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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar getreten und befand sich als
Adjutant desselben vom September 1814 bis zum Mai 1813 auf dem wiener
Congreß. Als das Wiedererscheinen Napoleon I. die Erneuerung des Krie¬
ges in Aussicht stellte, trat Thon in die preußische Armee ein und machte
als Premier-Lieutenant den Krieg von 1813 mit. Der Friede führte ihn
in die Heimath zurück. Er trat dort in den weimarischen Civildienst,
in welchem er zur Zeit seines Todes (1842) einen höheren Posten in der
Finanzverwaltung einnahm. An Gründung, Erhaltung und ^Fortbildung
des Zollvereins hat er sich als Vertreter sämmtlicher thüringischen Regie¬
rungen wesentliche Verdienste erworben. Im Uebrigen verfloß sein Da¬
sein still und gleichförmig, wie dies bei deutschen Beamten die Regel bildet.

Er schrieb im März 1813 in Wien jenen Aufsatz: "Was wird die Zu¬
kunft bringen?" Zu Lebzeiten des Verfassers ist derselbe nicht zur Oeffent-
lichkeit gelangt. Nach seinem Tode wurde er zunächst in engern Kreisen mit
immer steigendem Interesse gelesen. Denn es ist der Blick eines Propheten,
der sich in ihm kundgibt. Es ist nicht eine jener postHumen oder retro¬
spektiven Prophezeiungen, wie sie bei Dichtern beliebt sind. Denn bezüglich der
Entstehungszeit und der Authenticität des Manuscnpts kann nicht der ge¬
ringste Zweifel obwalten.

Der Verfasser erkennt klar, daß Deutschland von dem wiener Congreß
absolut nichts zu erwarten hat. Ueber die Trübseligkeit der nächsten Zu¬
kunft macht er sich nicht die geringste Illusion. Aber diese so schnell auf die
begeisterte Theilnahme am Krieg folgende Enttäuschung macht ihn weder zum
Revolutionär noch zum Pessimisten. Mit dem warmen Herzen des Patrio¬
ten und dem klaren scharfen Auge des Politikers blickt er in die Zukunft.
Dort erkennt er deutlich das Herannahen der Ereignisse, welche die nationale
Wiedergeburt Deutschlands herbeiführen.

Wenn wir die Denkschrift des jugendlichen Lieutenants vergleichen mit
den Publicationen. Programmen und Vorschlägen, welche zu derselben Zeit
ausgingen von gewiegten Politikern und ergrauten Männern, die seit langer
Zeit schon mitten in den Geschäften oder gar an deren Spitze standen, so
erstaunen wir, wie sehr der Lieutenant die Staatsmänner an Klarheit,
Schärfe. Präcision, an Ganzheit und Einheit des Willens und der Weltan¬
schauung, an richtiger Erkenntniß und Würdigung des Grundgesetzes der
historischen Entwickelung unseter Nation übertrifft.

Vergleichen wir aber erst die Denkschrift mit den Aeußerungen der da¬
maligen politischen Tagesliteratur, mit ihrer Unklarheit und Sentimentalität,
ihrem einsichls- und thatenloser Groll, ihrer doctrinären Verbissenheit, ihrem
nihilistischen Pessimismus, ihrer romantischen Schwärmerei ^ für kindische
Äußerlichkeiten, so steigt der Verfasser noch weit mehr in unserer Achtung.


des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar getreten und befand sich als
Adjutant desselben vom September 1814 bis zum Mai 1813 auf dem wiener
Congreß. Als das Wiedererscheinen Napoleon I. die Erneuerung des Krie¬
ges in Aussicht stellte, trat Thon in die preußische Armee ein und machte
als Premier-Lieutenant den Krieg von 1813 mit. Der Friede führte ihn
in die Heimath zurück. Er trat dort in den weimarischen Civildienst,
in welchem er zur Zeit seines Todes (1842) einen höheren Posten in der
Finanzverwaltung einnahm. An Gründung, Erhaltung und ^Fortbildung
des Zollvereins hat er sich als Vertreter sämmtlicher thüringischen Regie¬
rungen wesentliche Verdienste erworben. Im Uebrigen verfloß sein Da¬
sein still und gleichförmig, wie dies bei deutschen Beamten die Regel bildet.

Er schrieb im März 1813 in Wien jenen Aufsatz: „Was wird die Zu¬
kunft bringen?" Zu Lebzeiten des Verfassers ist derselbe nicht zur Oeffent-
lichkeit gelangt. Nach seinem Tode wurde er zunächst in engern Kreisen mit
immer steigendem Interesse gelesen. Denn es ist der Blick eines Propheten,
der sich in ihm kundgibt. Es ist nicht eine jener postHumen oder retro¬
spektiven Prophezeiungen, wie sie bei Dichtern beliebt sind. Denn bezüglich der
Entstehungszeit und der Authenticität des Manuscnpts kann nicht der ge¬
ringste Zweifel obwalten.

Der Verfasser erkennt klar, daß Deutschland von dem wiener Congreß
absolut nichts zu erwarten hat. Ueber die Trübseligkeit der nächsten Zu¬
kunft macht er sich nicht die geringste Illusion. Aber diese so schnell auf die
begeisterte Theilnahme am Krieg folgende Enttäuschung macht ihn weder zum
Revolutionär noch zum Pessimisten. Mit dem warmen Herzen des Patrio¬
ten und dem klaren scharfen Auge des Politikers blickt er in die Zukunft.
Dort erkennt er deutlich das Herannahen der Ereignisse, welche die nationale
Wiedergeburt Deutschlands herbeiführen.

Wenn wir die Denkschrift des jugendlichen Lieutenants vergleichen mit
den Publicationen. Programmen und Vorschlägen, welche zu derselben Zeit
ausgingen von gewiegten Politikern und ergrauten Männern, die seit langer
Zeit schon mitten in den Geschäften oder gar an deren Spitze standen, so
erstaunen wir, wie sehr der Lieutenant die Staatsmänner an Klarheit,
Schärfe. Präcision, an Ganzheit und Einheit des Willens und der Weltan¬
schauung, an richtiger Erkenntniß und Würdigung des Grundgesetzes der
historischen Entwickelung unseter Nation übertrifft.

Vergleichen wir aber erst die Denkschrift mit den Aeußerungen der da¬
maligen politischen Tagesliteratur, mit ihrer Unklarheit und Sentimentalität,
ihrem einsichls- und thatenloser Groll, ihrer doctrinären Verbissenheit, ihrem
nihilistischen Pessimismus, ihrer romantischen Schwärmerei ^ für kindische
Äußerlichkeiten, so steigt der Verfasser noch weit mehr in unserer Achtung.


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[0206] des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar getreten und befand sich als Adjutant desselben vom September 1814 bis zum Mai 1813 auf dem wiener Congreß. Als das Wiedererscheinen Napoleon I. die Erneuerung des Krie¬ ges in Aussicht stellte, trat Thon in die preußische Armee ein und machte als Premier-Lieutenant den Krieg von 1813 mit. Der Friede führte ihn in die Heimath zurück. Er trat dort in den weimarischen Civildienst, in welchem er zur Zeit seines Todes (1842) einen höheren Posten in der Finanzverwaltung einnahm. An Gründung, Erhaltung und ^Fortbildung des Zollvereins hat er sich als Vertreter sämmtlicher thüringischen Regie¬ rungen wesentliche Verdienste erworben. Im Uebrigen verfloß sein Da¬ sein still und gleichförmig, wie dies bei deutschen Beamten die Regel bildet. Er schrieb im März 1813 in Wien jenen Aufsatz: „Was wird die Zu¬ kunft bringen?" Zu Lebzeiten des Verfassers ist derselbe nicht zur Oeffent- lichkeit gelangt. Nach seinem Tode wurde er zunächst in engern Kreisen mit immer steigendem Interesse gelesen. Denn es ist der Blick eines Propheten, der sich in ihm kundgibt. Es ist nicht eine jener postHumen oder retro¬ spektiven Prophezeiungen, wie sie bei Dichtern beliebt sind. Denn bezüglich der Entstehungszeit und der Authenticität des Manuscnpts kann nicht der ge¬ ringste Zweifel obwalten. Der Verfasser erkennt klar, daß Deutschland von dem wiener Congreß absolut nichts zu erwarten hat. Ueber die Trübseligkeit der nächsten Zu¬ kunft macht er sich nicht die geringste Illusion. Aber diese so schnell auf die begeisterte Theilnahme am Krieg folgende Enttäuschung macht ihn weder zum Revolutionär noch zum Pessimisten. Mit dem warmen Herzen des Patrio¬ ten und dem klaren scharfen Auge des Politikers blickt er in die Zukunft. Dort erkennt er deutlich das Herannahen der Ereignisse, welche die nationale Wiedergeburt Deutschlands herbeiführen. Wenn wir die Denkschrift des jugendlichen Lieutenants vergleichen mit den Publicationen. Programmen und Vorschlägen, welche zu derselben Zeit ausgingen von gewiegten Politikern und ergrauten Männern, die seit langer Zeit schon mitten in den Geschäften oder gar an deren Spitze standen, so erstaunen wir, wie sehr der Lieutenant die Staatsmänner an Klarheit, Schärfe. Präcision, an Ganzheit und Einheit des Willens und der Weltan¬ schauung, an richtiger Erkenntniß und Würdigung des Grundgesetzes der historischen Entwickelung unseter Nation übertrifft. Vergleichen wir aber erst die Denkschrift mit den Aeußerungen der da¬ maligen politischen Tagesliteratur, mit ihrer Unklarheit und Sentimentalität, ihrem einsichls- und thatenloser Groll, ihrer doctrinären Verbissenheit, ihrem nihilistischen Pessimismus, ihrer romantischen Schwärmerei ^ für kindische Äußerlichkeiten, so steigt der Verfasser noch weit mehr in unserer Achtung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/206>, abgerufen am 15.01.2025.