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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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wahrzunehmen sind. Die "Heimliche Rechenschaft", absichtslos unterstützt
durch das Fehdebuch und Hans Porner's Gedenkbuch, ist die officielle Kritik
jener Periode städtischen Lebens, die unter schweren Erschütterungen mit dem
14. Jahrhundert zu Ende ging, und zugleich das Programm der neuen, in
welcher die Städte zu einer kurzen aber kräftigen Blüthe gelangten. Sie
gibt zu der bekannteren politischen Charakteristik des ausgehenden Mittelalters
in lehrreichen Details die Ergänzung einer financiellen Würdigung. Mit
Hilfe dieses höchst werthvollen Schriftstückes und einer Reihe anderer bisher
noch nicht benutzter Archivalien, namentlich der Klagschriften der unterlegenen
Partei, der betr. hansischen Recesse u. s. w.. ist es der umsichtigen und viel¬
seitigen Untersuchung Hänselmcmn's gelungen, sowohl die Krisen des braun-
schweigischen Aufruhrs v. I. 1374 gegenüber der herrschenden Auffassung in
ein ganz neues Licht zu rücken als auch den eigentlichen Charakter desselben
völlig klar zu machen. In letzterer Beziehung gewinnen wir einige allgemeine
Gesichtspunkte, die sich ohne Zweifel für die Erforschung der großen und um¬
fassenden communalen Bewegung, welche das letzte Viertel des 14. Jahrhun¬
derts charakterisirt, als sehr fruchtbar erweisen werden. Dieser sechste Band
der Chroniken ist ein Commentar zu allen übrigen.

Was Kriegk in seinen "Frankfurter Bürgerzwisten und Zuständen im
Mittelalter" bereits für den frankfurter Aufruhr der sechziger Jahre andeutete,
ist hier für den braunschweigischen des darauf folgenden Jahrzehntes zur
völligen Evidenz gebracht: daß er sich nämlich wesentlich in financiellen und
volkswirtschaftlichen Motiven bewegte und Nichts weniger war als die
Machination einiger unruhiger Demagogen in den Gilden. Er schloß auch
keineswegs, wie in den bisherigen Darstellungen angenommen wurde, die auf die
Aeußerlichkeiien der Wecker Sühne zu vielGewicht legten, mit einer einfachen Re-
activirung der alten Persönlichkeiten und Zustände und einem Widerrufe der
revolutionären Thatsachen, sondern mit einem höchst fruchtbaren Compromiß
Mischen den Leuten der alten und den Forderungen der neuen Zeit. Und in
der Vollziehung dieses Compromisses ist die Heimliche Rechenschaft zum Nutzen
des Rathes von einer Anzahl seiner älteren Mitglieder (wahrscheinlich zumeist
durch den trefflichen Hermann v. Vechelde) geschrieben worden, Männern,
welche die Uebelstände der alten Zeit wohl kannten, aber zugleich auch ein¬
sahen, daß es weniger persönliche Verschuldungen als sehr tief gehende in all¬
gemeinen Verhältnissen begründete Schäden gewesen waren, welche dem alten
Regimente einen jähen Sturz bereitet hatten. Sie haben diese Schäden ver¬
zeichnet und zugleich angegeben, wie die neue Verwaltung der Stadt sie zu
heilen sich bemühte, und der Rath, der ihre Arbeit dankbar entgegennahm,
verordnete, daß sie alle drei Jahre verlesen und je und je der Fortschritt der
reformatorischen Arbeit dazu vermerkt werden sollte.


wahrzunehmen sind. Die „Heimliche Rechenschaft", absichtslos unterstützt
durch das Fehdebuch und Hans Porner's Gedenkbuch, ist die officielle Kritik
jener Periode städtischen Lebens, die unter schweren Erschütterungen mit dem
14. Jahrhundert zu Ende ging, und zugleich das Programm der neuen, in
welcher die Städte zu einer kurzen aber kräftigen Blüthe gelangten. Sie
gibt zu der bekannteren politischen Charakteristik des ausgehenden Mittelalters
in lehrreichen Details die Ergänzung einer financiellen Würdigung. Mit
Hilfe dieses höchst werthvollen Schriftstückes und einer Reihe anderer bisher
noch nicht benutzter Archivalien, namentlich der Klagschriften der unterlegenen
Partei, der betr. hansischen Recesse u. s. w.. ist es der umsichtigen und viel¬
seitigen Untersuchung Hänselmcmn's gelungen, sowohl die Krisen des braun-
schweigischen Aufruhrs v. I. 1374 gegenüber der herrschenden Auffassung in
ein ganz neues Licht zu rücken als auch den eigentlichen Charakter desselben
völlig klar zu machen. In letzterer Beziehung gewinnen wir einige allgemeine
Gesichtspunkte, die sich ohne Zweifel für die Erforschung der großen und um¬
fassenden communalen Bewegung, welche das letzte Viertel des 14. Jahrhun¬
derts charakterisirt, als sehr fruchtbar erweisen werden. Dieser sechste Band
der Chroniken ist ein Commentar zu allen übrigen.

Was Kriegk in seinen „Frankfurter Bürgerzwisten und Zuständen im
Mittelalter" bereits für den frankfurter Aufruhr der sechziger Jahre andeutete,
ist hier für den braunschweigischen des darauf folgenden Jahrzehntes zur
völligen Evidenz gebracht: daß er sich nämlich wesentlich in financiellen und
volkswirtschaftlichen Motiven bewegte und Nichts weniger war als die
Machination einiger unruhiger Demagogen in den Gilden. Er schloß auch
keineswegs, wie in den bisherigen Darstellungen angenommen wurde, die auf die
Aeußerlichkeiien der Wecker Sühne zu vielGewicht legten, mit einer einfachen Re-
activirung der alten Persönlichkeiten und Zustände und einem Widerrufe der
revolutionären Thatsachen, sondern mit einem höchst fruchtbaren Compromiß
Mischen den Leuten der alten und den Forderungen der neuen Zeit. Und in
der Vollziehung dieses Compromisses ist die Heimliche Rechenschaft zum Nutzen
des Rathes von einer Anzahl seiner älteren Mitglieder (wahrscheinlich zumeist
durch den trefflichen Hermann v. Vechelde) geschrieben worden, Männern,
welche die Uebelstände der alten Zeit wohl kannten, aber zugleich auch ein¬
sahen, daß es weniger persönliche Verschuldungen als sehr tief gehende in all¬
gemeinen Verhältnissen begründete Schäden gewesen waren, welche dem alten
Regimente einen jähen Sturz bereitet hatten. Sie haben diese Schäden ver¬
zeichnet und zugleich angegeben, wie die neue Verwaltung der Stadt sie zu
heilen sich bemühte, und der Rath, der ihre Arbeit dankbar entgegennahm,
verordnete, daß sie alle drei Jahre verlesen und je und je der Fortschritt der
reformatorischen Arbeit dazu vermerkt werden sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/479>, abgerufen am 05.02.2025.