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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Dörfer zu nennen, sandten einen Vertreter ins Parlament, der thatsächlich
einfach von den großen Eigenthümern dieser Flecken ernannt ward; so ver¬
fügte der Herzog von Norfolk über 11 Sitze, Lord Lvnsdale über 9, Lord
Darlington über 7 u. f. w. Im I, 1793 saßen 70 Mitglieder für 33 Flecken,
in denen es so gut wie gar keine Wähler gab, 90 Mitglieder vertraten 46
Ortschaften mit weniger als 60 Wählern und 37 Mitglieder wurden von
19 Flecken gesandt, die nicht mehr als 100 Wähler hatten. Fast eben so
fehlerhaft war die Vertretung der Städte; in den meisten sollte nach ge¬
meinem Recht jeder Hausbesitzer das Wahlrecht haben, thatsächlich aber ward
es meist nur von der Corporation, dem Mayor und den Aldermen geübt, in
Bath z. B. von 35, in Salisbury von 66 Personen, in anderen stand das
Wahlrecht Allen zu, welche Schoß bezahlten oder welche Mvallers waren,
d. h. allen denen, die in dem Orte selbst kochten. Es liegt auf der Hand,
daß unter solchen Umständen die Bestechung eine große Rolle spielen mußte;
bei den faulen Flecken wurde das Wahlrecht einfach unverkauft, der Ehr-
geiz der "Nabobs", der Leute, die aus den Colonien mit großem Vermögen
zurückkehrten und nun ins Parlament wollten, trieb die Preise zu enormer
Höhe; der Kampf um Southampton soll 1868 30.000 Pfd. Sterl. gekostet
haben, die Corporationen der Städte verkauften ihre Stimmen meistbietend
und da, wo ein größerer Wahlkörper bestand, bot man der Masse Bier und
Branntwein, wodurch es meist zu den wildesten Pöbelexcessen kam. Die
Wahlmänner der Grafschaften waren zahlreicher, weniger bestechlich und
repräsentirten noch am ersten wirklich die ländliche Bevölkerung; aber sie
standen doch sehr überwiegend unter dem Einfluß der großen Grundherren
und ein Wahlkampf in ihnen ward oft mehr durch die Nebenbuhlerschaft
großer Häuser der verschiedenen Parteien als durch verschiedene Ansichten
veranlaßt. Im Ganzen sollen Anfang dieses Jahrhunderts nicht weniger
als 218 Mitglieder der Burgflecken und Grafschaften durch Ernennung oder
Einfluß von 87 Lords im Unterhaus gesessen haben. -- In Schottland stand
es womöglich noch schlimmer, Edinburgh und Glasgow hatten jedes eine
Wählerschaft von 33 Personen, die gesammten berechtigten Wähler Schott¬
lands beliefen sich auf kaum 4000. Im irischen Parlament, das bis 1801
getrennt bestand, herrschte dasselbe System, welches durch die Gesetze gegen
die Katholiken sich noch gehässiger gestaltete und im Wesentlichen auch nach
der Union mit dem englischen Parlament in Kraft blieb.

Wenn nun gleich in der Wirklichkeit die Sachen sich oft besser machten,
namentlich der Parteikampf der Whigs und Tones mehr Leben in die Ver¬
hältnisse brachte, wie der öftere Umschlag der Wahlen in großen nationalen
Kreisen zeigte, so war doch ein derartiger Zustand zu abnorm, um auf die
Länge unangefochten zu bleiben. Lord Chatham's Scharfblick erkannte, daß


Dörfer zu nennen, sandten einen Vertreter ins Parlament, der thatsächlich
einfach von den großen Eigenthümern dieser Flecken ernannt ward; so ver¬
fügte der Herzog von Norfolk über 11 Sitze, Lord Lvnsdale über 9, Lord
Darlington über 7 u. f. w. Im I, 1793 saßen 70 Mitglieder für 33 Flecken,
in denen es so gut wie gar keine Wähler gab, 90 Mitglieder vertraten 46
Ortschaften mit weniger als 60 Wählern und 37 Mitglieder wurden von
19 Flecken gesandt, die nicht mehr als 100 Wähler hatten. Fast eben so
fehlerhaft war die Vertretung der Städte; in den meisten sollte nach ge¬
meinem Recht jeder Hausbesitzer das Wahlrecht haben, thatsächlich aber ward
es meist nur von der Corporation, dem Mayor und den Aldermen geübt, in
Bath z. B. von 35, in Salisbury von 66 Personen, in anderen stand das
Wahlrecht Allen zu, welche Schoß bezahlten oder welche Mvallers waren,
d. h. allen denen, die in dem Orte selbst kochten. Es liegt auf der Hand,
daß unter solchen Umständen die Bestechung eine große Rolle spielen mußte;
bei den faulen Flecken wurde das Wahlrecht einfach unverkauft, der Ehr-
geiz der „Nabobs", der Leute, die aus den Colonien mit großem Vermögen
zurückkehrten und nun ins Parlament wollten, trieb die Preise zu enormer
Höhe; der Kampf um Southampton soll 1868 30.000 Pfd. Sterl. gekostet
haben, die Corporationen der Städte verkauften ihre Stimmen meistbietend
und da, wo ein größerer Wahlkörper bestand, bot man der Masse Bier und
Branntwein, wodurch es meist zu den wildesten Pöbelexcessen kam. Die
Wahlmänner der Grafschaften waren zahlreicher, weniger bestechlich und
repräsentirten noch am ersten wirklich die ländliche Bevölkerung; aber sie
standen doch sehr überwiegend unter dem Einfluß der großen Grundherren
und ein Wahlkampf in ihnen ward oft mehr durch die Nebenbuhlerschaft
großer Häuser der verschiedenen Parteien als durch verschiedene Ansichten
veranlaßt. Im Ganzen sollen Anfang dieses Jahrhunderts nicht weniger
als 218 Mitglieder der Burgflecken und Grafschaften durch Ernennung oder
Einfluß von 87 Lords im Unterhaus gesessen haben. — In Schottland stand
es womöglich noch schlimmer, Edinburgh und Glasgow hatten jedes eine
Wählerschaft von 33 Personen, die gesammten berechtigten Wähler Schott¬
lands beliefen sich auf kaum 4000. Im irischen Parlament, das bis 1801
getrennt bestand, herrschte dasselbe System, welches durch die Gesetze gegen
die Katholiken sich noch gehässiger gestaltete und im Wesentlichen auch nach
der Union mit dem englischen Parlament in Kraft blieb.

Wenn nun gleich in der Wirklichkeit die Sachen sich oft besser machten,
namentlich der Parteikampf der Whigs und Tones mehr Leben in die Ver¬
hältnisse brachte, wie der öftere Umschlag der Wahlen in großen nationalen
Kreisen zeigte, so war doch ein derartiger Zustand zu abnorm, um auf die
Länge unangefochten zu bleiben. Lord Chatham's Scharfblick erkannte, daß


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[0096] Dörfer zu nennen, sandten einen Vertreter ins Parlament, der thatsächlich einfach von den großen Eigenthümern dieser Flecken ernannt ward; so ver¬ fügte der Herzog von Norfolk über 11 Sitze, Lord Lvnsdale über 9, Lord Darlington über 7 u. f. w. Im I, 1793 saßen 70 Mitglieder für 33 Flecken, in denen es so gut wie gar keine Wähler gab, 90 Mitglieder vertraten 46 Ortschaften mit weniger als 60 Wählern und 37 Mitglieder wurden von 19 Flecken gesandt, die nicht mehr als 100 Wähler hatten. Fast eben so fehlerhaft war die Vertretung der Städte; in den meisten sollte nach ge¬ meinem Recht jeder Hausbesitzer das Wahlrecht haben, thatsächlich aber ward es meist nur von der Corporation, dem Mayor und den Aldermen geübt, in Bath z. B. von 35, in Salisbury von 66 Personen, in anderen stand das Wahlrecht Allen zu, welche Schoß bezahlten oder welche Mvallers waren, d. h. allen denen, die in dem Orte selbst kochten. Es liegt auf der Hand, daß unter solchen Umständen die Bestechung eine große Rolle spielen mußte; bei den faulen Flecken wurde das Wahlrecht einfach unverkauft, der Ehr- geiz der „Nabobs", der Leute, die aus den Colonien mit großem Vermögen zurückkehrten und nun ins Parlament wollten, trieb die Preise zu enormer Höhe; der Kampf um Southampton soll 1868 30.000 Pfd. Sterl. gekostet haben, die Corporationen der Städte verkauften ihre Stimmen meistbietend und da, wo ein größerer Wahlkörper bestand, bot man der Masse Bier und Branntwein, wodurch es meist zu den wildesten Pöbelexcessen kam. Die Wahlmänner der Grafschaften waren zahlreicher, weniger bestechlich und repräsentirten noch am ersten wirklich die ländliche Bevölkerung; aber sie standen doch sehr überwiegend unter dem Einfluß der großen Grundherren und ein Wahlkampf in ihnen ward oft mehr durch die Nebenbuhlerschaft großer Häuser der verschiedenen Parteien als durch verschiedene Ansichten veranlaßt. Im Ganzen sollen Anfang dieses Jahrhunderts nicht weniger als 218 Mitglieder der Burgflecken und Grafschaften durch Ernennung oder Einfluß von 87 Lords im Unterhaus gesessen haben. — In Schottland stand es womöglich noch schlimmer, Edinburgh und Glasgow hatten jedes eine Wählerschaft von 33 Personen, die gesammten berechtigten Wähler Schott¬ lands beliefen sich auf kaum 4000. Im irischen Parlament, das bis 1801 getrennt bestand, herrschte dasselbe System, welches durch die Gesetze gegen die Katholiken sich noch gehässiger gestaltete und im Wesentlichen auch nach der Union mit dem englischen Parlament in Kraft blieb. Wenn nun gleich in der Wirklichkeit die Sachen sich oft besser machten, namentlich der Parteikampf der Whigs und Tones mehr Leben in die Ver¬ hältnisse brachte, wie der öftere Umschlag der Wahlen in großen nationalen Kreisen zeigte, so war doch ein derartiger Zustand zu abnorm, um auf die Länge unangefochten zu bleiben. Lord Chatham's Scharfblick erkannte, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/96>, abgerufen am 05.02.2025.