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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Der kurze Abschnitt über die politische Stellung des Landes, mit welchem
die Thronrede schließt, enthält nichts Neues und Unerwartetes. Er bestätigt
daß die Politik der Regierung unverrückt dieselbe ist, abwartend, zwischen den
Forderungen der Parteien die goldene Mitte haltend. Der deutschen Partei
soll es ohne Zweifel gelten, wenn vor Allem die Selbständigkeit Württembergs
betont wird; der Volkspartei gilt die Stelle von der Pflege der nationalen
Interessen und den Pflichten gegen das weitere Vaterland. Mit anderen
Worten: die Regierung will sich weder zum Anschlusse an den norddeut¬
schen Bund, noch zu undeutschen Experimenten drängen lassen; an dem durch
die Verträge geschaffnen Zustand soll Nichts geändert werden, obwohl die
Verträge selbst bezeichnenderweise nicht erwähnt waren. Es liegt auf der
Hand, daß diese Rede, die unter diesen Umständen gehalten einfach auf das
Nächstliegende sich beschränkt, keine Herausforderung zu einer Adresse und
Adreßdebatte enthält. Ihr knapper Ton scheint einer solchen eher vorzubeugen
und die Abgeordneten an ihre Geschäfte zu verweisen. Auch läge es sür die
Vertretung eines Staats, der sich zu besonders musterhafter Ausbildung des
Constitutionalismus berufen weiß, in der That nahe, mit Vermeidung von
Allotrien an die dringlichen Arbeiten zu gehen. Und der Nutzen einer poli¬
tischen Debatte ist um so weniger einzusehen, als seit den letzten höchst
gründlichen politischen Kämpfen, die in demselben Saale geführt wurden, le¬
diglich keine Wendung, kein nennenswertes Ereigniß eingetreten ist, das der
Begutachtung durch den schwäbischen Areopag bedürfte. Wozu also das
grausame Spiel abermals aufführen?

Allein damit wäre freilich der Demokratie, die durch die Pforte des all¬
gemeinen Stimmrechts in so imponirender Anzahl in die Kammer eingetreten
ist, schlecht gedient. Wenn auch nicht in der Lage der Dinge, so ist doch im
Halbmondsaal selbst eine erhebliche Veränderung vor sich gegangen. Eine
Reihe von Leuten, die bisher nur in Volksversammlungen oder auf Schützen¬
festen Proben ihrer staatsmännischen Fähigkeiten abgelegt hatten, erfreuen sich
nun eines gesetzlichen Maubads und sind nicht gewillt ihr Licht unter die
Tribüne zu stellen. Die Volkspartei der strengen Observanz, von der euro¬
päischen Nuance, ist in der Kammer in solcher Zahl vertreten, daß sie sich
als eigene Partei, gesondert von der alten Linken, constituiren konnte, mit
der sie indessen vorläufig noch mit einer Art von Herablassung als "Ver¬
einigte Linke" gemeinsame Parteiversammlungen hält. Von dem Augen¬
blick nun, da diese neuen Kräfte mit ihren lange aufgesammelten Gefühlen
auf den Brettern erscheinen, hebt offenbar ein neuer Abschnitt der Weltge¬
schichte an. Mitleidwürdig erlischt der Stern von Sadowa und in blut¬
rother Gluth geht über dem erstaunten Europa die Freiheitssonne von Be-


Der kurze Abschnitt über die politische Stellung des Landes, mit welchem
die Thronrede schließt, enthält nichts Neues und Unerwartetes. Er bestätigt
daß die Politik der Regierung unverrückt dieselbe ist, abwartend, zwischen den
Forderungen der Parteien die goldene Mitte haltend. Der deutschen Partei
soll es ohne Zweifel gelten, wenn vor Allem die Selbständigkeit Württembergs
betont wird; der Volkspartei gilt die Stelle von der Pflege der nationalen
Interessen und den Pflichten gegen das weitere Vaterland. Mit anderen
Worten: die Regierung will sich weder zum Anschlusse an den norddeut¬
schen Bund, noch zu undeutschen Experimenten drängen lassen; an dem durch
die Verträge geschaffnen Zustand soll Nichts geändert werden, obwohl die
Verträge selbst bezeichnenderweise nicht erwähnt waren. Es liegt auf der
Hand, daß diese Rede, die unter diesen Umständen gehalten einfach auf das
Nächstliegende sich beschränkt, keine Herausforderung zu einer Adresse und
Adreßdebatte enthält. Ihr knapper Ton scheint einer solchen eher vorzubeugen
und die Abgeordneten an ihre Geschäfte zu verweisen. Auch läge es sür die
Vertretung eines Staats, der sich zu besonders musterhafter Ausbildung des
Constitutionalismus berufen weiß, in der That nahe, mit Vermeidung von
Allotrien an die dringlichen Arbeiten zu gehen. Und der Nutzen einer poli¬
tischen Debatte ist um so weniger einzusehen, als seit den letzten höchst
gründlichen politischen Kämpfen, die in demselben Saale geführt wurden, le¬
diglich keine Wendung, kein nennenswertes Ereigniß eingetreten ist, das der
Begutachtung durch den schwäbischen Areopag bedürfte. Wozu also das
grausame Spiel abermals aufführen?

Allein damit wäre freilich der Demokratie, die durch die Pforte des all¬
gemeinen Stimmrechts in so imponirender Anzahl in die Kammer eingetreten
ist, schlecht gedient. Wenn auch nicht in der Lage der Dinge, so ist doch im
Halbmondsaal selbst eine erhebliche Veränderung vor sich gegangen. Eine
Reihe von Leuten, die bisher nur in Volksversammlungen oder auf Schützen¬
festen Proben ihrer staatsmännischen Fähigkeiten abgelegt hatten, erfreuen sich
nun eines gesetzlichen Maubads und sind nicht gewillt ihr Licht unter die
Tribüne zu stellen. Die Volkspartei der strengen Observanz, von der euro¬
päischen Nuance, ist in der Kammer in solcher Zahl vertreten, daß sie sich
als eigene Partei, gesondert von der alten Linken, constituiren konnte, mit
der sie indessen vorläufig noch mit einer Art von Herablassung als „Ver¬
einigte Linke" gemeinsame Parteiversammlungen hält. Von dem Augen¬
blick nun, da diese neuen Kräfte mit ihren lange aufgesammelten Gefühlen
auf den Brettern erscheinen, hebt offenbar ein neuer Abschnitt der Weltge¬
schichte an. Mitleidwürdig erlischt der Stern von Sadowa und in blut¬
rother Gluth geht über dem erstaunten Europa die Freiheitssonne von Be-


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[0506] Der kurze Abschnitt über die politische Stellung des Landes, mit welchem die Thronrede schließt, enthält nichts Neues und Unerwartetes. Er bestätigt daß die Politik der Regierung unverrückt dieselbe ist, abwartend, zwischen den Forderungen der Parteien die goldene Mitte haltend. Der deutschen Partei soll es ohne Zweifel gelten, wenn vor Allem die Selbständigkeit Württembergs betont wird; der Volkspartei gilt die Stelle von der Pflege der nationalen Interessen und den Pflichten gegen das weitere Vaterland. Mit anderen Worten: die Regierung will sich weder zum Anschlusse an den norddeut¬ schen Bund, noch zu undeutschen Experimenten drängen lassen; an dem durch die Verträge geschaffnen Zustand soll Nichts geändert werden, obwohl die Verträge selbst bezeichnenderweise nicht erwähnt waren. Es liegt auf der Hand, daß diese Rede, die unter diesen Umständen gehalten einfach auf das Nächstliegende sich beschränkt, keine Herausforderung zu einer Adresse und Adreßdebatte enthält. Ihr knapper Ton scheint einer solchen eher vorzubeugen und die Abgeordneten an ihre Geschäfte zu verweisen. Auch läge es sür die Vertretung eines Staats, der sich zu besonders musterhafter Ausbildung des Constitutionalismus berufen weiß, in der That nahe, mit Vermeidung von Allotrien an die dringlichen Arbeiten zu gehen. Und der Nutzen einer poli¬ tischen Debatte ist um so weniger einzusehen, als seit den letzten höchst gründlichen politischen Kämpfen, die in demselben Saale geführt wurden, le¬ diglich keine Wendung, kein nennenswertes Ereigniß eingetreten ist, das der Begutachtung durch den schwäbischen Areopag bedürfte. Wozu also das grausame Spiel abermals aufführen? Allein damit wäre freilich der Demokratie, die durch die Pforte des all¬ gemeinen Stimmrechts in so imponirender Anzahl in die Kammer eingetreten ist, schlecht gedient. Wenn auch nicht in der Lage der Dinge, so ist doch im Halbmondsaal selbst eine erhebliche Veränderung vor sich gegangen. Eine Reihe von Leuten, die bisher nur in Volksversammlungen oder auf Schützen¬ festen Proben ihrer staatsmännischen Fähigkeiten abgelegt hatten, erfreuen sich nun eines gesetzlichen Maubads und sind nicht gewillt ihr Licht unter die Tribüne zu stellen. Die Volkspartei der strengen Observanz, von der euro¬ päischen Nuance, ist in der Kammer in solcher Zahl vertreten, daß sie sich als eigene Partei, gesondert von der alten Linken, constituiren konnte, mit der sie indessen vorläufig noch mit einer Art von Herablassung als „Ver¬ einigte Linke" gemeinsame Parteiversammlungen hält. Von dem Augen¬ blick nun, da diese neuen Kräfte mit ihren lange aufgesammelten Gefühlen auf den Brettern erscheinen, hebt offenbar ein neuer Abschnitt der Weltge¬ schichte an. Mitleidwürdig erlischt der Stern von Sadowa und in blut¬ rother Gluth geht über dem erstaunten Europa die Freiheitssonne von Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/506>, abgerufen am 05.02.2025.