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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Jahrhunderten gewesen, wir sehen vielleicht unbefangener, als sie, was wir
ihnen werth sind und wie viel sie uns werden können; und wir sind über¬
zeugt, fest und innig, daß sie doch alle zu uns kommen werden, und daß
in wenigen Jahren ihnen selbst dieser Gedanke deutlich und lieb sein wird.




Die Eröffnung des Zollparlaments.

In dreierlei Richtung hängt die hochgespannte Erwartung der Nation an
dem Heuthier eröffneten Parlament, das ihre erste gesetzliche Gesammtvertretung
nach dem gleichsam improvisirten Und verunglückten Versuch von 1848 ist. Die
Neubildung politischer Parteien, welche mit den Ereignissen von 1866 be¬
gonnen, soll einen gewissen vorläufigen Abschluß finden, und aus den jetzt be¬
stehenden Anfängen und Bruchstücken eine nationale Gescunmtpartei sich heraus¬
gestalten. Das Zollparlament hat ferner darzuthun, ob und inwieweit es
ein geeignetes Gefäß für die Entwickelung der Einheitsideen und Einheits¬
formen ist. Endlich soll durch seine Action auf die überlieferte Gesetzgebung
des Zollvereins dem wirthschaftlichen Leben des deutschen Volks ein frischer
mächtiger Anstoß gegeben werden.

Am wenigsten vorbereitet ist die Versammlung offenbar, der dritten
dieser Aufgaben zu entsprechen, die ihre eigentliche, vertragsmäßige und nächste
ist. Die Mitglieder des norddeutschen Reichstages, welche als solche auch
Mitglieder des Zollparlamentes sind, haben sich ihren Wählern nicht vorge¬
stellt, sind von diesen nicht ausersehen worden mit irgend einer bestimmenden
Rücksicht auf die Zollvereinsgesetzgebung. Eine große Zahl von ihnen ist bereit,
zu gestehen, daß sie sich von heute an nicht mehr recht competent zum Mit¬
sprechen fühle; in das Detail der nun zu entscheidenden wichtigen, zum Theil
schwierigen und verwickelten Fragen werden sie sich daher noch weniger ver¬
tiefen, als das der Regel nach das Gros irgend einer repräsentativen
Körperschaft thut. Diese relative sachliche Schwäche des norddeutschen Haupt¬
corps wird auch durch keine besondere technische Force des Zuzugs aus Süd¬
deutschland ausgeglichen. Wir wissen ja, auf welche Schlagworte und Merk¬
male hin die Abgeordneten in Baiern, Würtemberg, Baden und Südhessen
gewählt wurden. Mit Ausnahme eines einzelnen der badischen Vertreter,
sind sie ebenfalls wegen ihrer politischen Gesinnung Und Fähigkeit, nicht als
vorzugsweise berufene Kenner von Zollfragen hierher entsandt worden.

Indessen mag dies nicht gerade als Unglück angesehen werden. Ein
Parlament kann nicht und braucht nicht eine Vereinigung von Interessenten
und Experten zu sein. Wenn es unter dem politischen Gesichtspunkt seinen


Jahrhunderten gewesen, wir sehen vielleicht unbefangener, als sie, was wir
ihnen werth sind und wie viel sie uns werden können; und wir sind über¬
zeugt, fest und innig, daß sie doch alle zu uns kommen werden, und daß
in wenigen Jahren ihnen selbst dieser Gedanke deutlich und lieb sein wird.




Die Eröffnung des Zollparlaments.

In dreierlei Richtung hängt die hochgespannte Erwartung der Nation an
dem Heuthier eröffneten Parlament, das ihre erste gesetzliche Gesammtvertretung
nach dem gleichsam improvisirten Und verunglückten Versuch von 1848 ist. Die
Neubildung politischer Parteien, welche mit den Ereignissen von 1866 be¬
gonnen, soll einen gewissen vorläufigen Abschluß finden, und aus den jetzt be¬
stehenden Anfängen und Bruchstücken eine nationale Gescunmtpartei sich heraus¬
gestalten. Das Zollparlament hat ferner darzuthun, ob und inwieweit es
ein geeignetes Gefäß für die Entwickelung der Einheitsideen und Einheits¬
formen ist. Endlich soll durch seine Action auf die überlieferte Gesetzgebung
des Zollvereins dem wirthschaftlichen Leben des deutschen Volks ein frischer
mächtiger Anstoß gegeben werden.

Am wenigsten vorbereitet ist die Versammlung offenbar, der dritten
dieser Aufgaben zu entsprechen, die ihre eigentliche, vertragsmäßige und nächste
ist. Die Mitglieder des norddeutschen Reichstages, welche als solche auch
Mitglieder des Zollparlamentes sind, haben sich ihren Wählern nicht vorge¬
stellt, sind von diesen nicht ausersehen worden mit irgend einer bestimmenden
Rücksicht auf die Zollvereinsgesetzgebung. Eine große Zahl von ihnen ist bereit,
zu gestehen, daß sie sich von heute an nicht mehr recht competent zum Mit¬
sprechen fühle; in das Detail der nun zu entscheidenden wichtigen, zum Theil
schwierigen und verwickelten Fragen werden sie sich daher noch weniger ver¬
tiefen, als das der Regel nach das Gros irgend einer repräsentativen
Körperschaft thut. Diese relative sachliche Schwäche des norddeutschen Haupt¬
corps wird auch durch keine besondere technische Force des Zuzugs aus Süd¬
deutschland ausgeglichen. Wir wissen ja, auf welche Schlagworte und Merk¬
male hin die Abgeordneten in Baiern, Würtemberg, Baden und Südhessen
gewählt wurden. Mit Ausnahme eines einzelnen der badischen Vertreter,
sind sie ebenfalls wegen ihrer politischen Gesinnung Und Fähigkeit, nicht als
vorzugsweise berufene Kenner von Zollfragen hierher entsandt worden.

Indessen mag dies nicht gerade als Unglück angesehen werden. Ein
Parlament kann nicht und braucht nicht eine Vereinigung von Interessenten
und Experten zu sein. Wenn es unter dem politischen Gesichtspunkt seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/169>, abgerufen am 15.01.2025.