Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.eines großen Volks entschieden worden, sieht Rom, der Mittelpunkt der ka¬ Grmzboten II. 1868. 23
eines großen Volks entschieden worden, sieht Rom, der Mittelpunkt der ka¬ Grmzboten II. 1868. 23
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117713"/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558" next="#ID_560"> eines großen Volks entschieden worden, sieht Rom, der Mittelpunkt der ka¬<lb/> tholischen Welt, erwartungsvoll dem ohnmächtigen Ringen des italienischen<lb/> Volks zu, das sich vergeblich von der Niederlage aufzuraffen versucht, welche<lb/> es gerade in dem Augenblick erlitten, da seine Führer sich anschickten, mit<lb/> den Ansprüchen der alten Kirche für immer abzurechnen. In den Hochzeits¬<lb/> jubel, mit dem die officielle Welt die Vermählung des Prinzen Humbert<lb/> umgibt, und in die Ovationen, welche die Dankbarkeit des Volkes dem siegge¬<lb/> krönten Erben der preußischen Krone bereitet hat, schallen aus Bologna,<lb/> Parma und Modena die Mißlaute einer allgemeinen Erbitterung gegen das<lb/> Regime hinein, mit dessen Aufrichtung die Italiener das Ende ihrer Leiden<lb/> gekommen wähnten, und selbst in den Hauptstädten des jungen Staates wird<lb/> die äußere Ordnung nur mühsam aufrecht erhalten. Von allem Uebrigen abge¬<lb/> sehen, lastet die bedrohliche Lage der Finanzen wie ein Alp auf allen, welche,<lb/> an den Geschicken des Staates ernsthaft Theil nehmen. Es sind nächstens<lb/> sechs Wochen, daß der Finanzminister das Deficit für 1869 auf 198 Millionen<lb/> angab und noch ist das Geschick der Maßregeln, welche Herr de Cambray-<lb/> Digny behufs Verminderung desselben auf 36 Millionen in Vorschlag brachte,<lb/> immer nicht endgiltig entschieden. Wohl sind die einzelnen Paragraphen<lb/> des Mahlsteuergesetzes angenommen worden, aber die Sanction des gesamm-<lb/> ten Gesetzes ist gleich der über die Vorlage wegen Aufhebung des Zwangs-<lb/> eourses davon abhängig gemacht worden, ob die übrigen Theile des ministe¬<lb/> riellen Plans die Zustimmung der Volksvertretung erhalten. Angesichts des<lb/> Pessimismus, welchen ein großer Theil der Italiener gegen die öffentlichen<lb/> Angelegenheiten seines Vaterlandes zur Schau trägt, und der Apathie,<lb/> welche sich mehr und mehr der Massen bemächtigt, die ohne Vorstellung von<lb/> der wirklichen Lage den Sitz des Uebels immer in dem jeweiligen Ministe¬<lb/> rium suchen, ist die Wiederbelebung des preußischen Einflusses am turiner<lb/> Hofe, welche bei dem gewinnenden Eindruck, den die männliche Erscheinung<lb/> des Kronprinzen allenthalben 'gemacht hat, kaum ausbleiben kann — von<lb/> nur zweifelhaftem Werth und gegenüber künftigen Verwickelungen wird die<lb/> Bundesgenossenschaft Italiens für Deutschland noch weniger ins Gewicht fallen<lb/> als im Jahre 1866. Daß die neidisches Eifersucht der Franzosen über die<lb/> Evivas, welche dem Sieger von Königsgrätz zugerufen wurden, ängstlich Buch<lb/> geführt hat, beweist nur, daß man den Italienern französischerseits nicht<lb/> einmal das Recht selbständiger Sympathien und Antipathien zugestehen will;<lb/> ist es Frankreich im Herbst vorigen Jahres gelungen, den von Cavour ge¬<lb/> gründeten Staat zum Verzicht aus die Hauptbedingung seiner eigenen Exi¬<lb/> stenz zu zwingen, so liegt die Vermuthung nah, Italien werde sich in der<lb/> Stunde der Entscheidung nöthigen lassen, das natürliche Interesse, durch welches<lb/> es an Preußen geknüpft ist, zu verleugnen. Der Gedanken an eine große aus-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmzboten II. 1868. 23</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0181]
eines großen Volks entschieden worden, sieht Rom, der Mittelpunkt der ka¬
tholischen Welt, erwartungsvoll dem ohnmächtigen Ringen des italienischen
Volks zu, das sich vergeblich von der Niederlage aufzuraffen versucht, welche
es gerade in dem Augenblick erlitten, da seine Führer sich anschickten, mit
den Ansprüchen der alten Kirche für immer abzurechnen. In den Hochzeits¬
jubel, mit dem die officielle Welt die Vermählung des Prinzen Humbert
umgibt, und in die Ovationen, welche die Dankbarkeit des Volkes dem siegge¬
krönten Erben der preußischen Krone bereitet hat, schallen aus Bologna,
Parma und Modena die Mißlaute einer allgemeinen Erbitterung gegen das
Regime hinein, mit dessen Aufrichtung die Italiener das Ende ihrer Leiden
gekommen wähnten, und selbst in den Hauptstädten des jungen Staates wird
die äußere Ordnung nur mühsam aufrecht erhalten. Von allem Uebrigen abge¬
sehen, lastet die bedrohliche Lage der Finanzen wie ein Alp auf allen, welche,
an den Geschicken des Staates ernsthaft Theil nehmen. Es sind nächstens
sechs Wochen, daß der Finanzminister das Deficit für 1869 auf 198 Millionen
angab und noch ist das Geschick der Maßregeln, welche Herr de Cambray-
Digny behufs Verminderung desselben auf 36 Millionen in Vorschlag brachte,
immer nicht endgiltig entschieden. Wohl sind die einzelnen Paragraphen
des Mahlsteuergesetzes angenommen worden, aber die Sanction des gesamm-
ten Gesetzes ist gleich der über die Vorlage wegen Aufhebung des Zwangs-
eourses davon abhängig gemacht worden, ob die übrigen Theile des ministe¬
riellen Plans die Zustimmung der Volksvertretung erhalten. Angesichts des
Pessimismus, welchen ein großer Theil der Italiener gegen die öffentlichen
Angelegenheiten seines Vaterlandes zur Schau trägt, und der Apathie,
welche sich mehr und mehr der Massen bemächtigt, die ohne Vorstellung von
der wirklichen Lage den Sitz des Uebels immer in dem jeweiligen Ministe¬
rium suchen, ist die Wiederbelebung des preußischen Einflusses am turiner
Hofe, welche bei dem gewinnenden Eindruck, den die männliche Erscheinung
des Kronprinzen allenthalben 'gemacht hat, kaum ausbleiben kann — von
nur zweifelhaftem Werth und gegenüber künftigen Verwickelungen wird die
Bundesgenossenschaft Italiens für Deutschland noch weniger ins Gewicht fallen
als im Jahre 1866. Daß die neidisches Eifersucht der Franzosen über die
Evivas, welche dem Sieger von Königsgrätz zugerufen wurden, ängstlich Buch
geführt hat, beweist nur, daß man den Italienern französischerseits nicht
einmal das Recht selbständiger Sympathien und Antipathien zugestehen will;
ist es Frankreich im Herbst vorigen Jahres gelungen, den von Cavour ge¬
gründeten Staat zum Verzicht aus die Hauptbedingung seiner eigenen Exi¬
stenz zu zwingen, so liegt die Vermuthung nah, Italien werde sich in der
Stunde der Entscheidung nöthigen lassen, das natürliche Interesse, durch welches
es an Preußen geknüpft ist, zu verleugnen. Der Gedanken an eine große aus-
Grmzboten II. 1868. 23
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