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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Abends mit ihren Bürgern aus derselben Bank und spielen mit denselben
Karte, und wenn ja einmal in der Zeit des Susers oder des Salvators der
vielmögende Beamte beim Heimgange eine Schwäche empfindet, so führen ihn
seine Mitbürger als ihresgleichen siegreich nach Hause. Das ist in Preußen
anders. Dort ist in den Kreisen und Provinzen weit mehr Selbstregiment, die
einzelnen Theile des Volkes besorgen einen Theil ihrer Geschäfte selbst, woran
im Süden noch lange nicht zu denken, aber den Hauptantheil an dieser
Selbstverwaltung haben die Familien der Landgentry. Diese Gentry und
die Beamten, welche die Verbindung zwischen dem Staat und Volk herstellen,
haben einen vornehmen und oft hochmüthigen Strich, sie bestehen zum großen
Theil aus Söhnen altsässigen Landadels, so die Kreisdeputirten, Landräthe,
Regierungspräsidenten, Oberpräsidenten, sie stehen zum Volke fremder, und
in der Weise, wie sie die Wirthschaft des Staates besorgen, ist häufig
junkerhafte Parteitendenz und ein Familienregiment sichtbar. Das erhält den
Bürger kritisch, und darum wird jeder Uebergriff eines Beamten leicht als
Arroganz und Druck einer Kaste empfunden. Aber im letzten Grund und
abgesehen von dem Parteikampf der Gegenwart ist die starke Entwickelung
dieser Gentry offenbar für den deutschen Staat ein werthvoller Gewinn.
Ein. guter Theil der preußischen Erfolge seit dem dreißigjährigen Kriege ist
darauf zurückzuführen, daß es den Hohenzollern gelang, die Familien un¬
ruhiger Vasallen im Heere und in der Verwaltung zu nutzbringenden Mit¬
gliedern des Staats zu formen. Wir haben noch gegen einige Reste feudaler
Gewohnheiten unter ihnen zu kämpfen, ja wir halten noch manches in ihrer po¬
litischen Stellung für ungesund und sind entschiedene Gegner der Standesprivi¬
legien, welche sie in dem modernen Staat in Anspruch nehmen möchten.
Aber wenn unter dem Einfluß der Zeitbildung ihrem Leben abgestreift wird,
was von ihren Ansprüchen und Gewohnheiten unhaltbar geworden ist,
so vermögen sie als Gutsbesitzer, in Heer und Diplomatie, in der Kreisver¬
waltung und im Beamtenstand einen sehr wohlthätigen Einfluß zu üben,
ebensosehr sichere Vertreter der Freiheit, als der Ordnung.

Es ist bedeutsam, daß die Deutschen, welche den Völkern der Erde so
lange für unpraktische Politiker gegolten haben, sich zuerst in einem Parla¬
ment zusammenfinden, welches nur praktische und materielle Fragen beant¬
worten soll, und daß jetzt der unruhige Nachbar auf der andern Seite des
Rheins keine größere Sorge hat, als daß die alte deutsche Gemüthswärme
doch bei den Verhandlungen über Tabak- und Zuckersteuer zum Ausbruch
kommen könnte. Wir aber im Nordbund, die wir abwarten müssen, ob
unsere Landsleute im Süden die politische Brüderschaft uns anbieten, wir
sind doch, wie auch jetzt ihre Worte und ihre Meinung laut werden, ihrer
Seelen weit sicherer, als sie selbst meinen. Wir kennen sie, wie sie seit


Abends mit ihren Bürgern aus derselben Bank und spielen mit denselben
Karte, und wenn ja einmal in der Zeit des Susers oder des Salvators der
vielmögende Beamte beim Heimgange eine Schwäche empfindet, so führen ihn
seine Mitbürger als ihresgleichen siegreich nach Hause. Das ist in Preußen
anders. Dort ist in den Kreisen und Provinzen weit mehr Selbstregiment, die
einzelnen Theile des Volkes besorgen einen Theil ihrer Geschäfte selbst, woran
im Süden noch lange nicht zu denken, aber den Hauptantheil an dieser
Selbstverwaltung haben die Familien der Landgentry. Diese Gentry und
die Beamten, welche die Verbindung zwischen dem Staat und Volk herstellen,
haben einen vornehmen und oft hochmüthigen Strich, sie bestehen zum großen
Theil aus Söhnen altsässigen Landadels, so die Kreisdeputirten, Landräthe,
Regierungspräsidenten, Oberpräsidenten, sie stehen zum Volke fremder, und
in der Weise, wie sie die Wirthschaft des Staates besorgen, ist häufig
junkerhafte Parteitendenz und ein Familienregiment sichtbar. Das erhält den
Bürger kritisch, und darum wird jeder Uebergriff eines Beamten leicht als
Arroganz und Druck einer Kaste empfunden. Aber im letzten Grund und
abgesehen von dem Parteikampf der Gegenwart ist die starke Entwickelung
dieser Gentry offenbar für den deutschen Staat ein werthvoller Gewinn.
Ein. guter Theil der preußischen Erfolge seit dem dreißigjährigen Kriege ist
darauf zurückzuführen, daß es den Hohenzollern gelang, die Familien un¬
ruhiger Vasallen im Heere und in der Verwaltung zu nutzbringenden Mit¬
gliedern des Staats zu formen. Wir haben noch gegen einige Reste feudaler
Gewohnheiten unter ihnen zu kämpfen, ja wir halten noch manches in ihrer po¬
litischen Stellung für ungesund und sind entschiedene Gegner der Standesprivi¬
legien, welche sie in dem modernen Staat in Anspruch nehmen möchten.
Aber wenn unter dem Einfluß der Zeitbildung ihrem Leben abgestreift wird,
was von ihren Ansprüchen und Gewohnheiten unhaltbar geworden ist,
so vermögen sie als Gutsbesitzer, in Heer und Diplomatie, in der Kreisver¬
waltung und im Beamtenstand einen sehr wohlthätigen Einfluß zu üben,
ebensosehr sichere Vertreter der Freiheit, als der Ordnung.

Es ist bedeutsam, daß die Deutschen, welche den Völkern der Erde so
lange für unpraktische Politiker gegolten haben, sich zuerst in einem Parla¬
ment zusammenfinden, welches nur praktische und materielle Fragen beant¬
worten soll, und daß jetzt der unruhige Nachbar auf der andern Seite des
Rheins keine größere Sorge hat, als daß die alte deutsche Gemüthswärme
doch bei den Verhandlungen über Tabak- und Zuckersteuer zum Ausbruch
kommen könnte. Wir aber im Nordbund, die wir abwarten müssen, ob
unsere Landsleute im Süden die politische Brüderschaft uns anbieten, wir
sind doch, wie auch jetzt ihre Worte und ihre Meinung laut werden, ihrer
Seelen weit sicherer, als sie selbst meinen. Wir kennen sie, wie sie seit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/168>, abgerufen am 15.01.2025.