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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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I. 1848 war und für das ihn noch zehn Jahre später der Marquis Wielo-
polski zu nehmen schien, als er eine russisch-polnische Föderation gegen das
nach Osten vordringende Germanenthum empfahl. Seit den letzten Jahren
steht die Bewegung in der slavischen Welt so direct unter russischen Ein¬
flüssen, daß die Begriffe Panslavist und Anhänger Rußlands nahezu' identisch
geworden sind. Das Polenthum aber ist die directe Verneinung der pansla-
vistischen Idee. Weder wollen die Polen etwas von einem Anschluß oder
einer Unterordnung unter das russische Banner wissen, noch sind sie mit
den übrigen Slavenstämmen in der Abneigung gegen die westeuropäische
Civilisation und den schwärmerischen Wünschen für Herstellung einer selb¬
ständigen neuen Cultur einig. Ihr Stolz ist von jeher gewesen, das Boll¬
werk des Abendlandes gegen den Osten gebildet zu haben und der Anspruch,
welchen sie auf Wiederherstellung der königlichen Republik erheben, gründet
sich vornehmlich auf ihre Verdienste um die Sache der westeuropäischen Civi¬
lisation. Ihre entschiedensten Gegner sind darum auch nicht die russischen
Gouvernementalen, sondern die Anhänger panslavistlsch-nationaler Politik,
welche in Moskau ihren Sitz haben und in den Lenden die Störenfriede der
slavischen Einigkeit verfolgen. Diese sind es, welche von den Westslaven
immer wieder eine Unterstützung der Ruthenen gegen die galizischen Polen
als Unterpfand künftigen Zusammengehens fordern.

Was hat das Polenthum unter solchen Umständen mit den übrigen
slavischen Föderalisten der östreichischen Monarchie gemein, was hat es von
einem Siege derselben zu erwarten? Absolut Nichts. numerisch schwächer
als die übrigen Stämme, von ihnen durch ihre leidenschaftlichen Antipathien
gegen Rußland geschieden, bei ihnen durch ihre Händel mit den galizischen
Ruthenen übel renommirt, haben die Polen von dem Siege des slavischen Ele¬
ments in Oestreich Nichts zu erwarten: sie bekommen nur noch in den Kauf,
was ihnen im Kaiserstaat bisher erspart blieb: den Haß des wirklich herr¬
schenden und maßgebenden Elements, der Deutschen. Der Deutschöstreicher
sieht im Föderalismus den gefährlichsten Feind zugleich seiner Freiheit und
Bildung und seiner Nationalität, er weiß aus alter und neuer Erfahrung,
daß dieses System sich nur auf ein Bündniß des Slaventhums mit Feudalen
und Clericalen stützen kann, daß der Verlust seiner nationalen Präponderanz
zusammenfällt mit dem Einsturz gebildeter und freiheitlicher Staatsformen.
Auf deutsche Bundesgenossenschaft haben die Polen mithin nicht zu rechnen,
wenn sie sich nach Herstellung des föderalistischen Systems im Kampf mit den
differirenden Interessen der übrigen slavischen Stämme behaupten wollen --
die Gefahr, auf Unkosten ihrer liebsten Wünsche majorisirt und ihrem nume¬
risch stärkeren, von Rußland eifrig patromsirten Feinde im eigenen Land, dem
Ruthenenthum, geopfert zu werden, ist in einem von slavischen Einflüssen


I. 1848 war und für das ihn noch zehn Jahre später der Marquis Wielo-
polski zu nehmen schien, als er eine russisch-polnische Föderation gegen das
nach Osten vordringende Germanenthum empfahl. Seit den letzten Jahren
steht die Bewegung in der slavischen Welt so direct unter russischen Ein¬
flüssen, daß die Begriffe Panslavist und Anhänger Rußlands nahezu' identisch
geworden sind. Das Polenthum aber ist die directe Verneinung der pansla-
vistischen Idee. Weder wollen die Polen etwas von einem Anschluß oder
einer Unterordnung unter das russische Banner wissen, noch sind sie mit
den übrigen Slavenstämmen in der Abneigung gegen die westeuropäische
Civilisation und den schwärmerischen Wünschen für Herstellung einer selb¬
ständigen neuen Cultur einig. Ihr Stolz ist von jeher gewesen, das Boll¬
werk des Abendlandes gegen den Osten gebildet zu haben und der Anspruch,
welchen sie auf Wiederherstellung der königlichen Republik erheben, gründet
sich vornehmlich auf ihre Verdienste um die Sache der westeuropäischen Civi¬
lisation. Ihre entschiedensten Gegner sind darum auch nicht die russischen
Gouvernementalen, sondern die Anhänger panslavistlsch-nationaler Politik,
welche in Moskau ihren Sitz haben und in den Lenden die Störenfriede der
slavischen Einigkeit verfolgen. Diese sind es, welche von den Westslaven
immer wieder eine Unterstützung der Ruthenen gegen die galizischen Polen
als Unterpfand künftigen Zusammengehens fordern.

Was hat das Polenthum unter solchen Umständen mit den übrigen
slavischen Föderalisten der östreichischen Monarchie gemein, was hat es von
einem Siege derselben zu erwarten? Absolut Nichts. numerisch schwächer
als die übrigen Stämme, von ihnen durch ihre leidenschaftlichen Antipathien
gegen Rußland geschieden, bei ihnen durch ihre Händel mit den galizischen
Ruthenen übel renommirt, haben die Polen von dem Siege des slavischen Ele¬
ments in Oestreich Nichts zu erwarten: sie bekommen nur noch in den Kauf,
was ihnen im Kaiserstaat bisher erspart blieb: den Haß des wirklich herr¬
schenden und maßgebenden Elements, der Deutschen. Der Deutschöstreicher
sieht im Föderalismus den gefährlichsten Feind zugleich seiner Freiheit und
Bildung und seiner Nationalität, er weiß aus alter und neuer Erfahrung,
daß dieses System sich nur auf ein Bündniß des Slaventhums mit Feudalen
und Clericalen stützen kann, daß der Verlust seiner nationalen Präponderanz
zusammenfällt mit dem Einsturz gebildeter und freiheitlicher Staatsformen.
Auf deutsche Bundesgenossenschaft haben die Polen mithin nicht zu rechnen,
wenn sie sich nach Herstellung des föderalistischen Systems im Kampf mit den
differirenden Interessen der übrigen slavischen Stämme behaupten wollen —
die Gefahr, auf Unkosten ihrer liebsten Wünsche majorisirt und ihrem nume¬
risch stärkeren, von Rußland eifrig patromsirten Feinde im eigenen Land, dem
Ruthenenthum, geopfert zu werden, ist in einem von slavischen Einflüssen


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[0086] I. 1848 war und für das ihn noch zehn Jahre später der Marquis Wielo- polski zu nehmen schien, als er eine russisch-polnische Föderation gegen das nach Osten vordringende Germanenthum empfahl. Seit den letzten Jahren steht die Bewegung in der slavischen Welt so direct unter russischen Ein¬ flüssen, daß die Begriffe Panslavist und Anhänger Rußlands nahezu' identisch geworden sind. Das Polenthum aber ist die directe Verneinung der pansla- vistischen Idee. Weder wollen die Polen etwas von einem Anschluß oder einer Unterordnung unter das russische Banner wissen, noch sind sie mit den übrigen Slavenstämmen in der Abneigung gegen die westeuropäische Civilisation und den schwärmerischen Wünschen für Herstellung einer selb¬ ständigen neuen Cultur einig. Ihr Stolz ist von jeher gewesen, das Boll¬ werk des Abendlandes gegen den Osten gebildet zu haben und der Anspruch, welchen sie auf Wiederherstellung der königlichen Republik erheben, gründet sich vornehmlich auf ihre Verdienste um die Sache der westeuropäischen Civi¬ lisation. Ihre entschiedensten Gegner sind darum auch nicht die russischen Gouvernementalen, sondern die Anhänger panslavistlsch-nationaler Politik, welche in Moskau ihren Sitz haben und in den Lenden die Störenfriede der slavischen Einigkeit verfolgen. Diese sind es, welche von den Westslaven immer wieder eine Unterstützung der Ruthenen gegen die galizischen Polen als Unterpfand künftigen Zusammengehens fordern. Was hat das Polenthum unter solchen Umständen mit den übrigen slavischen Föderalisten der östreichischen Monarchie gemein, was hat es von einem Siege derselben zu erwarten? Absolut Nichts. numerisch schwächer als die übrigen Stämme, von ihnen durch ihre leidenschaftlichen Antipathien gegen Rußland geschieden, bei ihnen durch ihre Händel mit den galizischen Ruthenen übel renommirt, haben die Polen von dem Siege des slavischen Ele¬ ments in Oestreich Nichts zu erwarten: sie bekommen nur noch in den Kauf, was ihnen im Kaiserstaat bisher erspart blieb: den Haß des wirklich herr¬ schenden und maßgebenden Elements, der Deutschen. Der Deutschöstreicher sieht im Föderalismus den gefährlichsten Feind zugleich seiner Freiheit und Bildung und seiner Nationalität, er weiß aus alter und neuer Erfahrung, daß dieses System sich nur auf ein Bündniß des Slaventhums mit Feudalen und Clericalen stützen kann, daß der Verlust seiner nationalen Präponderanz zusammenfällt mit dem Einsturz gebildeter und freiheitlicher Staatsformen. Auf deutsche Bundesgenossenschaft haben die Polen mithin nicht zu rechnen, wenn sie sich nach Herstellung des föderalistischen Systems im Kampf mit den differirenden Interessen der übrigen slavischen Stämme behaupten wollen — die Gefahr, auf Unkosten ihrer liebsten Wünsche majorisirt und ihrem nume¬ risch stärkeren, von Rußland eifrig patromsirten Feinde im eigenen Land, dem Ruthenenthum, geopfert zu werden, ist in einem von slavischen Einflüssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/86>, abgerufen am 05.02.2025.