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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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derholung gefunden. Herzlich und entgegenkommend ist der Ton dem eigenen
Volk gegenüber, keine Spur einer Verstimmung über den Ausfall der Wah¬
len, die der Regierungspartei eine so empfindliche Niederlage bereiteten.

Eine Anzahl Vorlagen ist angekündigt, die meisten von wenig allge¬
meinem Interesse. Herr v. Golther, der sonst die Reformen in seinem Departe¬
ment schockweise aus dem Aermel schüttelt, begnügt sich ein Gesetz zu verspre¬
chen, das die Rechtsverhältnisse religiöser Vereine im Sinne der Religions¬
freiheit ordnet. Der Einfluß der norddeutschen Bundesgesetzgebung ist zu
spüren, wenn die Beseitigung der politischen Hindernisse in Schließung der Ehen,
wenn eine Vorlage über gleiches Maß und Gewicht mit ganz Deutschland,
wenn die Aufhebung der Personalexecution in Wechselsachen angekündigt wird.
Diese Vorlagen zeigen aufs Neue, wie die Südstaaten die Erhaltung ihrer
internationalen Selbständigkeit um den Preis bezahlen, die norddeutsche Ge¬
setzgebung einfach für sich zu adoptiren.

"Die freie Bewegung im Staatsleben soll gefördert werden." Doch ist
von dem Entwurf einer Reform der Verwaltungsbehörden, der, zu Ende der
vorigen Periode eingebracht, nicht mehr erledigt werden konnte, keine Rede.
Er hat wenig Beifall gefunden und scheint zurückgezogen. Ebenso wenig ist
der Entwurf einer Verfassungsreform wieder eingebracht. "Aber auch diese höchst
wichtige Frage wird bei versöhnlichem Sinn und aufrichtiger Hingebung an
das wahre Wohl des Landes ihre zeitgemäße Lösung finden." Das heißt
wohl: man will erst die politische Temperatur des jetzigen zum großen Theil
aus Neulingen bestehenden Hauses abwarten und eine betreffende Vorlage
vom Wohlverhalten desselben abhängig machen. In seiner bisherigen Ge¬
stalt hat freilich auch dieser Entwurf in der neugewählten Kammer so wenig
Aussicht auf Annahme, wie in der vorigen. Indessen wird nicht zu umgehen
sein, daß auch in dieser Richtung bald Etwas geschehe. Unser Verfassungs¬
organismus hat trotz, oder vielmehr wegen seines vierhundertjährigen Alters zu
viel für die Gegenwart Abnormes und man wird dagegen auf die Länge die
Augen nicht verschließen können, wenn man gleichzeitig so empfindlich ist gegen
constitutionelle Schwächen fremder Staaten. Die feudalen Reminiscenzen in
der Zusammensetzung beider Kammern, die sechsjährigen Landtags- und drei¬
jährigen Budgetperioden lassen sich beim Blick auf die Fortschritte der con-
stitutionellen Entwicklung in andern Ländern schwer vertheidigen. Daß die
Kammer ihren Präsidenten nicht selbst wählt, daß ihr das Recht der gesetz¬
geberischen Initiative versagt, daß das Recht der Redefreiheit nicht verfassungs¬
mäßig garantirr ist, dies Alles sind Punkte, die man allerdings bisher
im eigenen Hause recht gelassen ertrug, die aber doch nicht ganz stimmen wol¬
len mit dem gerühmten Hort der Freiheit des Beobachters und mit dem
Eldorado Moritz Mohl's.


Grenzboten IV. 1868. so

derholung gefunden. Herzlich und entgegenkommend ist der Ton dem eigenen
Volk gegenüber, keine Spur einer Verstimmung über den Ausfall der Wah¬
len, die der Regierungspartei eine so empfindliche Niederlage bereiteten.

Eine Anzahl Vorlagen ist angekündigt, die meisten von wenig allge¬
meinem Interesse. Herr v. Golther, der sonst die Reformen in seinem Departe¬
ment schockweise aus dem Aermel schüttelt, begnügt sich ein Gesetz zu verspre¬
chen, das die Rechtsverhältnisse religiöser Vereine im Sinne der Religions¬
freiheit ordnet. Der Einfluß der norddeutschen Bundesgesetzgebung ist zu
spüren, wenn die Beseitigung der politischen Hindernisse in Schließung der Ehen,
wenn eine Vorlage über gleiches Maß und Gewicht mit ganz Deutschland,
wenn die Aufhebung der Personalexecution in Wechselsachen angekündigt wird.
Diese Vorlagen zeigen aufs Neue, wie die Südstaaten die Erhaltung ihrer
internationalen Selbständigkeit um den Preis bezahlen, die norddeutsche Ge¬
setzgebung einfach für sich zu adoptiren.

„Die freie Bewegung im Staatsleben soll gefördert werden." Doch ist
von dem Entwurf einer Reform der Verwaltungsbehörden, der, zu Ende der
vorigen Periode eingebracht, nicht mehr erledigt werden konnte, keine Rede.
Er hat wenig Beifall gefunden und scheint zurückgezogen. Ebenso wenig ist
der Entwurf einer Verfassungsreform wieder eingebracht. „Aber auch diese höchst
wichtige Frage wird bei versöhnlichem Sinn und aufrichtiger Hingebung an
das wahre Wohl des Landes ihre zeitgemäße Lösung finden." Das heißt
wohl: man will erst die politische Temperatur des jetzigen zum großen Theil
aus Neulingen bestehenden Hauses abwarten und eine betreffende Vorlage
vom Wohlverhalten desselben abhängig machen. In seiner bisherigen Ge¬
stalt hat freilich auch dieser Entwurf in der neugewählten Kammer so wenig
Aussicht auf Annahme, wie in der vorigen. Indessen wird nicht zu umgehen
sein, daß auch in dieser Richtung bald Etwas geschehe. Unser Verfassungs¬
organismus hat trotz, oder vielmehr wegen seines vierhundertjährigen Alters zu
viel für die Gegenwart Abnormes und man wird dagegen auf die Länge die
Augen nicht verschließen können, wenn man gleichzeitig so empfindlich ist gegen
constitutionelle Schwächen fremder Staaten. Die feudalen Reminiscenzen in
der Zusammensetzung beider Kammern, die sechsjährigen Landtags- und drei¬
jährigen Budgetperioden lassen sich beim Blick auf die Fortschritte der con-
stitutionellen Entwicklung in andern Ländern schwer vertheidigen. Daß die
Kammer ihren Präsidenten nicht selbst wählt, daß ihr das Recht der gesetz¬
geberischen Initiative versagt, daß das Recht der Redefreiheit nicht verfassungs¬
mäßig garantirr ist, dies Alles sind Punkte, die man allerdings bisher
im eigenen Hause recht gelassen ertrug, die aber doch nicht ganz stimmen wol¬
len mit dem gerühmten Hort der Freiheit des Beobachters und mit dem
Eldorado Moritz Mohl's.


Grenzboten IV. 1868. so
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/505>, abgerufen am 05.02.2025.