Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die nächsten Verwandten des verdienstvollen Mannes haben unter dem
Titel: "Aus den Papieren eines Verstorbenen", einen Abdruck der Abhand¬
lung veranstaltet, welcher sich jedoch nicht im Buchhandel befindet. Wir
können nicht umhin, im Nachfolgenden einige Mittheilungen daraus zu machen
und sie mit Anmerkungen zu begleiten.

Möge der kluge, klare und tapfere Mann auch der Gegenwart noch als
Lehrer dienen. Denn seine Worte treffen manchmal mit solcher Schärfe den
faulen Fleck, als wären sie heute geschrieben.

Aus den einleitenden Bemerkungen der Denkschrift heben wir folgen¬
des hervor:

"Von so vielen Seiten hört man jetzt sagen: "aus Deutschland wird
wieder nichts; es kann nichts aus ihm werden!" Und warum kann-denn
nichts aus ihm werden? Ist unser Vaterland denn verdammt, nie ein Gan¬
zes zu sein, sind wir es denn, nie ein Volk, ein großes deutsches zu
bilden? --

Sehen wir die andern Staaten Europas an, die eines Ursprungs mit
uns sind, England, Frankreich, Spanien, Scandinavien (Italien ist gleich uns
noch zurück), sie alle waren früher getheilt, sie alle haben sich aus dieser
Theilung heraufgearbeitet zu einem Ganzen; Scandinavien noch in neuester
Zeit. Und wir sollten nicht gleiches Schicksal mit ihnen haben? -- Betrach¬
ten wir aber die Art ihrer Gestaltung zu einem Ganzen, und wir sehen, wie
die kleinen, einzelnen Staaten, die sich in diesen Ländern gebildet hatten,
nach manchem Wechsel der Zeit zuerst in größere Massen zusammenfielen
und wie diese später ein Ganzes wurden. Deutschland steht nun. Dank sei
es der französischen Staatsumwälzung und Napoleon Bonaparte! auch da
in Massen gesondert, -- uns bleibt noch der letzte Schritt zu thun übrig, in
ein Ganzes") überzugehen.

Gewiß ist es recht und löblich, daß wir das Alte, was wir von den
Vätern ererbten, in Ehren halten, und haben wirs verloren, es wieder zu er¬
ringen trachten und dem Neuen nicht anhängen und ihm huldigen, so lange
das Alte noch tüchtig und gut ist; wenn das Alte aber nicht mehr passen
will, wenn es der Zeit und uns abgestorben ist, ja wenn schon früher und
schon längst der innere Geist und jedes kräftige Leben von ihm gewichen, oder



") Dieses historische Gesetz der vorherigen Bildung größerer Massen, als Uebergang zur
Einheit, das der Verfasser der Denkschrift im einzelnen nachweist, ist auch die beste Wider-
legung des particularistischcn Wehklagens über die "Dreitheilung Deutschlands", das jetzt,
sonderbarer Weise gerade von den nämlichen Leuten angestimmt wird, die von 1860-1866
für die "Trias" geschwärmt haben. Wenn es auch augcnbUcküch eine norddeutsche und eine
süddeutsche Masse g>de, so zieht doch nach unabänderlichen Naturgesetzen die größere und
kräftigere die kleinere und schwächere an. Und gerade das -- nicht die "Dreitheilung" -- ist
die Ursache des Schmcrzensschreies der Palticularisten.
26*

Die nächsten Verwandten des verdienstvollen Mannes haben unter dem
Titel: „Aus den Papieren eines Verstorbenen", einen Abdruck der Abhand¬
lung veranstaltet, welcher sich jedoch nicht im Buchhandel befindet. Wir
können nicht umhin, im Nachfolgenden einige Mittheilungen daraus zu machen
und sie mit Anmerkungen zu begleiten.

Möge der kluge, klare und tapfere Mann auch der Gegenwart noch als
Lehrer dienen. Denn seine Worte treffen manchmal mit solcher Schärfe den
faulen Fleck, als wären sie heute geschrieben.

Aus den einleitenden Bemerkungen der Denkschrift heben wir folgen¬
des hervor:

„Von so vielen Seiten hört man jetzt sagen: „aus Deutschland wird
wieder nichts; es kann nichts aus ihm werden!" Und warum kann-denn
nichts aus ihm werden? Ist unser Vaterland denn verdammt, nie ein Gan¬
zes zu sein, sind wir es denn, nie ein Volk, ein großes deutsches zu
bilden? —

Sehen wir die andern Staaten Europas an, die eines Ursprungs mit
uns sind, England, Frankreich, Spanien, Scandinavien (Italien ist gleich uns
noch zurück), sie alle waren früher getheilt, sie alle haben sich aus dieser
Theilung heraufgearbeitet zu einem Ganzen; Scandinavien noch in neuester
Zeit. Und wir sollten nicht gleiches Schicksal mit ihnen haben? — Betrach¬
ten wir aber die Art ihrer Gestaltung zu einem Ganzen, und wir sehen, wie
die kleinen, einzelnen Staaten, die sich in diesen Ländern gebildet hatten,
nach manchem Wechsel der Zeit zuerst in größere Massen zusammenfielen
und wie diese später ein Ganzes wurden. Deutschland steht nun. Dank sei
es der französischen Staatsumwälzung und Napoleon Bonaparte! auch da
in Massen gesondert, — uns bleibt noch der letzte Schritt zu thun übrig, in
ein Ganzes") überzugehen.

Gewiß ist es recht und löblich, daß wir das Alte, was wir von den
Vätern ererbten, in Ehren halten, und haben wirs verloren, es wieder zu er¬
ringen trachten und dem Neuen nicht anhängen und ihm huldigen, so lange
das Alte noch tüchtig und gut ist; wenn das Alte aber nicht mehr passen
will, wenn es der Zeit und uns abgestorben ist, ja wenn schon früher und
schon längst der innere Geist und jedes kräftige Leben von ihm gewichen, oder



") Dieses historische Gesetz der vorherigen Bildung größerer Massen, als Uebergang zur
Einheit, das der Verfasser der Denkschrift im einzelnen nachweist, ist auch die beste Wider-
legung des particularistischcn Wehklagens über die „Dreitheilung Deutschlands", das jetzt,
sonderbarer Weise gerade von den nämlichen Leuten angestimmt wird, die von 1860-1866
für die „Trias" geschwärmt haben. Wenn es auch augcnbUcküch eine norddeutsche und eine
süddeutsche Masse g>de, so zieht doch nach unabänderlichen Naturgesetzen die größere und
kräftigere die kleinere und schwächere an. Und gerade das — nicht die „Dreitheilung" — ist
die Ursache des Schmcrzensschreies der Palticularisten.
26*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117739"/>
          <p xml:id="ID_645"> Die nächsten Verwandten des verdienstvollen Mannes haben unter dem<lb/>
Titel: &#x201E;Aus den Papieren eines Verstorbenen", einen Abdruck der Abhand¬<lb/>
lung veranstaltet, welcher sich jedoch nicht im Buchhandel befindet. Wir<lb/>
können nicht umhin, im Nachfolgenden einige Mittheilungen daraus zu machen<lb/>
und sie mit Anmerkungen zu begleiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_646"> Möge der kluge, klare und tapfere Mann auch der Gegenwart noch als<lb/>
Lehrer dienen. Denn seine Worte treffen manchmal mit solcher Schärfe den<lb/>
faulen Fleck, als wären sie heute geschrieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Aus den einleitenden Bemerkungen der Denkschrift heben wir folgen¬<lb/>
des hervor:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> &#x201E;Von so vielen Seiten hört man jetzt sagen: &#x201E;aus Deutschland wird<lb/>
wieder nichts; es kann nichts aus ihm werden!" Und warum kann-denn<lb/>
nichts aus ihm werden? Ist unser Vaterland denn verdammt, nie ein Gan¬<lb/>
zes zu sein, sind wir es denn, nie ein Volk, ein großes deutsches zu<lb/>
bilden? &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_649"> Sehen wir die andern Staaten Europas an, die eines Ursprungs mit<lb/>
uns sind, England, Frankreich, Spanien, Scandinavien (Italien ist gleich uns<lb/>
noch zurück), sie alle waren früher getheilt, sie alle haben sich aus dieser<lb/>
Theilung heraufgearbeitet zu einem Ganzen; Scandinavien noch in neuester<lb/>
Zeit. Und wir sollten nicht gleiches Schicksal mit ihnen haben? &#x2014; Betrach¬<lb/>
ten wir aber die Art ihrer Gestaltung zu einem Ganzen, und wir sehen, wie<lb/>
die kleinen, einzelnen Staaten, die sich in diesen Ländern gebildet hatten,<lb/>
nach manchem Wechsel der Zeit zuerst in größere Massen zusammenfielen<lb/>
und wie diese später ein Ganzes wurden. Deutschland steht nun. Dank sei<lb/>
es der französischen Staatsumwälzung und Napoleon Bonaparte! auch da<lb/>
in Massen gesondert, &#x2014; uns bleibt noch der letzte Schritt zu thun übrig, in<lb/>
ein Ganzes") überzugehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_650" next="#ID_651"> Gewiß ist es recht und löblich, daß wir das Alte, was wir von den<lb/>
Vätern ererbten, in Ehren halten, und haben wirs verloren, es wieder zu er¬<lb/>
ringen trachten und dem Neuen nicht anhängen und ihm huldigen, so lange<lb/>
das Alte noch tüchtig und gut ist; wenn das Alte aber nicht mehr passen<lb/>
will, wenn es der Zeit und uns abgestorben ist, ja wenn schon früher und<lb/>
schon längst der innere Geist und jedes kräftige Leben von ihm gewichen, oder</p><lb/>
          <note xml:id="FID_11" place="foot"> ") Dieses historische Gesetz der vorherigen Bildung größerer Massen, als Uebergang zur<lb/>
Einheit, das der Verfasser der Denkschrift im einzelnen nachweist, ist auch die beste Wider-<lb/>
legung des particularistischcn Wehklagens über die &#x201E;Dreitheilung Deutschlands", das jetzt,<lb/>
sonderbarer Weise gerade von den nämlichen Leuten angestimmt wird, die von 1860-1866<lb/>
für die &#x201E;Trias" geschwärmt haben. Wenn es auch augcnbUcküch eine norddeutsche und eine<lb/>
süddeutsche Masse g&gt;de, so zieht doch nach unabänderlichen Naturgesetzen die größere und<lb/>
kräftigere die kleinere und schwächere an. Und gerade das &#x2014; nicht die &#x201E;Dreitheilung" &#x2014; ist<lb/>
die Ursache des Schmcrzensschreies der Palticularisten.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 26*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0207] Die nächsten Verwandten des verdienstvollen Mannes haben unter dem Titel: „Aus den Papieren eines Verstorbenen", einen Abdruck der Abhand¬ lung veranstaltet, welcher sich jedoch nicht im Buchhandel befindet. Wir können nicht umhin, im Nachfolgenden einige Mittheilungen daraus zu machen und sie mit Anmerkungen zu begleiten. Möge der kluge, klare und tapfere Mann auch der Gegenwart noch als Lehrer dienen. Denn seine Worte treffen manchmal mit solcher Schärfe den faulen Fleck, als wären sie heute geschrieben. Aus den einleitenden Bemerkungen der Denkschrift heben wir folgen¬ des hervor: „Von so vielen Seiten hört man jetzt sagen: „aus Deutschland wird wieder nichts; es kann nichts aus ihm werden!" Und warum kann-denn nichts aus ihm werden? Ist unser Vaterland denn verdammt, nie ein Gan¬ zes zu sein, sind wir es denn, nie ein Volk, ein großes deutsches zu bilden? — Sehen wir die andern Staaten Europas an, die eines Ursprungs mit uns sind, England, Frankreich, Spanien, Scandinavien (Italien ist gleich uns noch zurück), sie alle waren früher getheilt, sie alle haben sich aus dieser Theilung heraufgearbeitet zu einem Ganzen; Scandinavien noch in neuester Zeit. Und wir sollten nicht gleiches Schicksal mit ihnen haben? — Betrach¬ ten wir aber die Art ihrer Gestaltung zu einem Ganzen, und wir sehen, wie die kleinen, einzelnen Staaten, die sich in diesen Ländern gebildet hatten, nach manchem Wechsel der Zeit zuerst in größere Massen zusammenfielen und wie diese später ein Ganzes wurden. Deutschland steht nun. Dank sei es der französischen Staatsumwälzung und Napoleon Bonaparte! auch da in Massen gesondert, — uns bleibt noch der letzte Schritt zu thun übrig, in ein Ganzes") überzugehen. Gewiß ist es recht und löblich, daß wir das Alte, was wir von den Vätern ererbten, in Ehren halten, und haben wirs verloren, es wieder zu er¬ ringen trachten und dem Neuen nicht anhängen und ihm huldigen, so lange das Alte noch tüchtig und gut ist; wenn das Alte aber nicht mehr passen will, wenn es der Zeit und uns abgestorben ist, ja wenn schon früher und schon längst der innere Geist und jedes kräftige Leben von ihm gewichen, oder ") Dieses historische Gesetz der vorherigen Bildung größerer Massen, als Uebergang zur Einheit, das der Verfasser der Denkschrift im einzelnen nachweist, ist auch die beste Wider- legung des particularistischcn Wehklagens über die „Dreitheilung Deutschlands", das jetzt, sonderbarer Weise gerade von den nämlichen Leuten angestimmt wird, die von 1860-1866 für die „Trias" geschwärmt haben. Wenn es auch augcnbUcküch eine norddeutsche und eine süddeutsche Masse g>de, so zieht doch nach unabänderlichen Naturgesetzen die größere und kräftigere die kleinere und schwächere an. Und gerade das — nicht die „Dreitheilung" — ist die Ursache des Schmcrzensschreies der Palticularisten. 26*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/207
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/207>, abgerufen am 15.01.2025.