die ärgerliche Abneigung gegen Preußen und die nationale Bewegung
-- so raisoniren die Eintagspolitiker! -- die Politik eines ebenso ohnmäch¬
tigen als verbissenen Widerstandes gegen eine Macht, die vertragsmäßig über
alle militärischen und einen bedeutenden Theil der finanziellen Hilfsmittel
des Landes verfügt, ist um ihrer particularistischen Tendenz halber freilich
höchst beklagenswert!). Indessen ob die Regierung eines Landes, von dessen
drei Provinzen eine ganz, eine andere zum Theil zum norddeutschen Bund
gehört, dessen wichtigste Stadt in militärischer Hinsicht als preußische Stadt
anzusehen ist, dessen gesammte Armee unter preußischer Führung und Ver¬
fügung steht, dessen Post- und Telegraphenwesen preußisch sind, -- ob die
Regierung dieses Landes sich dagegen stemme, die außerhalb des Nordhundes
verbliebenen Bruchstücke in denselben eintreten zu lassen, mindert offenbar
nicht die Macht der deutschen Nation und wird deren unaufhaltsam sich voll¬
ziehende Geschicke nicht in andere Bahnen lenken. Um die Welt zur Umkehr
zu zwingen braucht es mehr als die melancholische Sehnsucht eines halbirten
Kleinstaats ohne Armee und mit halben Finanzen nach der holden Zeit seiner
Ganzheit, seiner militärischen und finanziellen Souverainetär.

Allein so klein dieser Kleinstaat ist und so komisch sein Widerstreben
gegen Preußen sich ausnimmt unter dem Gesichtspunkt der großen Politik,
eine so ernsthafte Seite hat diese Komik für die Bewohner des Großherzog-
thums. Vom Standpunkte des hessischen Bürgers erscheint die Politik des
Cabinets Dalwigk keineswegs als harmlose Romantik, über welche man sich
einer behaglichen Heiterkeit hingeben dürfte. Selbst wer in der äußeren
Politik der hessischen Regierung, wie sie sich zumal in der Antwort auf die
französische Einladung zum Congreß mit bewundernswerthem Freimuthe kund¬
gegeben, keine Verkennung nationaler Pflichten zu finden vermag, wird nicht
auch leugnen wollen. daß die Regierung Pflichten habe gegen das specielle
hessische Staatswesen, wird nicht ohne Unruhe eine Politik betrachten, welche
mit der wesentlichsten dieser Pflichten, mit der Wahrung der Einheit und
der Verfassung des Staats sich in unheilbarem Gegensatze befindet. Ja, eben
die, denen es am meisten um die Fortdauer des letzten hessischen Staates zu
thun ist, haben auch die meiste Ursache, die Augen offen zu halten vor der
Thatsache, daß die Politik, welche für Conservirung des Staates zu
kämpfen behauptet, vielmehr dessen Grundlagen untergräbt. Wer die Augen
aufthut, kann die Thatsache nicht in Abrede stellen, wenn anders er zugibt,
daß der verfassungsmäßige Antheil der Volksvertretung an Gesetzgebung und
Steuerbewilligung und die verfassungsmäßige Gleichheit der Staatsbürger


mit ihm zu schwimmen, welche in dieser nivellirenden Zeit an originellen
Schöpfungen arbeitet und kühn die vorübergehenden Interessen der Gegen¬
wart preisgibt, um die Zukunft zu retten.

Die ärgerliche Abneigung gegen Preußen und die nationale Bewegung
— so raisoniren die Eintagspolitiker! — die Politik eines ebenso ohnmäch¬
tigen als verbissenen Widerstandes gegen eine Macht, die vertragsmäßig über
alle militärischen und einen bedeutenden Theil der finanziellen Hilfsmittel
des Landes verfügt, ist um ihrer particularistischen Tendenz halber freilich
höchst beklagenswert!). Indessen ob die Regierung eines Landes, von dessen
drei Provinzen eine ganz, eine andere zum Theil zum norddeutschen Bund
gehört, dessen wichtigste Stadt in militärischer Hinsicht als preußische Stadt
anzusehen ist, dessen gesammte Armee unter preußischer Führung und Ver¬
fügung steht, dessen Post- und Telegraphenwesen preußisch sind, — ob die
Regierung dieses Landes sich dagegen stemme, die außerhalb des Nordhundes
verbliebenen Bruchstücke in denselben eintreten zu lassen, mindert offenbar
nicht die Macht der deutschen Nation und wird deren unaufhaltsam sich voll¬
ziehende Geschicke nicht in andere Bahnen lenken. Um die Welt zur Umkehr
zu zwingen braucht es mehr als die melancholische Sehnsucht eines halbirten
Kleinstaats ohne Armee und mit halben Finanzen nach der holden Zeit seiner
Ganzheit, seiner militärischen und finanziellen Souverainetär.

Allein so klein dieser Kleinstaat ist und so komisch sein Widerstreben
gegen Preußen sich ausnimmt unter dem Gesichtspunkt der großen Politik,
eine so ernsthafte Seite hat diese Komik für die Bewohner des Großherzog-
thums. Vom Standpunkte des hessischen Bürgers erscheint die Politik des
Cabinets Dalwigk keineswegs als harmlose Romantik, über welche man sich
einer behaglichen Heiterkeit hingeben dürfte. Selbst wer in der äußeren
Politik der hessischen Regierung, wie sie sich zumal in der Antwort auf die
französische Einladung zum Congreß mit bewundernswerthem Freimuthe kund¬
gegeben, keine Verkennung nationaler Pflichten zu finden vermag, wird nicht
auch leugnen wollen. daß die Regierung Pflichten habe gegen das specielle
hessische Staatswesen, wird nicht ohne Unruhe eine Politik betrachten, welche
mit der wesentlichsten dieser Pflichten, mit der Wahrung der Einheit und
der Verfassung des Staats sich in unheilbarem Gegensatze befindet. Ja, eben
die, denen es am meisten um die Fortdauer des letzten hessischen Staates zu
thun ist, haben auch die meiste Ursache, die Augen offen zu halten vor der
Thatsache, daß die Politik, welche für Conservirung des Staates zu
kämpfen behauptet, vielmehr dessen Grundlagen untergräbt. Wer die Augen
aufthut, kann die Thatsache nicht in Abrede stellen, wenn anders er zugibt,
daß der verfassungsmäßige Antheil der Volksvertretung an Gesetzgebung und
Steuerbewilligung und die verfassungsmäßige Gleichheit der Staatsbürger


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[0312] mit ihm zu schwimmen, welche in dieser nivellirenden Zeit an originellen Schöpfungen arbeitet und kühn die vorübergehenden Interessen der Gegen¬ wart preisgibt, um die Zukunft zu retten. Die ärgerliche Abneigung gegen Preußen und die nationale Bewegung — so raisoniren die Eintagspolitiker! — die Politik eines ebenso ohnmäch¬ tigen als verbissenen Widerstandes gegen eine Macht, die vertragsmäßig über alle militärischen und einen bedeutenden Theil der finanziellen Hilfsmittel des Landes verfügt, ist um ihrer particularistischen Tendenz halber freilich höchst beklagenswert!). Indessen ob die Regierung eines Landes, von dessen drei Provinzen eine ganz, eine andere zum Theil zum norddeutschen Bund gehört, dessen wichtigste Stadt in militärischer Hinsicht als preußische Stadt anzusehen ist, dessen gesammte Armee unter preußischer Führung und Ver¬ fügung steht, dessen Post- und Telegraphenwesen preußisch sind, — ob die Regierung dieses Landes sich dagegen stemme, die außerhalb des Nordhundes verbliebenen Bruchstücke in denselben eintreten zu lassen, mindert offenbar nicht die Macht der deutschen Nation und wird deren unaufhaltsam sich voll¬ ziehende Geschicke nicht in andere Bahnen lenken. Um die Welt zur Umkehr zu zwingen braucht es mehr als die melancholische Sehnsucht eines halbirten Kleinstaats ohne Armee und mit halben Finanzen nach der holden Zeit seiner Ganzheit, seiner militärischen und finanziellen Souverainetär. Allein so klein dieser Kleinstaat ist und so komisch sein Widerstreben gegen Preußen sich ausnimmt unter dem Gesichtspunkt der großen Politik, eine so ernsthafte Seite hat diese Komik für die Bewohner des Großherzog- thums. Vom Standpunkte des hessischen Bürgers erscheint die Politik des Cabinets Dalwigk keineswegs als harmlose Romantik, über welche man sich einer behaglichen Heiterkeit hingeben dürfte. Selbst wer in der äußeren Politik der hessischen Regierung, wie sie sich zumal in der Antwort auf die französische Einladung zum Congreß mit bewundernswerthem Freimuthe kund¬ gegeben, keine Verkennung nationaler Pflichten zu finden vermag, wird nicht auch leugnen wollen. daß die Regierung Pflichten habe gegen das specielle hessische Staatswesen, wird nicht ohne Unruhe eine Politik betrachten, welche mit der wesentlichsten dieser Pflichten, mit der Wahrung der Einheit und der Verfassung des Staats sich in unheilbarem Gegensatze befindet. Ja, eben die, denen es am meisten um die Fortdauer des letzten hessischen Staates zu thun ist, haben auch die meiste Ursache, die Augen offen zu halten vor der Thatsache, daß die Politik, welche für Conservirung des Staates zu kämpfen behauptet, vielmehr dessen Grundlagen untergräbt. Wer die Augen aufthut, kann die Thatsache nicht in Abrede stellen, wenn anders er zugibt, daß der verfassungsmäßige Antheil der Volksvertretung an Gesetzgebung und Steuerbewilligung und die verfassungsmäßige Gleichheit der Staatsbürger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/312>, abgerufen am 15.01.2025.