Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

als wichtiges Ereigniß gemeldet, die Regierung habe durchgesetzt, daß' den
muselmännischen Bewohnern Bucharests das Recht zum Bau einer Moschee
ertheilt worden. Dieselben serbischen Liberalen, welche nicht müde werden,
über die Bedrückung ihrer christlichen Stammesgenossen im Norden der Bal¬
kanhalbinsel zu klagen, besinnen sich keinen Augenblick, wenn es gilt, die Cultus¬
freiheit der Türken zu beschränken, die noch vor einem halben Jahrhundert
ihre Beherrscher waren; und das Geschrei nach weiterer Ausdehnung der
Volksfreiheit wird in einem Athem mit Judenhaß und Proscriptionsforderungen
der Gegner ausgestoßen.

In England hat die Sache der Freiheit während der letzten Wochen
einen wichtigen Sieg erfochten. Unterstützt von Roebuck und Bright, den
Führern des Radicalismus, hat Gladstone seine Bill für Abschaffung der
anglicanischen Staatskirche in Irland nach heißem Kampf durchgesetzt und
Stanleys Bemühungen, die Entscheidung dieser wichtigen Frage dem bevor¬
stehenden neuen, nach dem reformirten Wahlgesetz zu errichtenden Parlament
vorzubehalten, sind an der Erkenntniß Englands gescheitert, daß an eine Aus¬
söhnung mit den Kindern der grünen Insel nicht zu denken sei, so lange die
Fiction aufrecht erhalten wird, die britischen Bewohner derselben seien die
erstgeborenen Söhne des Staates. Obgleich es nicht mehr zweifelhaft ist,
daß die prinzipielle Anerkennung der UnHaltbarkeit des kirchlichen Leg-tus-pro
zu practischer Durchführung gelangen werde, stehen dieser doch noch ernste
Schwierigkeiten entgegen, die durch das Verhalten der Fenier täglich vermehrt
werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß eine Concession von so großer
Tragweite im gegenwärtigen Zeitpunkt den Charakter einer durch die Angst
vor Zunahme der fenischen Agitation abgepreßten Abschlagszahlung trägt,
und es ist darum mehr wie begreiflich,, das, wie uns neuerdings berichtet wor¬
den, die protestantische Pairie Erich an den Festlichkeiten, welche dem Prin¬
zen von Wales in Dublin gegeben worden, geflissentlich keinen Antheil ge¬
nommen hat. Das meuchlerische Attentat, welches in Australien von fenischer
Hand gegen das Leben des Prinzen Alfred unternommen worden, wird aller
Wahrscheinlichkeit einen zeitweisen Rückschlag in der Stimmung des englischen
Volks herbeiführen, das durch die der Gladstoneschen Bill geschenkte allge¬
meine Zustimmung ein besonders gutes Gewissen erworben zu haben glaubt
und dem jetzt der Beweis geliefert wird, daß der verbrecherische Bund, der
sich zum Werkführer des irischen Volks aufgeworfen, weder durch Schrecken
noch durch Versöhnlichkeit zu entwaffnen ist.

Während der Kampf für Herstellung gesunder, den realen Verhältnissen
entsprechender Beziehungen der Kirche zum Staat in Großbrittanien gegen
einen den irischen Katholiken ausgepfropften Anglicanismus, in Oestreich gegen
die unumschränkte Herrschaft der katholischen Kirche über das geistige Leben


als wichtiges Ereigniß gemeldet, die Regierung habe durchgesetzt, daß' den
muselmännischen Bewohnern Bucharests das Recht zum Bau einer Moschee
ertheilt worden. Dieselben serbischen Liberalen, welche nicht müde werden,
über die Bedrückung ihrer christlichen Stammesgenossen im Norden der Bal¬
kanhalbinsel zu klagen, besinnen sich keinen Augenblick, wenn es gilt, die Cultus¬
freiheit der Türken zu beschränken, die noch vor einem halben Jahrhundert
ihre Beherrscher waren; und das Geschrei nach weiterer Ausdehnung der
Volksfreiheit wird in einem Athem mit Judenhaß und Proscriptionsforderungen
der Gegner ausgestoßen.

In England hat die Sache der Freiheit während der letzten Wochen
einen wichtigen Sieg erfochten. Unterstützt von Roebuck und Bright, den
Führern des Radicalismus, hat Gladstone seine Bill für Abschaffung der
anglicanischen Staatskirche in Irland nach heißem Kampf durchgesetzt und
Stanleys Bemühungen, die Entscheidung dieser wichtigen Frage dem bevor¬
stehenden neuen, nach dem reformirten Wahlgesetz zu errichtenden Parlament
vorzubehalten, sind an der Erkenntniß Englands gescheitert, daß an eine Aus¬
söhnung mit den Kindern der grünen Insel nicht zu denken sei, so lange die
Fiction aufrecht erhalten wird, die britischen Bewohner derselben seien die
erstgeborenen Söhne des Staates. Obgleich es nicht mehr zweifelhaft ist,
daß die prinzipielle Anerkennung der UnHaltbarkeit des kirchlichen Leg-tus-pro
zu practischer Durchführung gelangen werde, stehen dieser doch noch ernste
Schwierigkeiten entgegen, die durch das Verhalten der Fenier täglich vermehrt
werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß eine Concession von so großer
Tragweite im gegenwärtigen Zeitpunkt den Charakter einer durch die Angst
vor Zunahme der fenischen Agitation abgepreßten Abschlagszahlung trägt,
und es ist darum mehr wie begreiflich,, das, wie uns neuerdings berichtet wor¬
den, die protestantische Pairie Erich an den Festlichkeiten, welche dem Prin¬
zen von Wales in Dublin gegeben worden, geflissentlich keinen Antheil ge¬
nommen hat. Das meuchlerische Attentat, welches in Australien von fenischer
Hand gegen das Leben des Prinzen Alfred unternommen worden, wird aller
Wahrscheinlichkeit einen zeitweisen Rückschlag in der Stimmung des englischen
Volks herbeiführen, das durch die der Gladstoneschen Bill geschenkte allge¬
meine Zustimmung ein besonders gutes Gewissen erworben zu haben glaubt
und dem jetzt der Beweis geliefert wird, daß der verbrecherische Bund, der
sich zum Werkführer des irischen Volks aufgeworfen, weder durch Schrecken
noch durch Versöhnlichkeit zu entwaffnen ist.

Während der Kampf für Herstellung gesunder, den realen Verhältnissen
entsprechender Beziehungen der Kirche zum Staat in Großbrittanien gegen
einen den irischen Katholiken ausgepfropften Anglicanismus, in Oestreich gegen
die unumschränkte Herrschaft der katholischen Kirche über das geistige Leben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117712"/>
          <p xml:id="ID_556" prev="#ID_555"> als wichtiges Ereigniß gemeldet, die Regierung habe durchgesetzt, daß' den<lb/>
muselmännischen Bewohnern Bucharests das Recht zum Bau einer Moschee<lb/>
ertheilt worden. Dieselben serbischen Liberalen, welche nicht müde werden,<lb/>
über die Bedrückung ihrer christlichen Stammesgenossen im Norden der Bal¬<lb/>
kanhalbinsel zu klagen, besinnen sich keinen Augenblick, wenn es gilt, die Cultus¬<lb/>
freiheit der Türken zu beschränken, die noch vor einem halben Jahrhundert<lb/>
ihre Beherrscher waren; und das Geschrei nach weiterer Ausdehnung der<lb/>
Volksfreiheit wird in einem Athem mit Judenhaß und Proscriptionsforderungen<lb/>
der Gegner ausgestoßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_557"> In England hat die Sache der Freiheit während der letzten Wochen<lb/>
einen wichtigen Sieg erfochten. Unterstützt von Roebuck und Bright, den<lb/>
Führern des Radicalismus, hat Gladstone seine Bill für Abschaffung der<lb/>
anglicanischen Staatskirche in Irland nach heißem Kampf durchgesetzt und<lb/>
Stanleys Bemühungen, die Entscheidung dieser wichtigen Frage dem bevor¬<lb/>
stehenden neuen, nach dem reformirten Wahlgesetz zu errichtenden Parlament<lb/>
vorzubehalten, sind an der Erkenntniß Englands gescheitert, daß an eine Aus¬<lb/>
söhnung mit den Kindern der grünen Insel nicht zu denken sei, so lange die<lb/>
Fiction aufrecht erhalten wird, die britischen Bewohner derselben seien die<lb/>
erstgeborenen Söhne des Staates. Obgleich es nicht mehr zweifelhaft ist,<lb/>
daß die prinzipielle Anerkennung der UnHaltbarkeit des kirchlichen Leg-tus-pro<lb/>
zu practischer Durchführung gelangen werde, stehen dieser doch noch ernste<lb/>
Schwierigkeiten entgegen, die durch das Verhalten der Fenier täglich vermehrt<lb/>
werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß eine Concession von so großer<lb/>
Tragweite im gegenwärtigen Zeitpunkt den Charakter einer durch die Angst<lb/>
vor Zunahme der fenischen Agitation abgepreßten Abschlagszahlung trägt,<lb/>
und es ist darum mehr wie begreiflich,, das, wie uns neuerdings berichtet wor¬<lb/>
den, die protestantische Pairie Erich an den Festlichkeiten, welche dem Prin¬<lb/>
zen von Wales in Dublin gegeben worden, geflissentlich keinen Antheil ge¬<lb/>
nommen hat. Das meuchlerische Attentat, welches in Australien von fenischer<lb/>
Hand gegen das Leben des Prinzen Alfred unternommen worden, wird aller<lb/>
Wahrscheinlichkeit einen zeitweisen Rückschlag in der Stimmung des englischen<lb/>
Volks herbeiführen, das durch die der Gladstoneschen Bill geschenkte allge¬<lb/>
meine Zustimmung ein besonders gutes Gewissen erworben zu haben glaubt<lb/>
und dem jetzt der Beweis geliefert wird, daß der verbrecherische Bund, der<lb/>
sich zum Werkführer des irischen Volks aufgeworfen, weder durch Schrecken<lb/>
noch durch Versöhnlichkeit zu entwaffnen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_558" next="#ID_559"> Während der Kampf für Herstellung gesunder, den realen Verhältnissen<lb/>
entsprechender Beziehungen der Kirche zum Staat in Großbrittanien gegen<lb/>
einen den irischen Katholiken ausgepfropften Anglicanismus, in Oestreich gegen<lb/>
die unumschränkte Herrschaft der katholischen Kirche über das geistige Leben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] als wichtiges Ereigniß gemeldet, die Regierung habe durchgesetzt, daß' den muselmännischen Bewohnern Bucharests das Recht zum Bau einer Moschee ertheilt worden. Dieselben serbischen Liberalen, welche nicht müde werden, über die Bedrückung ihrer christlichen Stammesgenossen im Norden der Bal¬ kanhalbinsel zu klagen, besinnen sich keinen Augenblick, wenn es gilt, die Cultus¬ freiheit der Türken zu beschränken, die noch vor einem halben Jahrhundert ihre Beherrscher waren; und das Geschrei nach weiterer Ausdehnung der Volksfreiheit wird in einem Athem mit Judenhaß und Proscriptionsforderungen der Gegner ausgestoßen. In England hat die Sache der Freiheit während der letzten Wochen einen wichtigen Sieg erfochten. Unterstützt von Roebuck und Bright, den Führern des Radicalismus, hat Gladstone seine Bill für Abschaffung der anglicanischen Staatskirche in Irland nach heißem Kampf durchgesetzt und Stanleys Bemühungen, die Entscheidung dieser wichtigen Frage dem bevor¬ stehenden neuen, nach dem reformirten Wahlgesetz zu errichtenden Parlament vorzubehalten, sind an der Erkenntniß Englands gescheitert, daß an eine Aus¬ söhnung mit den Kindern der grünen Insel nicht zu denken sei, so lange die Fiction aufrecht erhalten wird, die britischen Bewohner derselben seien die erstgeborenen Söhne des Staates. Obgleich es nicht mehr zweifelhaft ist, daß die prinzipielle Anerkennung der UnHaltbarkeit des kirchlichen Leg-tus-pro zu practischer Durchführung gelangen werde, stehen dieser doch noch ernste Schwierigkeiten entgegen, die durch das Verhalten der Fenier täglich vermehrt werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß eine Concession von so großer Tragweite im gegenwärtigen Zeitpunkt den Charakter einer durch die Angst vor Zunahme der fenischen Agitation abgepreßten Abschlagszahlung trägt, und es ist darum mehr wie begreiflich,, das, wie uns neuerdings berichtet wor¬ den, die protestantische Pairie Erich an den Festlichkeiten, welche dem Prin¬ zen von Wales in Dublin gegeben worden, geflissentlich keinen Antheil ge¬ nommen hat. Das meuchlerische Attentat, welches in Australien von fenischer Hand gegen das Leben des Prinzen Alfred unternommen worden, wird aller Wahrscheinlichkeit einen zeitweisen Rückschlag in der Stimmung des englischen Volks herbeiführen, das durch die der Gladstoneschen Bill geschenkte allge¬ meine Zustimmung ein besonders gutes Gewissen erworben zu haben glaubt und dem jetzt der Beweis geliefert wird, daß der verbrecherische Bund, der sich zum Werkführer des irischen Volks aufgeworfen, weder durch Schrecken noch durch Versöhnlichkeit zu entwaffnen ist. Während der Kampf für Herstellung gesunder, den realen Verhältnissen entsprechender Beziehungen der Kirche zum Staat in Großbrittanien gegen einen den irischen Katholiken ausgepfropften Anglicanismus, in Oestreich gegen die unumschränkte Herrschaft der katholischen Kirche über das geistige Leben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/180>, abgerufen am 15.01.2025.