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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Was zunächst den türkisch - griechischen Conflict anlangt, so steht über
denselben nur fest, daß er mit dem Sturz des Ministeriums Bratiano in Ver¬
bindung steht und daß die Pforte erst seit sie an der Donau degagirt wor¬
den die. Möglichkett gehabt hat, energisch gegen Griechenland, als den intel.
lectuellen Urheber der Fortdauer des Candiotenaufstandes vorzugehen. Im
Uebrigen wissen wir nur, was über die Dinge gesagt wird, nicht wie es
wirklich um dieselben bestellt ist. Die Journale Frankreichs und Englands
begnügen sich damit die Haltung des griechischen Cabinets zu tadeln, lassen
aber völlig unerörtert, daß dasselbe unter dem Druck einer nationalen Agi¬
tation steht, die der jungen Dynastie leicht über den Kopf wachsen kann,
wenn sie sich den Volkswünschen unzugänglich erweist. In Wien bemüht man
sich das neue rumänische Cabinet für ebenso friedensgefährlich auszugeben wie
das frühere und die hohe Pforte in den Anläufen zu einer energischen
Haltung nach Kräften zu unterstützen; die offieiöse preußischePresse wälzt dagegen
die Hauptverantwortung, für die Friedensstörungen im Orient auf den zum
Grafen ernannten Reichskanzler von Beust -- nur darin sind die Organe
der verschiedenen Länder und Farben einig, daß die europäischen Großmächte
allesammt bemüht seien, einen Ausgleich zwischen dem Divan und dem Mi¬
nisterium Bulgaris herbeizuführen. Daß auch Rußland an diesen Bestre¬
bungen Theil nehme und die griechische Nachgiebigkeit ebenso lebhaft wünsche,
wie irgend einer der anderen betheiligten Staaten, ist bis jetzt von Niemanden
in Zweifel gezogen worden, obgleich die russische Presse eine von der west¬
europäischen wesentlich verschiedene Sprache spricht. Auch der Invalide hofft
auf die Möglichkeit einer Verständigung, aber er erklärt zugleich, daß die
türkischen Forderungen nur sehr theilweise zu erfüllen seien; seiner Meinung
nach ist der Vorwurf einer Unterstützung des Candiotenaufstandes durch den
griechischen Staat oder die griechische Regierung vollständig unbegründet --die
griechische Gesellschaft habe es nicht über sich gewinnen können,die unter dem
Joch der barbarischen Muselmänner schmachtenden Brüder ohne Weiteres
Preis zu geben, und die Regierung könne sie an der Bethätigung dieser
löblichen Empfindungen nicht verhindern, ohne die Verfassung und nament¬
lich das verfassungsmäßige Coalitionsrecht zu verletzen. Wenn hinterher ver¬
sichert wird, Griechenland könne immerhin im Einzelnen nachgeben, z. B.
der Rückkehr der geflüchteten Candioten in ihre Heimath keine Hindernisse in
den Weg legen, so will das Nichts sagen: daß die Türkei sich mit der Er¬
füllung dieser einen Forderung nicht begnügen kann, nachdem sie in ihrem
Ultimatum Garantien gegen jede fernere Unterstützung der Aufständischen
verlangte, liegt auf der flachen Hand. Gegenstand des Unwillens und Störer
des orientalischen Friedens ist in den Augen des russischen ofstciösen Blattes
überhaupt nicht Griechenland, sondern Oestreich, welches die Pforte aufge-


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Was zunächst den türkisch - griechischen Conflict anlangt, so steht über
denselben nur fest, daß er mit dem Sturz des Ministeriums Bratiano in Ver¬
bindung steht und daß die Pforte erst seit sie an der Donau degagirt wor¬
den die. Möglichkett gehabt hat, energisch gegen Griechenland, als den intel.
lectuellen Urheber der Fortdauer des Candiotenaufstandes vorzugehen. Im
Uebrigen wissen wir nur, was über die Dinge gesagt wird, nicht wie es
wirklich um dieselben bestellt ist. Die Journale Frankreichs und Englands
begnügen sich damit die Haltung des griechischen Cabinets zu tadeln, lassen
aber völlig unerörtert, daß dasselbe unter dem Druck einer nationalen Agi¬
tation steht, die der jungen Dynastie leicht über den Kopf wachsen kann,
wenn sie sich den Volkswünschen unzugänglich erweist. In Wien bemüht man
sich das neue rumänische Cabinet für ebenso friedensgefährlich auszugeben wie
das frühere und die hohe Pforte in den Anläufen zu einer energischen
Haltung nach Kräften zu unterstützen; die offieiöse preußischePresse wälzt dagegen
die Hauptverantwortung, für die Friedensstörungen im Orient auf den zum
Grafen ernannten Reichskanzler von Beust — nur darin sind die Organe
der verschiedenen Länder und Farben einig, daß die europäischen Großmächte
allesammt bemüht seien, einen Ausgleich zwischen dem Divan und dem Mi¬
nisterium Bulgaris herbeizuführen. Daß auch Rußland an diesen Bestre¬
bungen Theil nehme und die griechische Nachgiebigkeit ebenso lebhaft wünsche,
wie irgend einer der anderen betheiligten Staaten, ist bis jetzt von Niemanden
in Zweifel gezogen worden, obgleich die russische Presse eine von der west¬
europäischen wesentlich verschiedene Sprache spricht. Auch der Invalide hofft
auf die Möglichkeit einer Verständigung, aber er erklärt zugleich, daß die
türkischen Forderungen nur sehr theilweise zu erfüllen seien; seiner Meinung
nach ist der Vorwurf einer Unterstützung des Candiotenaufstandes durch den
griechischen Staat oder die griechische Regierung vollständig unbegründet —die
griechische Gesellschaft habe es nicht über sich gewinnen können,die unter dem
Joch der barbarischen Muselmänner schmachtenden Brüder ohne Weiteres
Preis zu geben, und die Regierung könne sie an der Bethätigung dieser
löblichen Empfindungen nicht verhindern, ohne die Verfassung und nament¬
lich das verfassungsmäßige Coalitionsrecht zu verletzen. Wenn hinterher ver¬
sichert wird, Griechenland könne immerhin im Einzelnen nachgeben, z. B.
der Rückkehr der geflüchteten Candioten in ihre Heimath keine Hindernisse in
den Weg legen, so will das Nichts sagen: daß die Türkei sich mit der Er¬
füllung dieser einen Forderung nicht begnügen kann, nachdem sie in ihrem
Ultimatum Garantien gegen jede fernere Unterstützung der Aufständischen
verlangte, liegt auf der flachen Hand. Gegenstand des Unwillens und Störer
des orientalischen Friedens ist in den Augen des russischen ofstciösen Blattes
überhaupt nicht Griechenland, sondern Oestreich, welches die Pforte aufge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/549>, abgerufen am 05.02.2025.