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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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taktvoll genannt werden konnte -- aber im Ganzen doch einen guten Ein¬
druck machte. Das Hauptgewicht' war auf die Gefährlichkett der hyper¬
orthodoxen Richtung gelegt, welcher der Minister folgte; aber auch der andere
Punkt, die unerträgliche Bevormundung der Communen war nicht uner¬
wähnt geblieben. Herrn v. Muster's Antwort bewies am deutlichsten, daß
der Vorredner nicht wirkungslos gesprochen hatte; der Minister sprach aus¬
führlich, sehr gemäßigt, in entschieden versöhnlicher Absicht. Als seine etwas ein¬
tönige, aber mit formeller Sicherheit gesprochene Antwort beendet war, wandte
er sich wieder den Papieren zu, die vor ihm lagen und seine Aufmerksamkeit
sehr viel lebhafter in Anspruch zu nehmen schienen, als die krampfhaften
Beifallsbemühungen der Rechten und die etwas mesquinen Zischlaute der
Linken -- Laute, welche trotz der tadelnden Bemerkung des Präsidenten
übrigens consequent und von beiden Seiten des Hauses wiederholt wurden,
so oft ein Gegner sprach. Der nächste Redner, Domherr Kürzer, feierte den
Confessionalismus des Ministers und wünschte denselben künftig für die katho¬
lische Kirche fruchtbar gemacht zu sehen -- ein Umstand, der den Angreifern der
gegenwärtigen Cultusverwaltung noch sehr viel mehr zu Gute gekommen wäre,
wenn statt der Rede des Abgeordneten Lent die zweite von Dr. Wantrup ge¬
führte Vertheidigungscolonne sofort ins Treffen geführt worden wäre, um
alle Zweifel darüber auszuschließen, wo die Stützen des Muster'schen Systems
zu suchen seien. Statt dessen trug Herr Lent eine Reihe Bemerkungen über
reichenbacher Gesangbücher und deren Einflüsse auf die Frauen und Töchter
seiner Mitbürger vor, welche zu dem ein Mal angeschlagenen Ton wie die
Faust aufs Auge und überhaupt nicht in eine Versammlung von politischen
Männern paßten; dann sprach der Cultusminister noch ein Mal; die Vertagung
wurde unter dem Eindruck beschlossen, daß ein wirklicher Erfolg noch nicht
erzielt, nicht ein Mal eine Steigerung der Wirkungen herbeigeführt worden
sei, welche Richter's Worte hervorgerufen.

Die Debatte des zweiten Tages wurde durch Herrn Wantrup in einer
Weise eröffnet, die jede Kritik ausschließt. Die einzelnen sachlichen und mit-
unter witzigen Brocken, welche zur Widerlegung der Gegner vorgebracht wurden,
schwammen in einer Brühe platter,' bajazzoartig vorgetragener Späße, die
übrigens nicht nur auf den Galerien belacht wurden; daß der Präsident den
Redner mit einem Ordnungsruf unterbrechen mußte, störte weder diesen noch
den Humor des Publicums. Die Versammlung fand ihre Würde erst wieder,
als der Abgeordnete Wehrenpfennig die Tribüne bestieg und nach einigen
wohlgezielten Sarkasmen auf den scurrilen Vorredner hervorhob, daß das
herrschende System nicht nur die Freiheit der Communen beeinträchtige, ihren
Eifer für das Schulwesen lähme und die neuen Provinzen verbittere, sondern
auch die beiden Hauptconfessionen zu Eifersüchteleien aufstachele, die ihnen selbst


taktvoll genannt werden konnte — aber im Ganzen doch einen guten Ein¬
druck machte. Das Hauptgewicht' war auf die Gefährlichkett der hyper¬
orthodoxen Richtung gelegt, welcher der Minister folgte; aber auch der andere
Punkt, die unerträgliche Bevormundung der Communen war nicht uner¬
wähnt geblieben. Herrn v. Muster's Antwort bewies am deutlichsten, daß
der Vorredner nicht wirkungslos gesprochen hatte; der Minister sprach aus¬
führlich, sehr gemäßigt, in entschieden versöhnlicher Absicht. Als seine etwas ein¬
tönige, aber mit formeller Sicherheit gesprochene Antwort beendet war, wandte
er sich wieder den Papieren zu, die vor ihm lagen und seine Aufmerksamkeit
sehr viel lebhafter in Anspruch zu nehmen schienen, als die krampfhaften
Beifallsbemühungen der Rechten und die etwas mesquinen Zischlaute der
Linken — Laute, welche trotz der tadelnden Bemerkung des Präsidenten
übrigens consequent und von beiden Seiten des Hauses wiederholt wurden,
so oft ein Gegner sprach. Der nächste Redner, Domherr Kürzer, feierte den
Confessionalismus des Ministers und wünschte denselben künftig für die katho¬
lische Kirche fruchtbar gemacht zu sehen — ein Umstand, der den Angreifern der
gegenwärtigen Cultusverwaltung noch sehr viel mehr zu Gute gekommen wäre,
wenn statt der Rede des Abgeordneten Lent die zweite von Dr. Wantrup ge¬
führte Vertheidigungscolonne sofort ins Treffen geführt worden wäre, um
alle Zweifel darüber auszuschließen, wo die Stützen des Muster'schen Systems
zu suchen seien. Statt dessen trug Herr Lent eine Reihe Bemerkungen über
reichenbacher Gesangbücher und deren Einflüsse auf die Frauen und Töchter
seiner Mitbürger vor, welche zu dem ein Mal angeschlagenen Ton wie die
Faust aufs Auge und überhaupt nicht in eine Versammlung von politischen
Männern paßten; dann sprach der Cultusminister noch ein Mal; die Vertagung
wurde unter dem Eindruck beschlossen, daß ein wirklicher Erfolg noch nicht
erzielt, nicht ein Mal eine Steigerung der Wirkungen herbeigeführt worden
sei, welche Richter's Worte hervorgerufen.

Die Debatte des zweiten Tages wurde durch Herrn Wantrup in einer
Weise eröffnet, die jede Kritik ausschließt. Die einzelnen sachlichen und mit-
unter witzigen Brocken, welche zur Widerlegung der Gegner vorgebracht wurden,
schwammen in einer Brühe platter,' bajazzoartig vorgetragener Späße, die
übrigens nicht nur auf den Galerien belacht wurden; daß der Präsident den
Redner mit einem Ordnungsruf unterbrechen mußte, störte weder diesen noch
den Humor des Publicums. Die Versammlung fand ihre Würde erst wieder,
als der Abgeordnete Wehrenpfennig die Tribüne bestieg und nach einigen
wohlgezielten Sarkasmen auf den scurrilen Vorredner hervorhob, daß das
herrschende System nicht nur die Freiheit der Communen beeinträchtige, ihren
Eifer für das Schulwesen lähme und die neuen Provinzen verbittere, sondern
auch die beiden Hauptconfessionen zu Eifersüchteleien aufstachele, die ihnen selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/509>, abgerufen am 05.02.2025.