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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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gleiche anstellen zwischen der gewaltthätigen preußischen Handlungsweise,
die der letzten aller Landgrafschaften so ohne weiteres den Garaus machte,
und dem schonenden Verfahren der darmstädter Staatsmänner, welche ihr
noch eine Frist von einem Vierteljahrhundert verstatteten. Aber, so fragen
wir alle die, welche d.le Erscheinungen des Staats- und Völkerlebens bis in
ihre ersten Aeußerungen und mikroskopischen Anfänge zu verfolgen im Stande
sind: ist die Personalunion, welche die darmstädter Staatsmänner für das
Verhältniß zwischen dem Großherzogthum und der Landgrafschaft Hessen in
Aussicht genommen hatten, nicht ein Beweis dafür, daß der dualistische Ge-
danke schon damals gleichsam in der darmstädter Luft schwebte? Die in der
Bildung begriffene Personalunion zwischen Großherzogthum und Landgraf¬
schaft erlag freilich der preußischen Gewaltpolitik, noch ehe ein deutscher
Staatsrechtslehrer Zeit gehabt, ihr stilles Werden zu beobachten und ihre
Nothwendigkeit für die Erfüllung des welthistorischen Berufs deutscher Na¬
tion darzuthun. Aber der Gedanke eines hessischen Dualismus war damit
nicht aus der Welt geschafft; er bewährte vielmehr seine unzerstörbare Lebens¬
fähigkeit und innere Berechtigung, indem er innerhalb des Großherzogthums
selbst zum Durchbruch gelangte. Und zwar mußte dieselbe preußische Politik,
welche der natürlichen Mannichfaltigkeit des deutschen Wesens eine lügnerische
Einheitsmaske aufdrängen will, dem hessischen Dualismus, diesem unwider-
leglicher Zeugniß gegen die Einheitslüge, wider Willen zum Dasein verhel¬
fen. Preußen hat nur die nördlich des Main gelegenen hessischen Landes¬
theile in den norddeutschen Bund aufnehmen dürfen und eben dadurch dem
dualistischen Gedanken Gelegenheit verschafft, aus dem lustigen, nur den
darmstädter Staatsmännern zugänglichen Reich der Ideen in handgreifliche;
Wirklichkeit auf die hessische Erde herabzusteigen.

Die Nachwelt wird das unvergängliche Verdienst des hessischen Dualis¬
mus zu würdigen haben. Wenn sie dereinst in dem transmainischen Hessen
ein slavisirtes. durch Cäsarismus und Junkerthum heruntergebrachtes Volk
antrifft, während im cismainischen Hessen deutsche Eigenart, deutsche Freiheit
stolz wie je blüht und gedeiht, dann wird der jetzigen darmstädter Negierung
der schuldige Zoll der Dankbarkeit und Bewunderung entrichtet werden da¬
für, daß sie. indem sie die Theilung des hessischen Staates nicht nur zuließ,
sondern förderte und sich dem Wiederzusammenwachsen der beiden Theile mit
allen Kräften widersetzte, den am Main angelangten Zuge der preußischen
Barbaren Halt gebot, die Brücken abbrach, die Schiffe verbrannte und so die
echten deutschen Lande Franken. Schwaben, Baiern vor der slavischen Verge¬
waltigung bewahrte.

Aber natürlich die oberflächlichen und charakterlosen Nützlichkeitsmenschen
wissen eine Politik nicht zu erfassen, welche sich dem. Strome widersetzt, statt
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gleiche anstellen zwischen der gewaltthätigen preußischen Handlungsweise,
die der letzten aller Landgrafschaften so ohne weiteres den Garaus machte,
und dem schonenden Verfahren der darmstädter Staatsmänner, welche ihr
noch eine Frist von einem Vierteljahrhundert verstatteten. Aber, so fragen
wir alle die, welche d.le Erscheinungen des Staats- und Völkerlebens bis in
ihre ersten Aeußerungen und mikroskopischen Anfänge zu verfolgen im Stande
sind: ist die Personalunion, welche die darmstädter Staatsmänner für das
Verhältniß zwischen dem Großherzogthum und der Landgrafschaft Hessen in
Aussicht genommen hatten, nicht ein Beweis dafür, daß der dualistische Ge-
danke schon damals gleichsam in der darmstädter Luft schwebte? Die in der
Bildung begriffene Personalunion zwischen Großherzogthum und Landgraf¬
schaft erlag freilich der preußischen Gewaltpolitik, noch ehe ein deutscher
Staatsrechtslehrer Zeit gehabt, ihr stilles Werden zu beobachten und ihre
Nothwendigkeit für die Erfüllung des welthistorischen Berufs deutscher Na¬
tion darzuthun. Aber der Gedanke eines hessischen Dualismus war damit
nicht aus der Welt geschafft; er bewährte vielmehr seine unzerstörbare Lebens¬
fähigkeit und innere Berechtigung, indem er innerhalb des Großherzogthums
selbst zum Durchbruch gelangte. Und zwar mußte dieselbe preußische Politik,
welche der natürlichen Mannichfaltigkeit des deutschen Wesens eine lügnerische
Einheitsmaske aufdrängen will, dem hessischen Dualismus, diesem unwider-
leglicher Zeugniß gegen die Einheitslüge, wider Willen zum Dasein verhel¬
fen. Preußen hat nur die nördlich des Main gelegenen hessischen Landes¬
theile in den norddeutschen Bund aufnehmen dürfen und eben dadurch dem
dualistischen Gedanken Gelegenheit verschafft, aus dem lustigen, nur den
darmstädter Staatsmännern zugänglichen Reich der Ideen in handgreifliche;
Wirklichkeit auf die hessische Erde herabzusteigen.

Die Nachwelt wird das unvergängliche Verdienst des hessischen Dualis¬
mus zu würdigen haben. Wenn sie dereinst in dem transmainischen Hessen
ein slavisirtes. durch Cäsarismus und Junkerthum heruntergebrachtes Volk
antrifft, während im cismainischen Hessen deutsche Eigenart, deutsche Freiheit
stolz wie je blüht und gedeiht, dann wird der jetzigen darmstädter Negierung
der schuldige Zoll der Dankbarkeit und Bewunderung entrichtet werden da¬
für, daß sie. indem sie die Theilung des hessischen Staates nicht nur zuließ,
sondern förderte und sich dem Wiederzusammenwachsen der beiden Theile mit
allen Kräften widersetzte, den am Main angelangten Zuge der preußischen
Barbaren Halt gebot, die Brücken abbrach, die Schiffe verbrannte und so die
echten deutschen Lande Franken. Schwaben, Baiern vor der slavischen Verge¬
waltigung bewahrte.

Aber natürlich die oberflächlichen und charakterlosen Nützlichkeitsmenschen
wissen eine Politik nicht zu erfassen, welche sich dem. Strome widersetzt, statt
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[0311] gleiche anstellen zwischen der gewaltthätigen preußischen Handlungsweise, die der letzten aller Landgrafschaften so ohne weiteres den Garaus machte, und dem schonenden Verfahren der darmstädter Staatsmänner, welche ihr noch eine Frist von einem Vierteljahrhundert verstatteten. Aber, so fragen wir alle die, welche d.le Erscheinungen des Staats- und Völkerlebens bis in ihre ersten Aeußerungen und mikroskopischen Anfänge zu verfolgen im Stande sind: ist die Personalunion, welche die darmstädter Staatsmänner für das Verhältniß zwischen dem Großherzogthum und der Landgrafschaft Hessen in Aussicht genommen hatten, nicht ein Beweis dafür, daß der dualistische Ge- danke schon damals gleichsam in der darmstädter Luft schwebte? Die in der Bildung begriffene Personalunion zwischen Großherzogthum und Landgraf¬ schaft erlag freilich der preußischen Gewaltpolitik, noch ehe ein deutscher Staatsrechtslehrer Zeit gehabt, ihr stilles Werden zu beobachten und ihre Nothwendigkeit für die Erfüllung des welthistorischen Berufs deutscher Na¬ tion darzuthun. Aber der Gedanke eines hessischen Dualismus war damit nicht aus der Welt geschafft; er bewährte vielmehr seine unzerstörbare Lebens¬ fähigkeit und innere Berechtigung, indem er innerhalb des Großherzogthums selbst zum Durchbruch gelangte. Und zwar mußte dieselbe preußische Politik, welche der natürlichen Mannichfaltigkeit des deutschen Wesens eine lügnerische Einheitsmaske aufdrängen will, dem hessischen Dualismus, diesem unwider- leglicher Zeugniß gegen die Einheitslüge, wider Willen zum Dasein verhel¬ fen. Preußen hat nur die nördlich des Main gelegenen hessischen Landes¬ theile in den norddeutschen Bund aufnehmen dürfen und eben dadurch dem dualistischen Gedanken Gelegenheit verschafft, aus dem lustigen, nur den darmstädter Staatsmännern zugänglichen Reich der Ideen in handgreifliche; Wirklichkeit auf die hessische Erde herabzusteigen. Die Nachwelt wird das unvergängliche Verdienst des hessischen Dualis¬ mus zu würdigen haben. Wenn sie dereinst in dem transmainischen Hessen ein slavisirtes. durch Cäsarismus und Junkerthum heruntergebrachtes Volk antrifft, während im cismainischen Hessen deutsche Eigenart, deutsche Freiheit stolz wie je blüht und gedeiht, dann wird der jetzigen darmstädter Negierung der schuldige Zoll der Dankbarkeit und Bewunderung entrichtet werden da¬ für, daß sie. indem sie die Theilung des hessischen Staates nicht nur zuließ, sondern förderte und sich dem Wiederzusammenwachsen der beiden Theile mit allen Kräften widersetzte, den am Main angelangten Zuge der preußischen Barbaren Halt gebot, die Brücken abbrach, die Schiffe verbrannte und so die echten deutschen Lande Franken. Schwaben, Baiern vor der slavischen Verge¬ waltigung bewahrte. Aber natürlich die oberflächlichen und charakterlosen Nützlichkeitsmenschen wissen eine Politik nicht zu erfassen, welche sich dem. Strome widersetzt, statt * 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/311>, abgerufen am 15.01.2025.