Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hand ans Werk gelegt werden müsse und er prophezeite, daß bis Ende des
Jahrhunderts das Parlament entweder sich selbst reformirt haben müsse oder
zur Strafe von außen reformirt werden würde: sein Borschlag (1770) war,
den Grafschaften ein drittes Mitglied zu geben, um ein Gegengewicht gegen
die bestochenen und käuflichen Flecken zu schaffen. Auch ein Mann wie Burke,
der mit leidenschaftlicher Vorliebe an den altenglischen Institutionen hing
und fürchtete, daß durch die Verbesserung offenkundiger Fehler das Gleich¬
gewicht der Verfassung gestört werden möchte, mußte 1780 zugeben, daß sich
eine tiefe Verstimmung des Volkes bemächtigt habe l>v are grovu out ok
llumcmr Unit elle LouiZtituticm itselt').

William Pitt nahm den Plan seines Vaters wieder auf. er brachte 1783
Resolutionen ein, wonach jeder Flecken, in welchem die Majorität der Be¬
stechlichkeit überführt war, sein Wahlrecht verlieren sollte, während die Zahl der
Vertreter der Grafschaften und Londons vermehrt werden sollten. Die
faulen Flecken selbst anzugreifen wagte er noch nicht, weil sie ihm zu sehr
mit der ganzen Verfassung verwachsen schienen. Mit einer Mehrheit von
142 Stimmen geschlagen, nahm er die Idee wenige Jahre später als Minister
wieder auf. Er hatte dabei mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; der König
war jeder Reform abgeneigt und seine Collegen dachten ebenso oder waren lau.
aber er beharrte fest bei seinen früheren Gedanken, die er einerseits zu erweitern,
andererseits praktischer zu gestalten suchte. In der großen Rede, mit der er
1783 seine Bill "die Vertretung des englischen Volkes im Parlament zu
verbessern" einführte, ging er davon aus, daß die Vertretung je nach den
Umständen wechseln müsse; sie habe dies von Eduard I. bis Karl II. fort¬
während gethan, die Krone habe die Befugniß gehabt, zum Parlament zu
entbieten wen sie wolle, nach dem Princip, daß nur solche Plätze, welche im
Volksleben wirkliche Bedeutung hätten, vertreten sein sollten. Noch Jakob I.
habe bei der Berufung^ seines ersten Parlaments den Sheriffs geboten, solche
Flecken nicht wählen zu'lassen, die in offenbarem Verfall seien, die Entziehung
des Wahlrechts, welche Cromwell gegen 72 Flecken geübt, habe selbst Claren¬
don gebilligt und bei der Restauration sei jenes Recht nur der Hälfte zurück¬
gegeben ; die jetzt bestehende Anzahl der Wahlkörper könne daher nicht unan¬
tastbar sein. Pitt schlug daher vor, 36 Flecken das Wahlrecht zu entziehen
und die 72 Mitglieder, welche sie entsandten, auf die Grafschaften und Lon¬
don zu vertheilen, ebenso das Recht von 10 städtischen Corporationen auf die
Bürgerschaft zu übertragen, auch sollten in den Grafschaften neben den Frei¬
sassen die Erbpächter das Wahlrecht erhalten. Die schwache Seite dieses
Planes war, daß Pitt, um den Widerstand im Parlament zu überwinden,
sich dazu hatte verstehen müssen, für die Entziehungen des Wahlrechts eine
Entschädigung zu bieten, die er damit begründete, daß die Wahlberechtigung


11*

Hand ans Werk gelegt werden müsse und er prophezeite, daß bis Ende des
Jahrhunderts das Parlament entweder sich selbst reformirt haben müsse oder
zur Strafe von außen reformirt werden würde: sein Borschlag (1770) war,
den Grafschaften ein drittes Mitglied zu geben, um ein Gegengewicht gegen
die bestochenen und käuflichen Flecken zu schaffen. Auch ein Mann wie Burke,
der mit leidenschaftlicher Vorliebe an den altenglischen Institutionen hing
und fürchtete, daß durch die Verbesserung offenkundiger Fehler das Gleich¬
gewicht der Verfassung gestört werden möchte, mußte 1780 zugeben, daß sich
eine tiefe Verstimmung des Volkes bemächtigt habe l>v are grovu out ok
llumcmr Unit elle LouiZtituticm itselt').

William Pitt nahm den Plan seines Vaters wieder auf. er brachte 1783
Resolutionen ein, wonach jeder Flecken, in welchem die Majorität der Be¬
stechlichkeit überführt war, sein Wahlrecht verlieren sollte, während die Zahl der
Vertreter der Grafschaften und Londons vermehrt werden sollten. Die
faulen Flecken selbst anzugreifen wagte er noch nicht, weil sie ihm zu sehr
mit der ganzen Verfassung verwachsen schienen. Mit einer Mehrheit von
142 Stimmen geschlagen, nahm er die Idee wenige Jahre später als Minister
wieder auf. Er hatte dabei mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; der König
war jeder Reform abgeneigt und seine Collegen dachten ebenso oder waren lau.
aber er beharrte fest bei seinen früheren Gedanken, die er einerseits zu erweitern,
andererseits praktischer zu gestalten suchte. In der großen Rede, mit der er
1783 seine Bill „die Vertretung des englischen Volkes im Parlament zu
verbessern" einführte, ging er davon aus, daß die Vertretung je nach den
Umständen wechseln müsse; sie habe dies von Eduard I. bis Karl II. fort¬
während gethan, die Krone habe die Befugniß gehabt, zum Parlament zu
entbieten wen sie wolle, nach dem Princip, daß nur solche Plätze, welche im
Volksleben wirkliche Bedeutung hätten, vertreten sein sollten. Noch Jakob I.
habe bei der Berufung^ seines ersten Parlaments den Sheriffs geboten, solche
Flecken nicht wählen zu'lassen, die in offenbarem Verfall seien, die Entziehung
des Wahlrechts, welche Cromwell gegen 72 Flecken geübt, habe selbst Claren¬
don gebilligt und bei der Restauration sei jenes Recht nur der Hälfte zurück¬
gegeben ; die jetzt bestehende Anzahl der Wahlkörper könne daher nicht unan¬
tastbar sein. Pitt schlug daher vor, 36 Flecken das Wahlrecht zu entziehen
und die 72 Mitglieder, welche sie entsandten, auf die Grafschaften und Lon¬
don zu vertheilen, ebenso das Recht von 10 städtischen Corporationen auf die
Bürgerschaft zu übertragen, auch sollten in den Grafschaften neben den Frei¬
sassen die Erbpächter das Wahlrecht erhalten. Die schwache Seite dieses
Planes war, daß Pitt, um den Widerstand im Parlament zu überwinden,
sich dazu hatte verstehen müssen, für die Entziehungen des Wahlrechts eine
Entschädigung zu bieten, die er damit begründete, daß die Wahlberechtigung


11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287369"/>
            <p xml:id="ID_222" prev="#ID_221"> Hand ans Werk gelegt werden müsse und er prophezeite, daß bis Ende des<lb/>
Jahrhunderts das Parlament entweder sich selbst reformirt haben müsse oder<lb/>
zur Strafe von außen reformirt werden würde: sein Borschlag (1770) war,<lb/>
den Grafschaften ein drittes Mitglied zu geben, um ein Gegengewicht gegen<lb/>
die bestochenen und käuflichen Flecken zu schaffen. Auch ein Mann wie Burke,<lb/>
der mit leidenschaftlicher Vorliebe an den altenglischen Institutionen hing<lb/>
und fürchtete, daß durch die Verbesserung offenkundiger Fehler das Gleich¬<lb/>
gewicht der Verfassung gestört werden möchte, mußte 1780 zugeben, daß sich<lb/>
eine tiefe Verstimmung des Volkes bemächtigt habe l&gt;v are grovu out ok<lb/>
llumcmr Unit elle LouiZtituticm itselt').</p><lb/>
            <p xml:id="ID_223" next="#ID_224"> William Pitt nahm den Plan seines Vaters wieder auf. er brachte 1783<lb/>
Resolutionen ein, wonach jeder Flecken, in welchem die Majorität der Be¬<lb/>
stechlichkeit überführt war, sein Wahlrecht verlieren sollte, während die Zahl der<lb/>
Vertreter der Grafschaften und Londons vermehrt werden sollten. Die<lb/>
faulen Flecken selbst anzugreifen wagte er noch nicht, weil sie ihm zu sehr<lb/>
mit der ganzen Verfassung verwachsen schienen. Mit einer Mehrheit von<lb/>
142 Stimmen geschlagen, nahm er die Idee wenige Jahre später als Minister<lb/>
wieder auf. Er hatte dabei mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; der König<lb/>
war jeder Reform abgeneigt und seine Collegen dachten ebenso oder waren lau.<lb/>
aber er beharrte fest bei seinen früheren Gedanken, die er einerseits zu erweitern,<lb/>
andererseits praktischer zu gestalten suchte. In der großen Rede, mit der er<lb/>
1783 seine Bill &#x201E;die Vertretung des englischen Volkes im Parlament zu<lb/>
verbessern" einführte, ging er davon aus, daß die Vertretung je nach den<lb/>
Umständen wechseln müsse; sie habe dies von Eduard I. bis Karl II. fort¬<lb/>
während gethan, die Krone habe die Befugniß gehabt, zum Parlament zu<lb/>
entbieten wen sie wolle, nach dem Princip, daß nur solche Plätze, welche im<lb/>
Volksleben wirkliche Bedeutung hätten, vertreten sein sollten. Noch Jakob I.<lb/>
habe bei der Berufung^ seines ersten Parlaments den Sheriffs geboten, solche<lb/>
Flecken nicht wählen zu'lassen, die in offenbarem Verfall seien, die Entziehung<lb/>
des Wahlrechts, welche Cromwell gegen 72 Flecken geübt, habe selbst Claren¬<lb/>
don gebilligt und bei der Restauration sei jenes Recht nur der Hälfte zurück¬<lb/>
gegeben ; die jetzt bestehende Anzahl der Wahlkörper könne daher nicht unan¬<lb/>
tastbar sein. Pitt schlug daher vor, 36 Flecken das Wahlrecht zu entziehen<lb/>
und die 72 Mitglieder, welche sie entsandten, auf die Grafschaften und Lon¬<lb/>
don zu vertheilen, ebenso das Recht von 10 städtischen Corporationen auf die<lb/>
Bürgerschaft zu übertragen, auch sollten in den Grafschaften neben den Frei¬<lb/>
sassen die Erbpächter das Wahlrecht erhalten. Die schwache Seite dieses<lb/>
Planes war, daß Pitt, um den Widerstand im Parlament zu überwinden,<lb/>
sich dazu hatte verstehen müssen, für die Entziehungen des Wahlrechts eine<lb/>
Entschädigung zu bieten, die er damit begründete, daß die Wahlberechtigung</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 11*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] Hand ans Werk gelegt werden müsse und er prophezeite, daß bis Ende des Jahrhunderts das Parlament entweder sich selbst reformirt haben müsse oder zur Strafe von außen reformirt werden würde: sein Borschlag (1770) war, den Grafschaften ein drittes Mitglied zu geben, um ein Gegengewicht gegen die bestochenen und käuflichen Flecken zu schaffen. Auch ein Mann wie Burke, der mit leidenschaftlicher Vorliebe an den altenglischen Institutionen hing und fürchtete, daß durch die Verbesserung offenkundiger Fehler das Gleich¬ gewicht der Verfassung gestört werden möchte, mußte 1780 zugeben, daß sich eine tiefe Verstimmung des Volkes bemächtigt habe l>v are grovu out ok llumcmr Unit elle LouiZtituticm itselt'). William Pitt nahm den Plan seines Vaters wieder auf. er brachte 1783 Resolutionen ein, wonach jeder Flecken, in welchem die Majorität der Be¬ stechlichkeit überführt war, sein Wahlrecht verlieren sollte, während die Zahl der Vertreter der Grafschaften und Londons vermehrt werden sollten. Die faulen Flecken selbst anzugreifen wagte er noch nicht, weil sie ihm zu sehr mit der ganzen Verfassung verwachsen schienen. Mit einer Mehrheit von 142 Stimmen geschlagen, nahm er die Idee wenige Jahre später als Minister wieder auf. Er hatte dabei mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; der König war jeder Reform abgeneigt und seine Collegen dachten ebenso oder waren lau. aber er beharrte fest bei seinen früheren Gedanken, die er einerseits zu erweitern, andererseits praktischer zu gestalten suchte. In der großen Rede, mit der er 1783 seine Bill „die Vertretung des englischen Volkes im Parlament zu verbessern" einführte, ging er davon aus, daß die Vertretung je nach den Umständen wechseln müsse; sie habe dies von Eduard I. bis Karl II. fort¬ während gethan, die Krone habe die Befugniß gehabt, zum Parlament zu entbieten wen sie wolle, nach dem Princip, daß nur solche Plätze, welche im Volksleben wirkliche Bedeutung hätten, vertreten sein sollten. Noch Jakob I. habe bei der Berufung^ seines ersten Parlaments den Sheriffs geboten, solche Flecken nicht wählen zu'lassen, die in offenbarem Verfall seien, die Entziehung des Wahlrechts, welche Cromwell gegen 72 Flecken geübt, habe selbst Claren¬ don gebilligt und bei der Restauration sei jenes Recht nur der Hälfte zurück¬ gegeben ; die jetzt bestehende Anzahl der Wahlkörper könne daher nicht unan¬ tastbar sein. Pitt schlug daher vor, 36 Flecken das Wahlrecht zu entziehen und die 72 Mitglieder, welche sie entsandten, auf die Grafschaften und Lon¬ don zu vertheilen, ebenso das Recht von 10 städtischen Corporationen auf die Bürgerschaft zu übertragen, auch sollten in den Grafschaften neben den Frei¬ sassen die Erbpächter das Wahlrecht erhalten. Die schwache Seite dieses Planes war, daß Pitt, um den Widerstand im Parlament zu überwinden, sich dazu hatte verstehen müssen, für die Entziehungen des Wahlrechts eine Entschädigung zu bieten, die er damit begründete, daß die Wahlberechtigung 11*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/97>, abgerufen am 05.02.2025.