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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Beseitigung aller Verkehrshindernisse dort erfüllt werden, sowohl durch die
rationelle Förderung der Fluß- Canal- und Küstenschiffahrt wie durch die
billigsten Frachtsätze der vielen Eisenbahnen.

Nächst den Wasserwegen sind es die Eisenbahnen, welche die wohlfeilste
Fracht gestatten oder doch gestatten könnten. Leider aber sind die Fracht¬
sätze der Eisenbahnen noch so hoch, daß die Verfrachtung von Roherzeug¬
nissen der Landwirthschaft nur auf sehr kleinen oder sehr großen Entfernungen
vortheilhaft ist. Die Eisenbahngesellschaften begünstigen in ganz ungerecht¬
fertigter Weise die großen Entfernungen durch , niedere Frachtsätze. Durch
diese Differentialtarife erleidet namentlich die deutsche Landwirthschaft auf den
zum Theil von ihrem Capital erbauten Eisenbahnen den größten Nachtheil.
Die Differentialtarife heben den natürlichen Schutz der Entfernung für den
inländischen Ackerbau auf.

Wir haben oben den bedeutenden Einfluß der Entfernung des Produc-
tionsortes vom Marktorte und die Wichtigkeit der Verkehrsmittel auf die
Rentabilität des Landbaues berührt. Der landwirthschaftliche Betrieb richtet
sich nach der Entfernung vom Markte und nach der Art der Verkehrsmittel.
Die Anlage einer Eisenbahn wird naturgemäß den landwirthschaftlichen Be¬
trieb der zugehörigen Gegenden ändern, weil die Entfernung vom Markte
kürzer wird. Aber alle der Eisenbahn anliegenden und dieselben benutzenden
Landschaften stehen immer in einem gleichen Verhältniß zu einander, solange
der Frachtsatz der Eisenbahn ein naturgemäßer d. h. ein nach der Entfernung
berechneter ist. Dieses natürliche Verhältniß des landwirthschaftlichen Be¬
triebes, welcher stets dem erweiterten Absatzgebiete folgt, wird aber voll¬
ständig verändert, sobald ein für weitere Entfernungen ermäßigter Frachtsatz
dem Hinterkante gestattet, zu denselben Preisen wie die dem Markte näher
gelegenen Landschaften ihre Erzeugnisse abzusetzen. Naturgemäß bilden die
Transportkosten einen Theil der Produktionskosten des Getraides, und zwar
einen um so größeren Theil, je weiter der Productionsort vom Marktorte
entfernt ist. Der Differentialtarif begünstigt nun die Productionskosten ent¬
fernter Landschaften zum Nachtheil der dem Markte näher gelegenen Land¬
schaften. In Folge dieser Tarifbegünstigung wird das Angebot von Ge-
traide aus entfernter gelegenen Landschaften vermehrt; der Preis sinkt und
zwar in weit stärkerem Verhältniß als das Angebot, weil die regelmäßige
Nachfrage nach Brodstoffen sich nur innerhalb einer sehr engen Grenze ver¬
mehren kann und daher niemals einem größeren Angebote zu folgen vermag.

Zu diesen gerechten Klagen der deutschen Landwirthschaft über die Bahn¬
verwaltungen gesellen sich die beklagenswerten Erfahrungen der deutschen
Eisenindustrie, der immer noch die hohen Eisenbahnfrachten hemmend ent¬
gegenstehen. So lange nicht unsere Hütten energisch die Concurrenz mit


Beseitigung aller Verkehrshindernisse dort erfüllt werden, sowohl durch die
rationelle Förderung der Fluß- Canal- und Küstenschiffahrt wie durch die
billigsten Frachtsätze der vielen Eisenbahnen.

Nächst den Wasserwegen sind es die Eisenbahnen, welche die wohlfeilste
Fracht gestatten oder doch gestatten könnten. Leider aber sind die Fracht¬
sätze der Eisenbahnen noch so hoch, daß die Verfrachtung von Roherzeug¬
nissen der Landwirthschaft nur auf sehr kleinen oder sehr großen Entfernungen
vortheilhaft ist. Die Eisenbahngesellschaften begünstigen in ganz ungerecht¬
fertigter Weise die großen Entfernungen durch , niedere Frachtsätze. Durch
diese Differentialtarife erleidet namentlich die deutsche Landwirthschaft auf den
zum Theil von ihrem Capital erbauten Eisenbahnen den größten Nachtheil.
Die Differentialtarife heben den natürlichen Schutz der Entfernung für den
inländischen Ackerbau auf.

Wir haben oben den bedeutenden Einfluß der Entfernung des Produc-
tionsortes vom Marktorte und die Wichtigkeit der Verkehrsmittel auf die
Rentabilität des Landbaues berührt. Der landwirthschaftliche Betrieb richtet
sich nach der Entfernung vom Markte und nach der Art der Verkehrsmittel.
Die Anlage einer Eisenbahn wird naturgemäß den landwirthschaftlichen Be¬
trieb der zugehörigen Gegenden ändern, weil die Entfernung vom Markte
kürzer wird. Aber alle der Eisenbahn anliegenden und dieselben benutzenden
Landschaften stehen immer in einem gleichen Verhältniß zu einander, solange
der Frachtsatz der Eisenbahn ein naturgemäßer d. h. ein nach der Entfernung
berechneter ist. Dieses natürliche Verhältniß des landwirthschaftlichen Be¬
triebes, welcher stets dem erweiterten Absatzgebiete folgt, wird aber voll¬
ständig verändert, sobald ein für weitere Entfernungen ermäßigter Frachtsatz
dem Hinterkante gestattet, zu denselben Preisen wie die dem Markte näher
gelegenen Landschaften ihre Erzeugnisse abzusetzen. Naturgemäß bilden die
Transportkosten einen Theil der Produktionskosten des Getraides, und zwar
einen um so größeren Theil, je weiter der Productionsort vom Marktorte
entfernt ist. Der Differentialtarif begünstigt nun die Productionskosten ent¬
fernter Landschaften zum Nachtheil der dem Markte näher gelegenen Land¬
schaften. In Folge dieser Tarifbegünstigung wird das Angebot von Ge-
traide aus entfernter gelegenen Landschaften vermehrt; der Preis sinkt und
zwar in weit stärkerem Verhältniß als das Angebot, weil die regelmäßige
Nachfrage nach Brodstoffen sich nur innerhalb einer sehr engen Grenze ver¬
mehren kann und daher niemals einem größeren Angebote zu folgen vermag.

Zu diesen gerechten Klagen der deutschen Landwirthschaft über die Bahn¬
verwaltungen gesellen sich die beklagenswerten Erfahrungen der deutschen
Eisenindustrie, der immer noch die hohen Eisenbahnfrachten hemmend ent¬
gegenstehen. So lange nicht unsere Hütten energisch die Concurrenz mit


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[0532] Beseitigung aller Verkehrshindernisse dort erfüllt werden, sowohl durch die rationelle Förderung der Fluß- Canal- und Küstenschiffahrt wie durch die billigsten Frachtsätze der vielen Eisenbahnen. Nächst den Wasserwegen sind es die Eisenbahnen, welche die wohlfeilste Fracht gestatten oder doch gestatten könnten. Leider aber sind die Fracht¬ sätze der Eisenbahnen noch so hoch, daß die Verfrachtung von Roherzeug¬ nissen der Landwirthschaft nur auf sehr kleinen oder sehr großen Entfernungen vortheilhaft ist. Die Eisenbahngesellschaften begünstigen in ganz ungerecht¬ fertigter Weise die großen Entfernungen durch , niedere Frachtsätze. Durch diese Differentialtarife erleidet namentlich die deutsche Landwirthschaft auf den zum Theil von ihrem Capital erbauten Eisenbahnen den größten Nachtheil. Die Differentialtarife heben den natürlichen Schutz der Entfernung für den inländischen Ackerbau auf. Wir haben oben den bedeutenden Einfluß der Entfernung des Produc- tionsortes vom Marktorte und die Wichtigkeit der Verkehrsmittel auf die Rentabilität des Landbaues berührt. Der landwirthschaftliche Betrieb richtet sich nach der Entfernung vom Markte und nach der Art der Verkehrsmittel. Die Anlage einer Eisenbahn wird naturgemäß den landwirthschaftlichen Be¬ trieb der zugehörigen Gegenden ändern, weil die Entfernung vom Markte kürzer wird. Aber alle der Eisenbahn anliegenden und dieselben benutzenden Landschaften stehen immer in einem gleichen Verhältniß zu einander, solange der Frachtsatz der Eisenbahn ein naturgemäßer d. h. ein nach der Entfernung berechneter ist. Dieses natürliche Verhältniß des landwirthschaftlichen Be¬ triebes, welcher stets dem erweiterten Absatzgebiete folgt, wird aber voll¬ ständig verändert, sobald ein für weitere Entfernungen ermäßigter Frachtsatz dem Hinterkante gestattet, zu denselben Preisen wie die dem Markte näher gelegenen Landschaften ihre Erzeugnisse abzusetzen. Naturgemäß bilden die Transportkosten einen Theil der Produktionskosten des Getraides, und zwar einen um so größeren Theil, je weiter der Productionsort vom Marktorte entfernt ist. Der Differentialtarif begünstigt nun die Productionskosten ent¬ fernter Landschaften zum Nachtheil der dem Markte näher gelegenen Land¬ schaften. In Folge dieser Tarifbegünstigung wird das Angebot von Ge- traide aus entfernter gelegenen Landschaften vermehrt; der Preis sinkt und zwar in weit stärkerem Verhältniß als das Angebot, weil die regelmäßige Nachfrage nach Brodstoffen sich nur innerhalb einer sehr engen Grenze ver¬ mehren kann und daher niemals einem größeren Angebote zu folgen vermag. Zu diesen gerechten Klagen der deutschen Landwirthschaft über die Bahn¬ verwaltungen gesellen sich die beklagenswerten Erfahrungen der deutschen Eisenindustrie, der immer noch die hohen Eisenbahnfrachten hemmend ent¬ gegenstehen. So lange nicht unsere Hütten energisch die Concurrenz mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/532>, abgerufen am 06.02.2025.