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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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wärtige Politik müssen die Minister Victor Emanuels sich entschlagen, so
lange das Fundament des Königreichs Italien vor der Unterwühlung durch
römische und französische Legitimisten nicht geschützt werden kann.

Es ist noch nicht zu lange her, daß die raschen Erfolge der Italiener, die
Vorarbeit zur Herstellung des italienischen Einheitsstaates den Deutschen als
beneidenswerte Beispiele vor Augen schwebten. Wenige Jahre haben hin¬
gereicht, um dieses Verhältniß vollständig umzukehren. Während auf die
kurzlebige Begeisterung, zu welcher Cavour und Garibaldi ihre Landsleute
fortrissen, eine Reaction gefolgt ist, welche kein Ende absehen läßt, treten in
Berlin die Vertreter desselben Deutschlands, das es zu einer die gesammte
Nation umfassenden nationalen Bewegung gar nicht gebracht hat, und in
welchem es an Anzeichen einer Reaction auf die Bewegung 1866 nicht
fehlt, -- zum erstenmale wieder zur Berathung gemeinsamer Interessen zu¬
sammen.

Glückverheißend sind die Conjuneturen, unter denen sich dieser Zusammen¬
tritt vollzogen hat, nicht zu nennen. Der Süden ist mindestens zur Hälfte
von Männern vertreten, welche jeder Erweiterung der Competenzgrenzen des
Zollparlaments in den Weg zu treten entschlossen sind und am liebsten gar
nicht nach Berlin gekommen wären. Von dem Rest gehört ein beträchtlicher
Bruchtheil den Halben und Schwankenden, welche im Zweiherrendienst er¬
graut sind, an, und selbst bei der Minderheit, welche an der nationalen
Sache festhält, muß zweifelhaft erscheinen, inwieweit sie es zur vollen Ver¬
ständigung mit den nordischen Gesinnungsgenossen bringen wird. Diese
norddeutschen Vertreter des nationalen Programms stehen selbst unter dem
Eindruck der letzten Differenz, in welche sie zum Bundeskanzler getreten sind,
und haben überdies Mühe, den Gegensatz zwischen Alt- und Neupreußenthum
nicht zum Schiboleth werden zu lassen. Dieser Situation entsprechend hat
der königliche Bundesprästdent seine Eröffnungsrede im Ton kühler Sachlich¬
keit gehalten und alles vermieden, was hier zu Illusionen, dort zu Befürch¬
tungen führen könnte.

Und doch sind wir weit davon entfernt, durch die Signatur, welche die
Eröffnungsstunde getragen, entmuthigt zu werden, wir wissen im Gegentheil
genau, daß die Ziele, aus deren Erreichung es zunächst ankommt, gesichert
sind. Das Zollparlament muß fortführen, was der Reichstag für die
Sicherung der materiellen Interessen der Nation gethan hat. Wird auch
nur durchgesetzt, daß das für den Norden bestehende Freizügigkeitsrecht
auf den Süden ausgedehnt wird, so ist ein gewichtiger Schritt vorwärts ge¬
than, denn der großen Masse der Bevölkerung wird ein ernstes Pfand dafür
gegeben, daß die Partei der "Verpreußung" sich auf ihre Interessen besser
verstehe, als jene Democratie, welche die Grundrechte im Munde und den


wärtige Politik müssen die Minister Victor Emanuels sich entschlagen, so
lange das Fundament des Königreichs Italien vor der Unterwühlung durch
römische und französische Legitimisten nicht geschützt werden kann.

Es ist noch nicht zu lange her, daß die raschen Erfolge der Italiener, die
Vorarbeit zur Herstellung des italienischen Einheitsstaates den Deutschen als
beneidenswerte Beispiele vor Augen schwebten. Wenige Jahre haben hin¬
gereicht, um dieses Verhältniß vollständig umzukehren. Während auf die
kurzlebige Begeisterung, zu welcher Cavour und Garibaldi ihre Landsleute
fortrissen, eine Reaction gefolgt ist, welche kein Ende absehen läßt, treten in
Berlin die Vertreter desselben Deutschlands, das es zu einer die gesammte
Nation umfassenden nationalen Bewegung gar nicht gebracht hat, und in
welchem es an Anzeichen einer Reaction auf die Bewegung 1866 nicht
fehlt, — zum erstenmale wieder zur Berathung gemeinsamer Interessen zu¬
sammen.

Glückverheißend sind die Conjuneturen, unter denen sich dieser Zusammen¬
tritt vollzogen hat, nicht zu nennen. Der Süden ist mindestens zur Hälfte
von Männern vertreten, welche jeder Erweiterung der Competenzgrenzen des
Zollparlaments in den Weg zu treten entschlossen sind und am liebsten gar
nicht nach Berlin gekommen wären. Von dem Rest gehört ein beträchtlicher
Bruchtheil den Halben und Schwankenden, welche im Zweiherrendienst er¬
graut sind, an, und selbst bei der Minderheit, welche an der nationalen
Sache festhält, muß zweifelhaft erscheinen, inwieweit sie es zur vollen Ver¬
ständigung mit den nordischen Gesinnungsgenossen bringen wird. Diese
norddeutschen Vertreter des nationalen Programms stehen selbst unter dem
Eindruck der letzten Differenz, in welche sie zum Bundeskanzler getreten sind,
und haben überdies Mühe, den Gegensatz zwischen Alt- und Neupreußenthum
nicht zum Schiboleth werden zu lassen. Dieser Situation entsprechend hat
der königliche Bundesprästdent seine Eröffnungsrede im Ton kühler Sachlich¬
keit gehalten und alles vermieden, was hier zu Illusionen, dort zu Befürch¬
tungen führen könnte.

Und doch sind wir weit davon entfernt, durch die Signatur, welche die
Eröffnungsstunde getragen, entmuthigt zu werden, wir wissen im Gegentheil
genau, daß die Ziele, aus deren Erreichung es zunächst ankommt, gesichert
sind. Das Zollparlament muß fortführen, was der Reichstag für die
Sicherung der materiellen Interessen der Nation gethan hat. Wird auch
nur durchgesetzt, daß das für den Norden bestehende Freizügigkeitsrecht
auf den Süden ausgedehnt wird, so ist ein gewichtiger Schritt vorwärts ge¬
than, denn der großen Masse der Bevölkerung wird ein ernstes Pfand dafür
gegeben, daß die Partei der „Verpreußung" sich auf ihre Interessen besser
verstehe, als jene Democratie, welche die Grundrechte im Munde und den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/182>, abgerufen am 15.01.2025.