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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Strikes nun gar erfolglos, so ist der Verlust ohne alle Compensation. So
kündigten die Schneider im vorigen Sommer in Masse, die Unternehmer
ließen sich aber nicht einschüchtern, ließen viele auswärtige Arbeiter kommen
und wußten dieselben vor den Verfolgungen der Unionisten zu schützen, die
nach viermonatlichem Feiern und nachdem sie ihre sämmtlichen Fonds aufge¬
zehrt, wieder zum früheren Satz zu arbeiten sich bequemen mußten. Im letzten
Winter sahen einige große Schiffsbauer in London sich wegen schlechter Con-
juncturen genöthigt, den Lohn von 6 auf 5 Shilling pro Tag herabzusetzen;
die Arbeiter wollten sich das nicht gefallen lassen und kündigten: nachdem
der Strike einige Zeit gedauert, boten die Unternehmer 6 Sh. 6 P. und be¬
wiesen den Delegirten der Union, daß sie dabei positiven Schaden haben
würden und das Anerbieten nur machten, um sich die Arbeiter zu erhalten.
Die Unionisten lehnten aber ab, weniger als 6 Shill. zu nehmen, faullenzten,
ließen sich durch die gemeinsame Casse erhalten, so lange etwas darin war,
und verlangten dann Armenunterstützung.

Alles das sind Symptome eines durch und durch ungesunden Zustandes
und es fragt sich: was kann geschehen um ihn zu bessern?

Zunächst wird keine Rede davon sein können, die Arbeiterinnungen zu
verbieten oder die alten Regressivgesetze wieder einzuführen, -- im Gegentheil,
man muß die Hindernisse, welche der gesetzmäßigen Wirksamkeit der Unions
noch entgegenstehen, beseitigen, ihnen freien Spielraum geben, so lange sie
nicht die Freiheit Anderer schädigen, sie aber dasür auch unter die Controle
voller Oeffentlichkeit stellen. Sie sind bisher nur als krienäl^ Societies be¬
trachtet worden d. h. als Vereine für gegenseitige Unterstützung in Krankheits-,
Alter- und Sterbefällen, eine Thätigkeit, mit der sie sich allerdings auch be¬
fassen, die aber sehr zurücktritt gegen die der Lohngarantie. Die Innungen
müßten auch in letzterer Eigenschaft anerkannt werden und ihnen dieselbe
Macht über ihre eigenen Mitglieder gegeben werden, wie jeder anderen frei¬
willigen Vereinigung, d. h. sie müßten berechtigt sein, ihre Mitglieder zur
Erfüllung der von der Genossenschaft selbst aufgestellten Vorschriften zu
nöthigen, soweit letztere die Natur eines Contractes haben. In diesen
Grenzen mögen die Arbeiter volle Freiheit haben, mit den Unternehmern
zu unterhandeln, Höhe des Lohns und Zeit der Arbeit zu bestimmen, die
sie innehalten wollen. Mehr aber können sie nicht verlangen; sie müssen
darauf verzichten, irgend welchen Zwang auf Nichtunionisten zu üben und
dürfen ebensowenig Unionisten nöthigen, wider ihren Willen in der Innung
zu bleiben. Neuer gesetzlicher Vorschriften wird es dazu, nur insofern be¬
dürfen, als die Strafen zu schärfen Mren. Die verübten Gräuel beweisen,
wie elend die Sicherheitspolizei gehandhabt ist und daß die Gerichte die Sache
zu leicht genommen; jeder, auch der leiseste Versuch einer Einschüchterung muß


Strikes nun gar erfolglos, so ist der Verlust ohne alle Compensation. So
kündigten die Schneider im vorigen Sommer in Masse, die Unternehmer
ließen sich aber nicht einschüchtern, ließen viele auswärtige Arbeiter kommen
und wußten dieselben vor den Verfolgungen der Unionisten zu schützen, die
nach viermonatlichem Feiern und nachdem sie ihre sämmtlichen Fonds aufge¬
zehrt, wieder zum früheren Satz zu arbeiten sich bequemen mußten. Im letzten
Winter sahen einige große Schiffsbauer in London sich wegen schlechter Con-
juncturen genöthigt, den Lohn von 6 auf 5 Shilling pro Tag herabzusetzen;
die Arbeiter wollten sich das nicht gefallen lassen und kündigten: nachdem
der Strike einige Zeit gedauert, boten die Unternehmer 6 Sh. 6 P. und be¬
wiesen den Delegirten der Union, daß sie dabei positiven Schaden haben
würden und das Anerbieten nur machten, um sich die Arbeiter zu erhalten.
Die Unionisten lehnten aber ab, weniger als 6 Shill. zu nehmen, faullenzten,
ließen sich durch die gemeinsame Casse erhalten, so lange etwas darin war,
und verlangten dann Armenunterstützung.

Alles das sind Symptome eines durch und durch ungesunden Zustandes
und es fragt sich: was kann geschehen um ihn zu bessern?

Zunächst wird keine Rede davon sein können, die Arbeiterinnungen zu
verbieten oder die alten Regressivgesetze wieder einzuführen, — im Gegentheil,
man muß die Hindernisse, welche der gesetzmäßigen Wirksamkeit der Unions
noch entgegenstehen, beseitigen, ihnen freien Spielraum geben, so lange sie
nicht die Freiheit Anderer schädigen, sie aber dasür auch unter die Controle
voller Oeffentlichkeit stellen. Sie sind bisher nur als krienäl^ Societies be¬
trachtet worden d. h. als Vereine für gegenseitige Unterstützung in Krankheits-,
Alter- und Sterbefällen, eine Thätigkeit, mit der sie sich allerdings auch be¬
fassen, die aber sehr zurücktritt gegen die der Lohngarantie. Die Innungen
müßten auch in letzterer Eigenschaft anerkannt werden und ihnen dieselbe
Macht über ihre eigenen Mitglieder gegeben werden, wie jeder anderen frei¬
willigen Vereinigung, d. h. sie müßten berechtigt sein, ihre Mitglieder zur
Erfüllung der von der Genossenschaft selbst aufgestellten Vorschriften zu
nöthigen, soweit letztere die Natur eines Contractes haben. In diesen
Grenzen mögen die Arbeiter volle Freiheit haben, mit den Unternehmern
zu unterhandeln, Höhe des Lohns und Zeit der Arbeit zu bestimmen, die
sie innehalten wollen. Mehr aber können sie nicht verlangen; sie müssen
darauf verzichten, irgend welchen Zwang auf Nichtunionisten zu üben und
dürfen ebensowenig Unionisten nöthigen, wider ihren Willen in der Innung
zu bleiben. Neuer gesetzlicher Vorschriften wird es dazu, nur insofern be¬
dürfen, als die Strafen zu schärfen Mren. Die verübten Gräuel beweisen,
wie elend die Sicherheitspolizei gehandhabt ist und daß die Gerichte die Sache
zu leicht genommen; jeder, auch der leiseste Versuch einer Einschüchterung muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/62>, abgerufen am 05.02.2025.