Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.hetzt, England auf die Seite der Türkei gebracht und dadurch Preußen ge¬ Entsprechend dieser Verschiedenheit in der Auffassung des türkisch-griechi¬ Wie die Dinge wirklich stehen und ob die Kriegsgefahr drohend ist, hetzt, England auf die Seite der Türkei gebracht und dadurch Preußen ge¬ Entsprechend dieser Verschiedenheit in der Auffassung des türkisch-griechi¬ Wie die Dinge wirklich stehen und ob die Kriegsgefahr drohend ist, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287822"/> <p xml:id="ID_1390" prev="#ID_1389"> hetzt, England auf die Seite der Türkei gebracht und dadurch Preußen ge¬<lb/> nöthigt hat, die bekannte Schwenkung in der rumänischen Frage vorzunehmen<lb/> und dadurch die Pforte zu degagiren. Noch weiter gehen die Organe der<lb/> national-russischen Partei: nicht Oestreich — Preußen ist an d'em Conflict<lb/> zwischen Türken und Griechen Schuld; Graf Bismarck hat diesen Handel an¬<lb/> gestiftet, um Frankreich abzulenken, nachdem ihm die Erreichung dieses Zwecks<lb/> weder in Spanien, noch in Rumänien, noch in der Bulgarei gelungen war.<lb/> An diese in heftigster Weise vorgebrachte Anschuldigung knüpft sich dann die<lb/> erneute Forderung, die Situation richtig zu benutzen, dem isolirten Frank¬<lb/> reich die Hand zu bieten und über Preußens Kopf hinweg mit Napoleon III.<lb/> ein Bündniß zu schließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1391"> Entsprechend dieser Verschiedenheit in der Auffassung des türkisch-griechi¬<lb/> schen Conflicts stehen sich auch die Meinungen der verschiedenen Cabinette<lb/> über die gegenwärtige Lage in Rumänien ziemlich unvermittelt gegenüber.<lb/> Während man in Berlin der Ansicht ist, das Ministerium Ghika-Golit-<lb/> scheano habe in ruhige und friedliche Bahnen gelenkt, während die Russen<lb/> darüber klagen, daß Rumänien sich vollständig der Pforte gefügt und dieser<lb/> dadurch freie Hand gegeben habe, bleiben die wiener Officiösen dabei, daß<lb/> Bratiano nach wie vor die Seele der Negierung bilde, daß nur die Namen<lb/> gewechselt hätten und daß das bukarester Cavinet nach wie vor den Frieden des<lb/> Welttheils gefährde. Auch in Paris scheint man über die rumänische „Gefahr"<lb/> keineswegs ganz beruhigt zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1392"> Wie die Dinge wirklich stehen und ob die Kriegsgefahr drohend ist,<lb/> wird schwerlich irgend Jemand wissen; alle Conjecturen darüber sind vergeb¬<lb/> lich. Aber auch ohne Kenntniß der wahren Sachlage und blos auf Grund<lb/> dessen, was die officiösen Organe der verschiedenen Staaten für ihre Meinung<lb/> ausgeben, läßt sich behaupten, daß der Ausbruch eines wirklichen Conflicts<lb/> zwischen Freunden und Feinden der Pforte im gegenwärtigen Augenblick für<lb/> uns eine Verlegenheit wäre. Preußen müßte seine Partie nehmen, ohne vor¬<lb/> aus berechnen zu können, wie weit es gehen will — selbst der Einsatz und<lb/> Gewinn, auf den für den Fall einer neuen Blutarbeit an der orientalischen<lb/> Frage für uns zu rechnen wäre, ist ein schwankender. Kommt es zu einem<lb/> wirklichen Zusammenstoß, so steht Preußen nicht nur zwischen Nußland und<lb/> Frankreich, sondern zugleich zwischen Rußland und England. Eine Ver¬<lb/> ständigung zwischen Napoleon III. und dem großen Slavenstaat ist an und<lb/> für sich unwahrscheinlich, doch aber nicht unmöglich — sicher ist nur, daß<lb/> diese Verständigung auf Unkosten Preußens erfolgen würde. Bleibt es bei<lb/> einem Zusammengehen des berliner Cabinets mit Petersburg, so muß Preußen<lb/> sich soweit engagiren, daß seine guten Beziehungen zu England für die Dauer<lb/> nicht mehr haltbar bleiben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0550]
hetzt, England auf die Seite der Türkei gebracht und dadurch Preußen ge¬
nöthigt hat, die bekannte Schwenkung in der rumänischen Frage vorzunehmen
und dadurch die Pforte zu degagiren. Noch weiter gehen die Organe der
national-russischen Partei: nicht Oestreich — Preußen ist an d'em Conflict
zwischen Türken und Griechen Schuld; Graf Bismarck hat diesen Handel an¬
gestiftet, um Frankreich abzulenken, nachdem ihm die Erreichung dieses Zwecks
weder in Spanien, noch in Rumänien, noch in der Bulgarei gelungen war.
An diese in heftigster Weise vorgebrachte Anschuldigung knüpft sich dann die
erneute Forderung, die Situation richtig zu benutzen, dem isolirten Frank¬
reich die Hand zu bieten und über Preußens Kopf hinweg mit Napoleon III.
ein Bündniß zu schließen.
Entsprechend dieser Verschiedenheit in der Auffassung des türkisch-griechi¬
schen Conflicts stehen sich auch die Meinungen der verschiedenen Cabinette
über die gegenwärtige Lage in Rumänien ziemlich unvermittelt gegenüber.
Während man in Berlin der Ansicht ist, das Ministerium Ghika-Golit-
scheano habe in ruhige und friedliche Bahnen gelenkt, während die Russen
darüber klagen, daß Rumänien sich vollständig der Pforte gefügt und dieser
dadurch freie Hand gegeben habe, bleiben die wiener Officiösen dabei, daß
Bratiano nach wie vor die Seele der Negierung bilde, daß nur die Namen
gewechselt hätten und daß das bukarester Cavinet nach wie vor den Frieden des
Welttheils gefährde. Auch in Paris scheint man über die rumänische „Gefahr"
keineswegs ganz beruhigt zu sein.
Wie die Dinge wirklich stehen und ob die Kriegsgefahr drohend ist,
wird schwerlich irgend Jemand wissen; alle Conjecturen darüber sind vergeb¬
lich. Aber auch ohne Kenntniß der wahren Sachlage und blos auf Grund
dessen, was die officiösen Organe der verschiedenen Staaten für ihre Meinung
ausgeben, läßt sich behaupten, daß der Ausbruch eines wirklichen Conflicts
zwischen Freunden und Feinden der Pforte im gegenwärtigen Augenblick für
uns eine Verlegenheit wäre. Preußen müßte seine Partie nehmen, ohne vor¬
aus berechnen zu können, wie weit es gehen will — selbst der Einsatz und
Gewinn, auf den für den Fall einer neuen Blutarbeit an der orientalischen
Frage für uns zu rechnen wäre, ist ein schwankender. Kommt es zu einem
wirklichen Zusammenstoß, so steht Preußen nicht nur zwischen Nußland und
Frankreich, sondern zugleich zwischen Rußland und England. Eine Ver¬
ständigung zwischen Napoleon III. und dem großen Slavenstaat ist an und
für sich unwahrscheinlich, doch aber nicht unmöglich — sicher ist nur, daß
diese Verständigung auf Unkosten Preußens erfolgen würde. Bleibt es bei
einem Zusammengehen des berliner Cabinets mit Petersburg, so muß Preußen
sich soweit engagiren, daß seine guten Beziehungen zu England für die Dauer
nicht mehr haltbar bleiben.
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