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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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obersten Administrativbehörde erfolgte die Eröffnung der ersten Session der
Schleswig-holsteiner Provincialstände in Rendsburg. Nach der ihnen durch
königliche Verordnung v. 22. September v. I. gegebenen Composition bestehen
dieselben aus 19 Abgeordneten des großen Grundbesitzes, darunter 4 Ver¬
tretern der ritterschaftlichen Korporationen, 19 Abgeordneten der Städte und
ebenso 19 Abgeordneten der Landgemeinden. Mit einer Virilstimme sind
außerdem die hessischen Fideicommißgüter vertreten. Es ist gewiß, daß diese
Dreitheilung dem wirklichen Verhältniß der ständischen oder socialen Bestand¬
theile der Herzogthümer herzlich wenig entspricht und ein ziemlich verzwickter
und willkürlicher Wahlmodus macht die Sache noch schlechter. Auch blieb
beim Mangel jedes Provincialfonds und jeder darauf zu gründenden stän¬
dischen Verwaltungsorganisation unser Provineiallandtag von vorne herein
weit hinter den Aufgaben der in Hannover, Kassel und Wiesbaden lagerten
Provincialvertretungen zurück. Trotzdem hat die Geschichte der preußischen
Provinciallandtage vor dem Jahre 1848 gezeigt, daß mit einiger Energie
und Geschicklichkeit selbst diesem barocken ständischen Rahmen ein lebendiger
Inhalt und vorwärts treibende Kraft zu geben ist. Wenn die Verhand¬
lungen der Schleswig'holstein'schen Stände stark unter dem erlaubten Maße
von Eintönigkeit und Langweiligkeit blieben, so lag der beste Theil der
Schuld entschieden an dem Mangel politischer Capacitäten. Sie sind wohl
auch im alten Ständesaale zu Itzehoe nicht sehr zu Haufe gewesen: heute,
wo die wenigen weitsichtigen Führer der alten nationalen Partei stille
Männer geworden und der Gegensatz gegen das Dänenthum Nichts mehr
verdeckt, starrt einem ein trostloser Mangel positiver politischer Kräfte, in den
öffentlichen Dingen gewiegter Geschäftsleute peinlich entgegen. Es wurde in
Rendsburg von liberaler Seite ein Anlauf genommen, das Postulat einer
der Zeit und dem Lande entsprechenderen Zusammensetzung der Provincial"
Vertretung zu formuliren. Nachdem jedoch der königliche Commissär davor
gewarnt, nicht zu früh an dem "Fundamentalgesetz" zu rütteln, und der
Klosterpropst von Ahlefeld, einer der intelligentesten Vertreter der Ritterschaft,
in jenem Versuch den Ausdruck des Mißtrauens gegen einen Theil der
Stände erblicken zu wollen erklärt hatte, verwahrte man sich gegen jede bös¬
willige Absicht und ließ die Sache fallen. Etwas einmüthiger, aber nicht
kräftiger verlief ein zweiter Ansturm, den sog. Zuchthaussond im Betrage von
650,000 Thlrn., der aus Beiträgen der Communen hervorgegangen, darauf hin
den Provincialständen zu eigener Verwaltung zu vindiciren. Gegen die
kategorische Erklärung des Ooerpräsioenten, daß die fragliche Summe nach
der Ansicht der Staatsregierung schlechterdings nicht der Provinz, sondern
den allgemeinen Staatsfonds gebühre, war nicht auszukommen. So blieb
denn die Begutachtung verschiedener Gesetzentwürfe übrig, von denen ein


obersten Administrativbehörde erfolgte die Eröffnung der ersten Session der
Schleswig-holsteiner Provincialstände in Rendsburg. Nach der ihnen durch
königliche Verordnung v. 22. September v. I. gegebenen Composition bestehen
dieselben aus 19 Abgeordneten des großen Grundbesitzes, darunter 4 Ver¬
tretern der ritterschaftlichen Korporationen, 19 Abgeordneten der Städte und
ebenso 19 Abgeordneten der Landgemeinden. Mit einer Virilstimme sind
außerdem die hessischen Fideicommißgüter vertreten. Es ist gewiß, daß diese
Dreitheilung dem wirklichen Verhältniß der ständischen oder socialen Bestand¬
theile der Herzogthümer herzlich wenig entspricht und ein ziemlich verzwickter
und willkürlicher Wahlmodus macht die Sache noch schlechter. Auch blieb
beim Mangel jedes Provincialfonds und jeder darauf zu gründenden stän¬
dischen Verwaltungsorganisation unser Provineiallandtag von vorne herein
weit hinter den Aufgaben der in Hannover, Kassel und Wiesbaden lagerten
Provincialvertretungen zurück. Trotzdem hat die Geschichte der preußischen
Provinciallandtage vor dem Jahre 1848 gezeigt, daß mit einiger Energie
und Geschicklichkeit selbst diesem barocken ständischen Rahmen ein lebendiger
Inhalt und vorwärts treibende Kraft zu geben ist. Wenn die Verhand¬
lungen der Schleswig'holstein'schen Stände stark unter dem erlaubten Maße
von Eintönigkeit und Langweiligkeit blieben, so lag der beste Theil der
Schuld entschieden an dem Mangel politischer Capacitäten. Sie sind wohl
auch im alten Ständesaale zu Itzehoe nicht sehr zu Haufe gewesen: heute,
wo die wenigen weitsichtigen Führer der alten nationalen Partei stille
Männer geworden und der Gegensatz gegen das Dänenthum Nichts mehr
verdeckt, starrt einem ein trostloser Mangel positiver politischer Kräfte, in den
öffentlichen Dingen gewiegter Geschäftsleute peinlich entgegen. Es wurde in
Rendsburg von liberaler Seite ein Anlauf genommen, das Postulat einer
der Zeit und dem Lande entsprechenderen Zusammensetzung der Provincial»
Vertretung zu formuliren. Nachdem jedoch der königliche Commissär davor
gewarnt, nicht zu früh an dem „Fundamentalgesetz" zu rütteln, und der
Klosterpropst von Ahlefeld, einer der intelligentesten Vertreter der Ritterschaft,
in jenem Versuch den Ausdruck des Mißtrauens gegen einen Theil der
Stände erblicken zu wollen erklärt hatte, verwahrte man sich gegen jede bös¬
willige Absicht und ließ die Sache fallen. Etwas einmüthiger, aber nicht
kräftiger verlief ein zweiter Ansturm, den sog. Zuchthaussond im Betrage von
650,000 Thlrn., der aus Beiträgen der Communen hervorgegangen, darauf hin
den Provincialständen zu eigener Verwaltung zu vindiciren. Gegen die
kategorische Erklärung des Ooerpräsioenten, daß die fragliche Summe nach
der Ansicht der Staatsregierung schlechterdings nicht der Provinz, sondern
den allgemeinen Staatsfonds gebühre, war nicht auszukommen. So blieb
denn die Begutachtung verschiedener Gesetzentwürfe übrig, von denen ein


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[0500] obersten Administrativbehörde erfolgte die Eröffnung der ersten Session der Schleswig-holsteiner Provincialstände in Rendsburg. Nach der ihnen durch königliche Verordnung v. 22. September v. I. gegebenen Composition bestehen dieselben aus 19 Abgeordneten des großen Grundbesitzes, darunter 4 Ver¬ tretern der ritterschaftlichen Korporationen, 19 Abgeordneten der Städte und ebenso 19 Abgeordneten der Landgemeinden. Mit einer Virilstimme sind außerdem die hessischen Fideicommißgüter vertreten. Es ist gewiß, daß diese Dreitheilung dem wirklichen Verhältniß der ständischen oder socialen Bestand¬ theile der Herzogthümer herzlich wenig entspricht und ein ziemlich verzwickter und willkürlicher Wahlmodus macht die Sache noch schlechter. Auch blieb beim Mangel jedes Provincialfonds und jeder darauf zu gründenden stän¬ dischen Verwaltungsorganisation unser Provineiallandtag von vorne herein weit hinter den Aufgaben der in Hannover, Kassel und Wiesbaden lagerten Provincialvertretungen zurück. Trotzdem hat die Geschichte der preußischen Provinciallandtage vor dem Jahre 1848 gezeigt, daß mit einiger Energie und Geschicklichkeit selbst diesem barocken ständischen Rahmen ein lebendiger Inhalt und vorwärts treibende Kraft zu geben ist. Wenn die Verhand¬ lungen der Schleswig'holstein'schen Stände stark unter dem erlaubten Maße von Eintönigkeit und Langweiligkeit blieben, so lag der beste Theil der Schuld entschieden an dem Mangel politischer Capacitäten. Sie sind wohl auch im alten Ständesaale zu Itzehoe nicht sehr zu Haufe gewesen: heute, wo die wenigen weitsichtigen Führer der alten nationalen Partei stille Männer geworden und der Gegensatz gegen das Dänenthum Nichts mehr verdeckt, starrt einem ein trostloser Mangel positiver politischer Kräfte, in den öffentlichen Dingen gewiegter Geschäftsleute peinlich entgegen. Es wurde in Rendsburg von liberaler Seite ein Anlauf genommen, das Postulat einer der Zeit und dem Lande entsprechenderen Zusammensetzung der Provincial» Vertretung zu formuliren. Nachdem jedoch der königliche Commissär davor gewarnt, nicht zu früh an dem „Fundamentalgesetz" zu rütteln, und der Klosterpropst von Ahlefeld, einer der intelligentesten Vertreter der Ritterschaft, in jenem Versuch den Ausdruck des Mißtrauens gegen einen Theil der Stände erblicken zu wollen erklärt hatte, verwahrte man sich gegen jede bös¬ willige Absicht und ließ die Sache fallen. Etwas einmüthiger, aber nicht kräftiger verlief ein zweiter Ansturm, den sog. Zuchthaussond im Betrage von 650,000 Thlrn., der aus Beiträgen der Communen hervorgegangen, darauf hin den Provincialständen zu eigener Verwaltung zu vindiciren. Gegen die kategorische Erklärung des Ooerpräsioenten, daß die fragliche Summe nach der Ansicht der Staatsregierung schlechterdings nicht der Provinz, sondern den allgemeinen Staatsfonds gebühre, war nicht auszukommen. So blieb denn die Begutachtung verschiedener Gesetzentwürfe übrig, von denen ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/500>, abgerufen am 05.02.2025.