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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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An all diese Möglichkeiten zu denken, ist freilich jeht noch nicht an der
Zeit; will man aber ein klares Bild unserer wirklichen Situation behalten,
so dürfen sie nicht außer Augen gesetzt werden -- auch nicht bei Beurtheilung
jener Fragen der inneren Politik, welche so sehr im Vordergrunde der öffent¬
lichen Aufmerksamkeit stehen, daß sie und nicht unsere Beziehungen zum Aus¬
lande die Kriterien für die Parteinahme und die Gesinnungsgenossenschaft in
Deutschland bilden. Der andere Grund, aus welchem die Bedeutung, welche
der türkisch-griechische Conflict für unsere Zukunft hat, häufig genug über¬
sehen wird, ist die Gewöhnung daran, immer nur nach Frankreichs augen¬
blicklichen Stimmungen und Absichten zu fragen. Diese gelten seit der Er¬
nennung Lavalette's zum Nachfolger des Marquis de Moustter für besonders
friedliche -- nicht sowohl, weil Herr v. Lavalette an und für sich eine Friedens¬
garantie bietet, als weil die Befürchtungen vor der Reactivirung Drouyn's
de Lhuys unerfüllt geblieben sind. An Lavalette's Namen knüpfen sich sogar
Hoffnungen auf eine friedliche Haltung Frankreichs in der orientalischen
Frage, da dieser Staatsmann sich im Februar 1853 abberufen ließ, um nicht
die Verantwortung für einen Bruch mit Rußland auf sich zu laden. An
der gegenwärtigen Beurtheilung Lavalette's haben das Friedensbedürfniß und
der Optimismus offenbar einen bedeutenden Antheil: wie die französische Re¬
gierung es fertig bringen will, auf dem gegenwärtig beschrittenen Wege der
Repressiv" im Innern Frieden zu behalten und zugleich mit Preußen und
Rußland auf gutem Fuß zu bleiben, ist aber um so schwerer abzusehen, als die
Griechen sich eigentlich schon um die Möglichkeit des Nachgebens gegen die
Pforte gebracht haben. -- Was Frankreichs Beziehungen zu uns anlangt, so
werden die Leser der vielbesprochenen Mediationsartikel des Journal des
Debats sich der Empfindung kaum erwehren können, daß dieselben auf ein
Ultimatum gestellt sind, dessen Einhaltung beiden Theilen gleich schwerfällt.
Der Preis, um den die Debats den europäischen Frieden gewahrt glauben,
kann unsererseits nicht gezahlt werden, und die Franzosen glauben bereits
eine Concession zumachen, wenn sie sich die Auslegung des prager Friedens
dauernd gefallen lassen, welche die Basis unserer gegenwärtigen Beziehungen
zum Süden bildet. Freilich wenn man keine anderen politischen Barometer
zur Hand nimmt, als die Aeußerungen der officiösen Journale von Paris
und Berlin, fo steht Alles zum Besten. Man braucht aber nur nach Wien
hinüber zu sehen, um andere Eindrücke zu erhalten -- und unserer Meinung
nach ist kein Grund vorhanden, aus welchem der frühere Zusammenhang
zwischen wiener und pariser Stimmungen gegenwärtig nicht mehr bestehen
sollte. Nahm man noch vor Kurzem an, daß die pariser Lärmtrompeten
immer zugleich im eigenen Namen und in dem der wiener Regierung er¬
klangen, so ist nicht abzusehen, warum nicht gegenwärtig die Rollen ge¬
tauscht sein sollten. Sind doch die Regisseure unverändert dieselben geblieben.
Aber diese Erwägungen, in denen man sich zwei Jahrelang bis zum Ueber-
druß erging und deren Nichtberückstchtigung für ein Zeichen des gröbsten
Dilettantismus galt, sind jetzt zurückgestellt und die Conjecturalpolitiker haben
die Friedenssicherheit plötzlich zur Bedingung jeder Art politischer Zurech-


An all diese Möglichkeiten zu denken, ist freilich jeht noch nicht an der
Zeit; will man aber ein klares Bild unserer wirklichen Situation behalten,
so dürfen sie nicht außer Augen gesetzt werden — auch nicht bei Beurtheilung
jener Fragen der inneren Politik, welche so sehr im Vordergrunde der öffent¬
lichen Aufmerksamkeit stehen, daß sie und nicht unsere Beziehungen zum Aus¬
lande die Kriterien für die Parteinahme und die Gesinnungsgenossenschaft in
Deutschland bilden. Der andere Grund, aus welchem die Bedeutung, welche
der türkisch-griechische Conflict für unsere Zukunft hat, häufig genug über¬
sehen wird, ist die Gewöhnung daran, immer nur nach Frankreichs augen¬
blicklichen Stimmungen und Absichten zu fragen. Diese gelten seit der Er¬
nennung Lavalette's zum Nachfolger des Marquis de Moustter für besonders
friedliche — nicht sowohl, weil Herr v. Lavalette an und für sich eine Friedens¬
garantie bietet, als weil die Befürchtungen vor der Reactivirung Drouyn's
de Lhuys unerfüllt geblieben sind. An Lavalette's Namen knüpfen sich sogar
Hoffnungen auf eine friedliche Haltung Frankreichs in der orientalischen
Frage, da dieser Staatsmann sich im Februar 1853 abberufen ließ, um nicht
die Verantwortung für einen Bruch mit Rußland auf sich zu laden. An
der gegenwärtigen Beurtheilung Lavalette's haben das Friedensbedürfniß und
der Optimismus offenbar einen bedeutenden Antheil: wie die französische Re¬
gierung es fertig bringen will, auf dem gegenwärtig beschrittenen Wege der
Repressiv« im Innern Frieden zu behalten und zugleich mit Preußen und
Rußland auf gutem Fuß zu bleiben, ist aber um so schwerer abzusehen, als die
Griechen sich eigentlich schon um die Möglichkeit des Nachgebens gegen die
Pforte gebracht haben. — Was Frankreichs Beziehungen zu uns anlangt, so
werden die Leser der vielbesprochenen Mediationsartikel des Journal des
Debats sich der Empfindung kaum erwehren können, daß dieselben auf ein
Ultimatum gestellt sind, dessen Einhaltung beiden Theilen gleich schwerfällt.
Der Preis, um den die Debats den europäischen Frieden gewahrt glauben,
kann unsererseits nicht gezahlt werden, und die Franzosen glauben bereits
eine Concession zumachen, wenn sie sich die Auslegung des prager Friedens
dauernd gefallen lassen, welche die Basis unserer gegenwärtigen Beziehungen
zum Süden bildet. Freilich wenn man keine anderen politischen Barometer
zur Hand nimmt, als die Aeußerungen der officiösen Journale von Paris
und Berlin, fo steht Alles zum Besten. Man braucht aber nur nach Wien
hinüber zu sehen, um andere Eindrücke zu erhalten — und unserer Meinung
nach ist kein Grund vorhanden, aus welchem der frühere Zusammenhang
zwischen wiener und pariser Stimmungen gegenwärtig nicht mehr bestehen
sollte. Nahm man noch vor Kurzem an, daß die pariser Lärmtrompeten
immer zugleich im eigenen Namen und in dem der wiener Regierung er¬
klangen, so ist nicht abzusehen, warum nicht gegenwärtig die Rollen ge¬
tauscht sein sollten. Sind doch die Regisseure unverändert dieselben geblieben.
Aber diese Erwägungen, in denen man sich zwei Jahrelang bis zum Ueber-
druß erging und deren Nichtberückstchtigung für ein Zeichen des gröbsten
Dilettantismus galt, sind jetzt zurückgestellt und die Conjecturalpolitiker haben
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[0551] An all diese Möglichkeiten zu denken, ist freilich jeht noch nicht an der Zeit; will man aber ein klares Bild unserer wirklichen Situation behalten, so dürfen sie nicht außer Augen gesetzt werden — auch nicht bei Beurtheilung jener Fragen der inneren Politik, welche so sehr im Vordergrunde der öffent¬ lichen Aufmerksamkeit stehen, daß sie und nicht unsere Beziehungen zum Aus¬ lande die Kriterien für die Parteinahme und die Gesinnungsgenossenschaft in Deutschland bilden. Der andere Grund, aus welchem die Bedeutung, welche der türkisch-griechische Conflict für unsere Zukunft hat, häufig genug über¬ sehen wird, ist die Gewöhnung daran, immer nur nach Frankreichs augen¬ blicklichen Stimmungen und Absichten zu fragen. Diese gelten seit der Er¬ nennung Lavalette's zum Nachfolger des Marquis de Moustter für besonders friedliche — nicht sowohl, weil Herr v. Lavalette an und für sich eine Friedens¬ garantie bietet, als weil die Befürchtungen vor der Reactivirung Drouyn's de Lhuys unerfüllt geblieben sind. An Lavalette's Namen knüpfen sich sogar Hoffnungen auf eine friedliche Haltung Frankreichs in der orientalischen Frage, da dieser Staatsmann sich im Februar 1853 abberufen ließ, um nicht die Verantwortung für einen Bruch mit Rußland auf sich zu laden. An der gegenwärtigen Beurtheilung Lavalette's haben das Friedensbedürfniß und der Optimismus offenbar einen bedeutenden Antheil: wie die französische Re¬ gierung es fertig bringen will, auf dem gegenwärtig beschrittenen Wege der Repressiv« im Innern Frieden zu behalten und zugleich mit Preußen und Rußland auf gutem Fuß zu bleiben, ist aber um so schwerer abzusehen, als die Griechen sich eigentlich schon um die Möglichkeit des Nachgebens gegen die Pforte gebracht haben. — Was Frankreichs Beziehungen zu uns anlangt, so werden die Leser der vielbesprochenen Mediationsartikel des Journal des Debats sich der Empfindung kaum erwehren können, daß dieselben auf ein Ultimatum gestellt sind, dessen Einhaltung beiden Theilen gleich schwerfällt. Der Preis, um den die Debats den europäischen Frieden gewahrt glauben, kann unsererseits nicht gezahlt werden, und die Franzosen glauben bereits eine Concession zumachen, wenn sie sich die Auslegung des prager Friedens dauernd gefallen lassen, welche die Basis unserer gegenwärtigen Beziehungen zum Süden bildet. Freilich wenn man keine anderen politischen Barometer zur Hand nimmt, als die Aeußerungen der officiösen Journale von Paris und Berlin, fo steht Alles zum Besten. Man braucht aber nur nach Wien hinüber zu sehen, um andere Eindrücke zu erhalten — und unserer Meinung nach ist kein Grund vorhanden, aus welchem der frühere Zusammenhang zwischen wiener und pariser Stimmungen gegenwärtig nicht mehr bestehen sollte. Nahm man noch vor Kurzem an, daß die pariser Lärmtrompeten immer zugleich im eigenen Namen und in dem der wiener Regierung er¬ klangen, so ist nicht abzusehen, warum nicht gegenwärtig die Rollen ge¬ tauscht sein sollten. Sind doch die Regisseure unverändert dieselben geblieben. Aber diese Erwägungen, in denen man sich zwei Jahrelang bis zum Ueber- druß erging und deren Nichtberückstchtigung für ein Zeichen des gröbsten Dilettantismus galt, sind jetzt zurückgestellt und die Conjecturalpolitiker haben die Friedenssicherheit plötzlich zur Bedingung jeder Art politischer Zurech-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/551>, abgerufen am 05.02.2025.