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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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königlichen Meinung vom Werth constitutionellen Regiments zusammen
gefallen ist. Das sagt uns ebenso die ängstliche Besorgniß des deutsch¬
östreichischen Liberalismus, wie die Sprache, welche gewisse mit den Regierungs¬
kreisen zusammenhängende Journale über einzelne Glieder des Ministeriums
führen.

Einen schlimmern Stoß hat der politische Credit des Polenthums nicht er-
leiden können, als den, welchen er sich selbst durch seine gegen die östreichische
Verfassung gerichteten Angriffe zugefügt hat. Es scheint, die Smolka, Adam
Sapieha u. s. w. haben der Welt beweisen wollen, daß sie an Urtheilslosig-
keit und Kurzsichtigkeit den Männern an der Weichsel Nichts nachgeben,
welche sich für ihren Aufstand gegen die russische Herrschaft keinen günstigeren
Augenblick zu wählen wußten als den, in welchem zum ersten Mal nach
Decennien ein polnischer Patriot an der Spitze der Administration des König¬
reichs stand. Dieselbe Leichtfertigkeit, mit welcher damals des russischen Kaisers
versöhnliche Absichten und des Marquis Wielopolski wohlgemeinte Rathschläge
verworfen wurden, offenbart sich heute in der Politik des lemberger Land¬
tags und hat, soweit sich bis jetzt beurtheilen läßt, zu durchaus analogen
Folgen geführt: das freisinnige wohlwollende Ministerium, welches ohne
Rücksicht auf die wachsende Verstimmung der Ruthenen und das Grollen
der russischen Nachbarschaft dem in der übrigen Welt proscribirten oder un¬
möglich gewordenen Polenthum eine Freistatt eröffnete, ist ins Schwanken
gebracht, der nationale Statthalter Goluchowski zum Rücktritt gezwungen
worden.

Welche Eventualitäten standen den Polen offen, als sie sich am Bor-
abend des kaiserlichen Besuchs in Galizien zu einer directen Herausforderung
des constitutionellen Oestreich entschlossen?

Wie uns scheint waren nur zwei Möglichkeiten gegeben, mit welcher
die Majorität des lemberger Landtages rechnen konnte: Rückkehr zum Föde-
ralismus oder -- wie sie selbst drohend geltend gemacht haben -- Anschluß
an die transleithanische, ungarische Reichshälfte.

In dem Drängen nach Sprengung der gegenwärtigen östreichischen Ver¬
fassung und dem Bestreben, den Kaiserstaat in eine Anzahl selbständiger Land¬
schaften aufzulösen, begegnen die Polen sich mit den übrigen Slaven der
östreichischen Monarchie, nur daß die Chancen auf Erfüllung ihrer letzten
Wünsche und Hoffnungen dabei in demselben Maße fallen, als diejenigen der
Czechen, Slovenen. Croaten u. a. steigen. In allen westslavischen Ländern geht
die panslavistische Strömung gegenwärtig höher, als jede andere und damit
ist zugleich gesagt, daß die polnischen Hoffnungen mit den Tendenzen der
übrigen Stämme dieser Völkerfamtlie unvereinbar sind. Der Panslavismus
von heute ist nicht mehr das verschwommene, phantastische Ding, das er im


Grenzboten IV. 1368. 10

königlichen Meinung vom Werth constitutionellen Regiments zusammen
gefallen ist. Das sagt uns ebenso die ängstliche Besorgniß des deutsch¬
östreichischen Liberalismus, wie die Sprache, welche gewisse mit den Regierungs¬
kreisen zusammenhängende Journale über einzelne Glieder des Ministeriums
führen.

Einen schlimmern Stoß hat der politische Credit des Polenthums nicht er-
leiden können, als den, welchen er sich selbst durch seine gegen die östreichische
Verfassung gerichteten Angriffe zugefügt hat. Es scheint, die Smolka, Adam
Sapieha u. s. w. haben der Welt beweisen wollen, daß sie an Urtheilslosig-
keit und Kurzsichtigkeit den Männern an der Weichsel Nichts nachgeben,
welche sich für ihren Aufstand gegen die russische Herrschaft keinen günstigeren
Augenblick zu wählen wußten als den, in welchem zum ersten Mal nach
Decennien ein polnischer Patriot an der Spitze der Administration des König¬
reichs stand. Dieselbe Leichtfertigkeit, mit welcher damals des russischen Kaisers
versöhnliche Absichten und des Marquis Wielopolski wohlgemeinte Rathschläge
verworfen wurden, offenbart sich heute in der Politik des lemberger Land¬
tags und hat, soweit sich bis jetzt beurtheilen läßt, zu durchaus analogen
Folgen geführt: das freisinnige wohlwollende Ministerium, welches ohne
Rücksicht auf die wachsende Verstimmung der Ruthenen und das Grollen
der russischen Nachbarschaft dem in der übrigen Welt proscribirten oder un¬
möglich gewordenen Polenthum eine Freistatt eröffnete, ist ins Schwanken
gebracht, der nationale Statthalter Goluchowski zum Rücktritt gezwungen
worden.

Welche Eventualitäten standen den Polen offen, als sie sich am Bor-
abend des kaiserlichen Besuchs in Galizien zu einer directen Herausforderung
des constitutionellen Oestreich entschlossen?

Wie uns scheint waren nur zwei Möglichkeiten gegeben, mit welcher
die Majorität des lemberger Landtages rechnen konnte: Rückkehr zum Föde-
ralismus oder — wie sie selbst drohend geltend gemacht haben — Anschluß
an die transleithanische, ungarische Reichshälfte.

In dem Drängen nach Sprengung der gegenwärtigen östreichischen Ver¬
fassung und dem Bestreben, den Kaiserstaat in eine Anzahl selbständiger Land¬
schaften aufzulösen, begegnen die Polen sich mit den übrigen Slaven der
östreichischen Monarchie, nur daß die Chancen auf Erfüllung ihrer letzten
Wünsche und Hoffnungen dabei in demselben Maße fallen, als diejenigen der
Czechen, Slovenen. Croaten u. a. steigen. In allen westslavischen Ländern geht
die panslavistische Strömung gegenwärtig höher, als jede andere und damit
ist zugleich gesagt, daß die polnischen Hoffnungen mit den Tendenzen der
übrigen Stämme dieser Völkerfamtlie unvereinbar sind. Der Panslavismus
von heute ist nicht mehr das verschwommene, phantastische Ding, das er im


Grenzboten IV. 1368. 10
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[0085] königlichen Meinung vom Werth constitutionellen Regiments zusammen gefallen ist. Das sagt uns ebenso die ängstliche Besorgniß des deutsch¬ östreichischen Liberalismus, wie die Sprache, welche gewisse mit den Regierungs¬ kreisen zusammenhängende Journale über einzelne Glieder des Ministeriums führen. Einen schlimmern Stoß hat der politische Credit des Polenthums nicht er- leiden können, als den, welchen er sich selbst durch seine gegen die östreichische Verfassung gerichteten Angriffe zugefügt hat. Es scheint, die Smolka, Adam Sapieha u. s. w. haben der Welt beweisen wollen, daß sie an Urtheilslosig- keit und Kurzsichtigkeit den Männern an der Weichsel Nichts nachgeben, welche sich für ihren Aufstand gegen die russische Herrschaft keinen günstigeren Augenblick zu wählen wußten als den, in welchem zum ersten Mal nach Decennien ein polnischer Patriot an der Spitze der Administration des König¬ reichs stand. Dieselbe Leichtfertigkeit, mit welcher damals des russischen Kaisers versöhnliche Absichten und des Marquis Wielopolski wohlgemeinte Rathschläge verworfen wurden, offenbart sich heute in der Politik des lemberger Land¬ tags und hat, soweit sich bis jetzt beurtheilen läßt, zu durchaus analogen Folgen geführt: das freisinnige wohlwollende Ministerium, welches ohne Rücksicht auf die wachsende Verstimmung der Ruthenen und das Grollen der russischen Nachbarschaft dem in der übrigen Welt proscribirten oder un¬ möglich gewordenen Polenthum eine Freistatt eröffnete, ist ins Schwanken gebracht, der nationale Statthalter Goluchowski zum Rücktritt gezwungen worden. Welche Eventualitäten standen den Polen offen, als sie sich am Bor- abend des kaiserlichen Besuchs in Galizien zu einer directen Herausforderung des constitutionellen Oestreich entschlossen? Wie uns scheint waren nur zwei Möglichkeiten gegeben, mit welcher die Majorität des lemberger Landtages rechnen konnte: Rückkehr zum Föde- ralismus oder — wie sie selbst drohend geltend gemacht haben — Anschluß an die transleithanische, ungarische Reichshälfte. In dem Drängen nach Sprengung der gegenwärtigen östreichischen Ver¬ fassung und dem Bestreben, den Kaiserstaat in eine Anzahl selbständiger Land¬ schaften aufzulösen, begegnen die Polen sich mit den übrigen Slaven der östreichischen Monarchie, nur daß die Chancen auf Erfüllung ihrer letzten Wünsche und Hoffnungen dabei in demselben Maße fallen, als diejenigen der Czechen, Slovenen. Croaten u. a. steigen. In allen westslavischen Ländern geht die panslavistische Strömung gegenwärtig höher, als jede andere und damit ist zugleich gesagt, daß die polnischen Hoffnungen mit den Tendenzen der übrigen Stämme dieser Völkerfamtlie unvereinbar sind. Der Panslavismus von heute ist nicht mehr das verschwommene, phantastische Ding, das er im Grenzboten IV. 1368. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/85>, abgerufen am 05.02.2025.